Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

dieselbe Bewandtniß, wie mit den Wundern, die er sich auch
gefallen lassen kann und wirklich gefallen läßt, weil sie einmal
existiren, wenigstens in der religiösen Meinung. Aber -- ab-
gesehen davon, daß er sich die Wunder natürlich, d. h.
mechanisch erklärt -- er kann die Wunder nur verdauen,
wenn und indem er sie in die Vergangenheit verlegt. Für
die Gegenwart aber bittet er sich Alles hübsch natürlich aus.
Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren,
etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, sondern nur glaubt,
weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt
werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner
ist; so verlegt man auch äußerlich den Gegenstand des Glau-
bens in die Vergangenheit. Dadurch macht sich der Unglaube
Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigstens
historisches, Recht. Die Vergangenheit ist hier das glück-
liche Auskunftsmittel zwischen Glaube und Unglaube: ich
glaube allerdings Wunder, aber Nota bene keine Wunder,
die geschehen, sondern einst geschehen sind, die Gottlob! be-
reits lauter Plusquamperfecta sind. So auch hier. Die
Schöpfung ist eine unmittelbare Handlung oder Wirkung
Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott.
In der Vorstellung der Schöpfung geht der Mensch über die
Welt hinaus, abstrahirt von ihr; er stellt sie sich vor als
nichtseiend im Momente der Erschaffung; er wischt sich also
aus den Augen, was zwischen ihm und Gott in der Mitte
steht, die Sinnenwelt; er setzt sich in unmittelbare Berührung
mit Gott. Aber der Maschinist scheut diesen unmittelbaren
Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens,
wenn er sich anders so hoch versteigt, sogleich zu einem Per-
fectum
; er schiebt Jahrtausende zwischen seine natürliche oder

17*

dieſelbe Bewandtniß, wie mit den Wundern, die er ſich auch
gefallen laſſen kann und wirklich gefallen läßt, weil ſie einmal
exiſtiren, wenigſtens in der religiöſen Meinung. Aber — ab-
geſehen davon, daß er ſich die Wunder natürlich, d. h.
mechaniſch erklärt — er kann die Wunder nur verdauen,
wenn und indem er ſie in die Vergangenheit verlegt. Für
die Gegenwart aber bittet er ſich Alles hübſch natürlich aus.
Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren,
etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, ſondern nur glaubt,
weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt
werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner
iſt; ſo verlegt man auch äußerlich den Gegenſtand des Glau-
bens in die Vergangenheit. Dadurch macht ſich der Unglaube
Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigſtens
hiſtoriſches, Recht. Die Vergangenheit iſt hier das glück-
liche Auskunftsmittel zwiſchen Glaube und Unglaube: ich
glaube allerdings Wunder, aber Nota bene keine Wunder,
die geſchehen, ſondern einſt geſchehen ſind, die Gottlob! be-
reits lauter Plusquamperfecta ſind. So auch hier. Die
Schöpfung iſt eine unmittelbare Handlung oder Wirkung
Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott.
In der Vorſtellung der Schöpfung geht der Menſch über die
Welt hinaus, abſtrahirt von ihr; er ſtellt ſie ſich vor als
nichtſeiend im Momente der Erſchaffung; er wiſcht ſich alſo
aus den Augen, was zwiſchen ihm und Gott in der Mitte
ſteht, die Sinnenwelt; er ſetzt ſich in unmittelbare Berührung
mit Gott. Aber der Maſchiniſt ſcheut dieſen unmittelbaren
Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens,
wenn er ſich anders ſo hoch verſteigt, ſogleich zu einem Per-
fectum
; er ſchiebt Jahrtauſende zwiſchen ſeine natürliche oder

17*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0277" n="259"/>
die&#x017F;elbe Bewandtniß, wie mit den <hi rendition="#g">Wundern</hi>, die er &#x017F;ich auch<lb/>
gefallen la&#x017F;&#x017F;en kann und wirklich gefallen läßt, weil &#x017F;ie einmal<lb/>
exi&#x017F;tiren, wenig&#x017F;tens in der religiö&#x017F;en Meinung. Aber &#x2014; ab-<lb/>
ge&#x017F;ehen davon, daß er &#x017F;ich die Wunder <hi rendition="#g">natürlich</hi>, d. h.<lb/><hi rendition="#g">mechani&#x017F;ch</hi> erklärt &#x2014; er kann die Wunder nur verdauen,<lb/>
wenn und indem er &#x017F;ie in die <hi rendition="#g">Vergangenheit</hi> verlegt. Für<lb/>
die Gegenwart aber bittet er &#x017F;ich Alles hüb&#x017F;ch natürlich aus.<lb/>
Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren,<lb/>
etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, &#x017F;ondern nur glaubt,<lb/>
weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt<lb/>
werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner<lb/>
i&#x017F;t; &#x017F;o verlegt man auch äußerlich den Gegen&#x017F;tand des Glau-<lb/>
bens in die Vergangenheit. Dadurch macht &#x017F;ich der Unglaube<lb/>
Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenig&#x017F;tens<lb/><hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;ches</hi>, Recht. Die Vergangenheit i&#x017F;t hier das glück-<lb/>
liche Auskunftsmittel zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Glaube und Unglaube:</hi> ich<lb/>
glaube allerdings Wunder, aber <hi rendition="#aq">Nota bene</hi> <hi rendition="#g">keine Wunder</hi>,<lb/>
die <hi rendition="#g">ge&#x017F;chehen</hi>, &#x017F;ondern <hi rendition="#g">ein&#x017F;t</hi> ge&#x017F;chehen &#x017F;ind, die Gottlob! be-<lb/>
reits lauter <hi rendition="#aq">Plusquamperfecta</hi> &#x017F;ind. So auch hier. Die<lb/>
Schöpfung i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">unmittelbare</hi> Handlung oder Wirkung<lb/>
Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott.<lb/>
In der Vor&#x017F;tellung der Schöpfung geht der Men&#x017F;ch über die<lb/>
Welt hinaus, ab&#x017F;trahirt von ihr; er &#x017F;tellt &#x017F;ie &#x017F;ich vor als<lb/><hi rendition="#g">nicht&#x017F;eiend</hi> im Momente der Er&#x017F;chaffung; er wi&#x017F;cht &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
aus den Augen, was zwi&#x017F;chen ihm und Gott in der Mitte<lb/>
&#x017F;teht, die Sinnenwelt; er &#x017F;etzt &#x017F;ich in unmittelbare Berührung<lb/>
mit Gott. Aber der Ma&#x017F;chini&#x017F;t &#x017F;cheut die&#x017F;en unmittelbaren<lb/>
Contact mit der Gottheit; er macht daher das <hi rendition="#aq">Praesens,</hi><lb/>
wenn er &#x017F;ich anders &#x017F;o hoch ver&#x017F;teigt, &#x017F;ogleich zu einem <hi rendition="#aq">Per-<lb/>
fectum</hi>; er &#x017F;chiebt Jahrtau&#x017F;ende zwi&#x017F;chen &#x017F;eine natürliche oder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0277] dieſelbe Bewandtniß, wie mit den Wundern, die er ſich auch gefallen laſſen kann und wirklich gefallen läßt, weil ſie einmal exiſtiren, wenigſtens in der religiöſen Meinung. Aber — ab- geſehen davon, daß er ſich die Wunder natürlich, d. h. mechaniſch erklärt — er kann die Wunder nur verdauen, wenn und indem er ſie in die Vergangenheit verlegt. Für die Gegenwart aber bittet er ſich Alles hübſch natürlich aus. Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren, etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, ſondern nur glaubt, weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner iſt; ſo verlegt man auch äußerlich den Gegenſtand des Glau- bens in die Vergangenheit. Dadurch macht ſich der Unglaube Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigſtens hiſtoriſches, Recht. Die Vergangenheit iſt hier das glück- liche Auskunftsmittel zwiſchen Glaube und Unglaube: ich glaube allerdings Wunder, aber Nota bene keine Wunder, die geſchehen, ſondern einſt geſchehen ſind, die Gottlob! be- reits lauter Plusquamperfecta ſind. So auch hier. Die Schöpfung iſt eine unmittelbare Handlung oder Wirkung Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott. In der Vorſtellung der Schöpfung geht der Menſch über die Welt hinaus, abſtrahirt von ihr; er ſtellt ſie ſich vor als nichtſeiend im Momente der Erſchaffung; er wiſcht ſich alſo aus den Augen, was zwiſchen ihm und Gott in der Mitte ſteht, die Sinnenwelt; er ſetzt ſich in unmittelbare Berührung mit Gott. Aber der Maſchiniſt ſcheut dieſen unmittelbaren Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens, wenn er ſich anders ſo hoch verſteigt, ſogleich zu einem Per- fectum; er ſchiebt Jahrtauſende zwiſchen ſeine natürliche oder 17*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/277
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/277>, abgerufen am 11.05.2024.