Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott ist hier nur ein
hypothetisches, abgeleitetes, aus der Noth eines beschränkten
Verstandes, dem das Dasein der von ihm zu einer Ma-
schine gemachten Welt ohne ein selbstbewegendes Princip un-
erklärlich ist, entsprungnes, kein ursprüngliches, absolut noth-
wendiges Wesen mehr. Gott ist nicht um seinetwillen, son-
dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die
prima causa die Meltmaschine zu erklären. Der beschränkte
Verstandesmensch nimmt einen Anstoß an dem ursprünglich
selbstständigen Dasein der Welt, weil er sie nur vom prakti-
schen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als
Werkmaschine, nicht in ihrer Majestät und Herrlichkeit, nicht
als Kosmos ansieht. Er stößt also seinen Kopf an der Welt
an. Der Stoß erschüttert sein Gehirn -- und in dieser Er-
schütterung hypostasirt er denn außer sich den eignen Anstoß
als den Urstoß, der die Welt ins Dasein geschleudert, daß sie
nun, wie die durch den mathematischen Stoß in Bewegung
gesetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt sich einen mecha-
nischen
Ursprung. Eine Maschine muß einen Anfang haben;
es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn sie hat den Grund der
Bewegung nicht in sich.

Alle Kosmogonie ist Tautologie -- dieß sehen wir auch
an diesem Beispiel. In der Kosmogonie erklärt sich oder rea-
lisirt nur der Mensch den Begriff, den er von der Welt hat;
sagt er dasselbe, was er außerdem von ihr aussagt. So
hier: ist die Welt eine Maschine, so versteht es sich von selbst,
daß sie "sich nicht selbst gemacht" hat, daß sie vielmehr
gemacht ist, d. h. einen mechanischen Ursprung hat.
Hierin stimmt allerdings das religiöse Bewußtsein mit dem
mechanischen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes

Feuerbach. 17

ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott iſt hier nur ein
hypothetiſches, abgeleitetes, aus der Noth eines beſchränkten
Verſtandes, dem das Daſein der von ihm zu einer Ma-
ſchine gemachten Welt ohne ein ſelbſtbewegendes Princip un-
erklärlich iſt, entſprungnes, kein urſprüngliches, abſolut noth-
wendiges Weſen mehr. Gott iſt nicht um ſeinetwillen, ſon-
dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die
prima causa die Meltmaſchine zu erklären. Der beſchränkte
Verſtandesmenſch nimmt einen Anſtoß an dem urſprünglich
ſelbſtſtändigen Daſein der Welt, weil er ſie nur vom prakti-
ſchen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als
Werkmaſchine, nicht in ihrer Majeſtät und Herrlichkeit, nicht
als Kosmos anſieht. Er ſtößt alſo ſeinen Kopf an der Welt
an. Der Stoß erſchüttert ſein Gehirn — und in dieſer Er-
ſchütterung hypoſtaſirt er denn außer ſich den eignen Anſtoß
als den Urſtoß, der die Welt ins Daſein geſchleudert, daß ſie
nun, wie die durch den mathematiſchen Stoß in Bewegung
geſetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt ſich einen mecha-
niſchen
Urſprung. Eine Maſchine muß einen Anfang haben;
es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn ſie hat den Grund der
Bewegung nicht in ſich.

Alle Kosmogonie iſt Tautologie — dieß ſehen wir auch
an dieſem Beiſpiel. In der Kosmogonie erklärt ſich oder rea-
liſirt nur der Menſch den Begriff, den er von der Welt hat;
ſagt er daſſelbe, was er außerdem von ihr ausſagt. So
hier: iſt die Welt eine Maſchine, ſo verſteht es ſich von ſelbſt,
daß ſie „ſich nicht ſelbſt gemacht“ hat, daß ſie vielmehr
gemacht iſt, d. h. einen mechaniſchen Urſprung hat.
Hierin ſtimmt allerdings das religiöſe Bewußtſein mit dem
mechaniſchen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes

Feuerbach. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="257"/>
ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott i&#x017F;t hier nur ein<lb/>
hypotheti&#x017F;ches, abgeleitetes, aus der Noth eines be&#x017F;chränkten<lb/>
Ver&#x017F;tandes, dem das Da&#x017F;ein der von ihm zu einer Ma-<lb/>
&#x017F;chine gemachten Welt ohne ein &#x017F;elb&#x017F;tbewegendes Princip un-<lb/>
erklärlich i&#x017F;t, ent&#x017F;prungnes, kein ur&#x017F;prüngliches, <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut</hi> noth-<lb/>
wendiges We&#x017F;en mehr. Gott i&#x017F;t nicht um &#x017F;einetwillen, &#x017F;on-<lb/>
dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die<lb/><hi rendition="#aq">prima causa</hi> die Meltma&#x017F;chine zu <hi rendition="#g">erklären</hi>. Der be&#x017F;chränkte<lb/>
Ver&#x017F;tandesmen&#x017F;ch nimmt einen An&#x017F;toß an dem ur&#x017F;prünglich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändigen Da&#x017F;ein der Welt, weil er &#x017F;ie nur vom prakti-<lb/>
&#x017F;chen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als<lb/>
Werkma&#x017F;chine, nicht in ihrer Maje&#x017F;tät und Herrlichkeit, nicht<lb/>
als Kosmos an&#x017F;ieht. Er &#x017F;tößt al&#x017F;o &#x017F;einen Kopf an der Welt<lb/>
an. Der Stoß er&#x017F;chüttert &#x017F;ein Gehirn &#x2014; und in die&#x017F;er Er-<lb/>
&#x017F;chütterung hypo&#x017F;ta&#x017F;irt er denn <hi rendition="#g">außer &#x017F;ich</hi> den eignen An&#x017F;toß<lb/>
als den Ur&#x017F;toß, der die Welt ins Da&#x017F;ein ge&#x017F;chleudert, daß &#x017F;ie<lb/>
nun, wie die durch den mathemati&#x017F;chen Stoß in Bewegung<lb/>
ge&#x017F;etzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt &#x017F;ich einen <hi rendition="#g">mecha-<lb/>
ni&#x017F;chen</hi> Ur&#x017F;prung. Eine Ma&#x017F;chine muß einen Anfang haben;<lb/>
es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn &#x017F;ie hat den Grund der<lb/>
Bewegung <hi rendition="#g">nicht in &#x017F;ich</hi>.</p><lb/>
          <p>Alle Kosmogonie i&#x017F;t Tautologie &#x2014; dieß &#x017F;ehen wir auch<lb/>
an die&#x017F;em Bei&#x017F;piel. In der Kosmogonie erklärt &#x017F;ich oder rea-<lb/>
li&#x017F;irt nur der Men&#x017F;ch den Begriff, den er von der Welt hat;<lb/>
&#x017F;agt er <hi rendition="#g">da&#x017F;&#x017F;elbe</hi>, was er außerdem von ihr aus&#x017F;agt. So<lb/>
hier: i&#x017F;t die Welt eine Ma&#x017F;chine, &#x017F;o ver&#x017F;teht es &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
daß &#x017F;ie <hi rendition="#g">&#x201E;&#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t gemacht&#x201C;</hi> hat, daß &#x017F;ie vielmehr<lb/><hi rendition="#g">gemacht</hi> i&#x017F;t, d. h. einen <hi rendition="#g">mechani&#x017F;chen Ur&#x017F;prung</hi> hat.<lb/>
Hierin &#x017F;timmt allerdings das religiö&#x017F;e Bewußt&#x017F;ein mit dem<lb/>
mechani&#x017F;chen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Feuerbach</hi>. 17</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0275] ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott iſt hier nur ein hypothetiſches, abgeleitetes, aus der Noth eines beſchränkten Verſtandes, dem das Daſein der von ihm zu einer Ma- ſchine gemachten Welt ohne ein ſelbſtbewegendes Princip un- erklärlich iſt, entſprungnes, kein urſprüngliches, abſolut noth- wendiges Weſen mehr. Gott iſt nicht um ſeinetwillen, ſon- dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die prima causa die Meltmaſchine zu erklären. Der beſchränkte Verſtandesmenſch nimmt einen Anſtoß an dem urſprünglich ſelbſtſtändigen Daſein der Welt, weil er ſie nur vom prakti- ſchen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als Werkmaſchine, nicht in ihrer Majeſtät und Herrlichkeit, nicht als Kosmos anſieht. Er ſtößt alſo ſeinen Kopf an der Welt an. Der Stoß erſchüttert ſein Gehirn — und in dieſer Er- ſchütterung hypoſtaſirt er denn außer ſich den eignen Anſtoß als den Urſtoß, der die Welt ins Daſein geſchleudert, daß ſie nun, wie die durch den mathematiſchen Stoß in Bewegung geſetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt ſich einen mecha- niſchen Urſprung. Eine Maſchine muß einen Anfang haben; es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn ſie hat den Grund der Bewegung nicht in ſich. Alle Kosmogonie iſt Tautologie — dieß ſehen wir auch an dieſem Beiſpiel. In der Kosmogonie erklärt ſich oder rea- liſirt nur der Menſch den Begriff, den er von der Welt hat; ſagt er daſſelbe, was er außerdem von ihr ausſagt. So hier: iſt die Welt eine Maſchine, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie „ſich nicht ſelbſt gemacht“ hat, daß ſie vielmehr gemacht iſt, d. h. einen mechaniſchen Urſprung hat. Hierin ſtimmt allerdings das religiöſe Bewußtſein mit dem mechaniſchen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes Feuerbach. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/275
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/275>, abgerufen am 11.05.2024.