Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

soll; was er schlecht, garstig, unangenehm findet, das ist für
ihn das Sein, welches nicht sein soll und daher, wenn und
weil es dennoch ist, ein zum Untergang verdammtes, ein nich-
tiges ist. Wo das Leben nicht im Widerspruch gefunden wird
mit einem Gefühl, einer Vorstellung, einer Idee und dieses
Gefühl, diese Idee nicht für absolut wahr und berechtigt gilt,
da entsteht nicht der Glaube an ein andres, himmlisches Le-
ben. Das andere Leben ist nichts andres als das Leben im
Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee
, welcher die-
ses Leben widerspricht
. Das Jenseits hat keine andere
Bedeutung, als diesen Zwiespalt aufzuheben, einen Zustand
zu realisiren, der dem Gefühl entspricht, in dem der Mensch
mit sich im Einklang ist. Ein unbekanntes Jenseits ist
eine lächerliche Chimäre: das Jenseits ist nichts weiter als die
Realität einer bekannten Idee, die Befriedigung eines
bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunsches *): es
ist nur die Beseitigung der Schranken, die hier der Rea-
lität der Idee im Wege stehen. Wo wäre der Trost, wo die
Bedeutung des Jenseits, wenn ich in ihm in stockfinstere Nacht
blicke? Nein! dort strahlt mir mit dem Glanze des gediegenen
Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des
oxydirten Erzes glänzt. Das Jenseits hat keine andere Be-
deutung, keinen andern Grund seines Daseins, als den, zu
sein die Scheidung des Metalls von seinen beigemengten frem-
den Bestandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech-
ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi-
gem vom Tadelnswerthen. Das Jenseits ist die Hochzeit,
wo der Mensch den Bund mit seiner Geliebten schließt. Längst

*) Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo).

ſoll; was er ſchlecht, garſtig, unangenehm findet, das iſt für
ihn das Sein, welches nicht ſein ſoll und daher, wenn und
weil es dennoch iſt, ein zum Untergang verdammtes, ein nich-
tiges iſt. Wo das Leben nicht im Widerſpruch gefunden wird
mit einem Gefühl, einer Vorſtellung, einer Idee und dieſes
Gefühl, dieſe Idee nicht für abſolut wahr und berechtigt gilt,
da entſteht nicht der Glaube an ein andres, himmliſches Le-
ben. Das andere Leben iſt nichts andres als das Leben im
Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee
, welcher die-
ſes Leben widerſpricht
. Das Jenſeits hat keine andere
Bedeutung, als dieſen Zwieſpalt aufzuheben, einen Zuſtand
zu realiſiren, der dem Gefühl entſpricht, in dem der Menſch
mit ſich im Einklang iſt. Ein unbekanntes Jenſeits iſt
eine lächerliche Chimäre: das Jenſeits iſt nichts weiter als die
Realität einer bekannten Idee, die Befriedigung eines
bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunſches *): es
iſt nur die Beſeitigung der Schranken, die hier der Rea-
lität der Idee im Wege ſtehen. Wo wäre der Troſt, wo die
Bedeutung des Jenſeits, wenn ich in ihm in ſtockfinſtere Nacht
blicke? Nein! dort ſtrahlt mir mit dem Glanze des gediegenen
Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des
oxydirten Erzes glänzt. Das Jenſeits hat keine andere Be-
deutung, keinen andern Grund ſeines Daſeins, als den, zu
ſein die Scheidung des Metalls von ſeinen beigemengten frem-
den Beſtandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech-
ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi-
gem vom Tadelnswerthen. Das Jenſeits iſt die Hochzeit,
wo der Menſch den Bund mit ſeiner Geliebten ſchließt. Längſt

*) Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="237"/><hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi>; was er &#x017F;chlecht, gar&#x017F;tig, unangenehm findet, das i&#x017F;t für<lb/>
ihn <hi rendition="#g">das</hi> Sein, welches <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;ein &#x017F;oll und daher, wenn und<lb/>
weil es dennoch i&#x017F;t, ein zum Untergang verdammtes, ein nich-<lb/>
tiges i&#x017F;t. Wo das Leben nicht im Wider&#x017F;pruch gefunden wird<lb/>
mit einem Gefühl, einer Vor&#x017F;tellung, einer Idee und die&#x017F;es<lb/>
Gefühl, die&#x017F;e Idee nicht für ab&#x017F;olut wahr und berechtigt gilt,<lb/>
da ent&#x017F;teht nicht der Glaube an ein andres, himmli&#x017F;ches Le-<lb/>
ben. Das andere Leben i&#x017F;t nichts andres als das <hi rendition="#g">Leben im<lb/>
Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee</hi>, welcher <hi rendition="#g">die-<lb/>
&#x017F;es Leben wider&#x017F;pricht</hi>. Das Jen&#x017F;eits hat keine andere<lb/>
Bedeutung, als die&#x017F;en Zwie&#x017F;palt aufzuheben, einen Zu&#x017F;tand<lb/>
zu reali&#x017F;iren, der dem Gefühl ent&#x017F;pricht, in dem der Men&#x017F;ch<lb/><hi rendition="#g">mit &#x017F;ich im Einklang</hi> i&#x017F;t. Ein unbekanntes Jen&#x017F;eits i&#x017F;t<lb/>
eine lächerliche Chimäre: das Jen&#x017F;eits i&#x017F;t nichts weiter als die<lb/><hi rendition="#g">Realität einer bekannten Idee</hi>, die Befriedigung eines<lb/>
bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wun&#x017F;ches <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Ibi nostra <hi rendition="#g">spes</hi> erit <hi rendition="#g">res. Augustin</hi></hi> (irgendwo).</note>: es<lb/>
i&#x017F;t nur die <hi rendition="#g">Be&#x017F;eitigung der Schranken</hi>, die hier der Rea-<lb/>
lität der Idee im Wege &#x017F;tehen. Wo wäre der Tro&#x017F;t, wo die<lb/>
Bedeutung des Jen&#x017F;eits, wenn ich in ihm in &#x017F;tockfin&#x017F;tere Nacht<lb/>
blicke? Nein! dort &#x017F;trahlt mir mit dem Glanze des gediegenen<lb/>
Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des<lb/>
oxydirten Erzes glänzt. Das Jen&#x017F;eits hat keine andere Be-<lb/>
deutung, keinen andern Grund &#x017F;eines Da&#x017F;eins, als den, zu<lb/>
&#x017F;ein die Scheidung des Metalls von &#x017F;einen beigemengten frem-<lb/>
den Be&#x017F;tandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech-<lb/>
ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi-<lb/>
gem vom Tadelnswerthen. Das Jen&#x017F;eits i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Hochzeit</hi>,<lb/>
wo der Men&#x017F;ch den Bund mit &#x017F;einer Geliebten &#x017F;chließt. Läng&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0255] ſoll; was er ſchlecht, garſtig, unangenehm findet, das iſt für ihn das Sein, welches nicht ſein ſoll und daher, wenn und weil es dennoch iſt, ein zum Untergang verdammtes, ein nich- tiges iſt. Wo das Leben nicht im Widerſpruch gefunden wird mit einem Gefühl, einer Vorſtellung, einer Idee und dieſes Gefühl, dieſe Idee nicht für abſolut wahr und berechtigt gilt, da entſteht nicht der Glaube an ein andres, himmliſches Le- ben. Das andere Leben iſt nichts andres als das Leben im Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee, welcher die- ſes Leben widerſpricht. Das Jenſeits hat keine andere Bedeutung, als dieſen Zwieſpalt aufzuheben, einen Zuſtand zu realiſiren, der dem Gefühl entſpricht, in dem der Menſch mit ſich im Einklang iſt. Ein unbekanntes Jenſeits iſt eine lächerliche Chimäre: das Jenſeits iſt nichts weiter als die Realität einer bekannten Idee, die Befriedigung eines bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunſches *): es iſt nur die Beſeitigung der Schranken, die hier der Rea- lität der Idee im Wege ſtehen. Wo wäre der Troſt, wo die Bedeutung des Jenſeits, wenn ich in ihm in ſtockfinſtere Nacht blicke? Nein! dort ſtrahlt mir mit dem Glanze des gediegenen Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des oxydirten Erzes glänzt. Das Jenſeits hat keine andere Be- deutung, keinen andern Grund ſeines Daſeins, als den, zu ſein die Scheidung des Metalls von ſeinen beigemengten frem- den Beſtandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech- ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi- gem vom Tadelnswerthen. Das Jenſeits iſt die Hochzeit, wo der Menſch den Bund mit ſeiner Geliebten ſchließt. Längſt *) Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/255
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/255>, abgerufen am 24.11.2024.