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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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die nothwendige; denn es wäre die höchste Immoralität, dem
sinnlichen Tod, der kein moralischer, sondern natürlicher, dem
Menschen mit dem Thiere gemeiner Act ist, den Erwerb des
Himmels zu überlassen. Der Tod muß daher zu einem mo-
ralischen Act
, einem Act der Selbstthätigkeit erhoben
werden. "Ich sterbe täglich," sagt der Apostel. Und die-
sen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des
Mönchthums*), zum Thema seines Lebens.

Aber das Christenthum, entgegnet man, hat nur eine
geistige Freiheit gewollt. Richtig; aber was ist die geistige
Freiheit, die nicht in die That übergeht, die sich nicht sinnlich
bewährt? Die sinnliche Freiheit ist allein die Wahrheit der
geistigen Freiheit. Ein Mensch, der an den irdischen Schätzen
das geistige Interesse wirklich verloren, der wirft sie auch bald
zum Fenster hinaus, um vollkommen sein Herz zu entledigen.
Was ich nicht mehr mit der Gesinnung habe, das ist mir
zur Last, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im
Widerspruch
mit meiner Gesinnung. Also weg damit! Was
die Gesinnung entlassen, das halte auch die Hand nicht mehr
fest. Nur die Gesinnung ist die Schwerkraft des Händedrucks;
nur die Gesinnung heiligt den Besitz. Wer sein Weib so ha-
ben soll, als habe er es nicht, der thut besser, wenn er sich gar
kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben
ohne die Gesinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht
haben. Und wer daher sagt: man solle ein Ding haben so,
als habe man es nicht, der sagt nur auf eine feine, schlaue,
schonende Weise: man soll es gar nicht haben. Was ich aus
dem Herzen fahren lasse, das ist nicht mehr mein, das ist vo-

*) S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae.

die nothwendige; denn es wäre die höchſte Immoralität, dem
ſinnlichen Tod, der kein moraliſcher, ſondern natürlicher, dem
Menſchen mit dem Thiere gemeiner Act iſt, den Erwerb des
Himmels zu überlaſſen. Der Tod muß daher zu einem mo-
raliſchen Act
, einem Act der Selbſtthätigkeit erhoben
werden. „Ich ſterbe täglich,“ ſagt der Apoſtel. Und die-
ſen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des
Mönchthums*), zum Thema ſeines Lebens.

Aber das Chriſtenthum, entgegnet man, hat nur eine
geiſtige Freiheit gewollt. Richtig; aber was iſt die geiſtige
Freiheit, die nicht in die That übergeht, die ſich nicht ſinnlich
bewährt? Die ſinnliche Freiheit iſt allein die Wahrheit der
geiſtigen Freiheit. Ein Menſch, der an den irdiſchen Schätzen
das geiſtige Intereſſe wirklich verloren, der wirft ſie auch bald
zum Fenſter hinaus, um vollkommen ſein Herz zu entledigen.
Was ich nicht mehr mit der Geſinnung habe, das iſt mir
zur Laſt, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im
Widerſpruch
mit meiner Geſinnung. Alſo weg damit! Was
die Geſinnung entlaſſen, das halte auch die Hand nicht mehr
feſt. Nur die Geſinnung iſt die Schwerkraft des Händedrucks;
nur die Geſinnung heiligt den Beſitz. Wer ſein Weib ſo ha-
ben ſoll, als habe er es nicht, der thut beſſer, wenn er ſich gar
kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben
ohne die Geſinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht
haben. Und wer daher ſagt: man ſolle ein Ding haben ſo,
als habe man es nicht, der ſagt nur auf eine feine, ſchlaue,
ſchonende Weiſe: man ſoll es gar nicht haben. Was ich aus
dem Herzen fahren laſſe, das iſt nicht mehr mein, das iſt vo-

*) S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae.
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[216/0234] die nothwendige; denn es wäre die höchſte Immoralität, dem ſinnlichen Tod, der kein moraliſcher, ſondern natürlicher, dem Menſchen mit dem Thiere gemeiner Act iſt, den Erwerb des Himmels zu überlaſſen. Der Tod muß daher zu einem mo- raliſchen Act, einem Act der Selbſtthätigkeit erhoben werden. „Ich ſterbe täglich,“ ſagt der Apoſtel. Und die- ſen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des Mönchthums *), zum Thema ſeines Lebens. Aber das Chriſtenthum, entgegnet man, hat nur eine geiſtige Freiheit gewollt. Richtig; aber was iſt die geiſtige Freiheit, die nicht in die That übergeht, die ſich nicht ſinnlich bewährt? Die ſinnliche Freiheit iſt allein die Wahrheit der geiſtigen Freiheit. Ein Menſch, der an den irdiſchen Schätzen das geiſtige Intereſſe wirklich verloren, der wirft ſie auch bald zum Fenſter hinaus, um vollkommen ſein Herz zu entledigen. Was ich nicht mehr mit der Geſinnung habe, das iſt mir zur Laſt, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im Widerſpruch mit meiner Geſinnung. Alſo weg damit! Was die Geſinnung entlaſſen, das halte auch die Hand nicht mehr feſt. Nur die Geſinnung iſt die Schwerkraft des Händedrucks; nur die Geſinnung heiligt den Beſitz. Wer ſein Weib ſo ha- ben ſoll, als habe er es nicht, der thut beſſer, wenn er ſich gar kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben ohne die Geſinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht haben. Und wer daher ſagt: man ſolle ein Ding haben ſo, als habe man es nicht, der ſagt nur auf eine feine, ſchlaue, ſchonende Weiſe: man ſoll es gar nicht haben. Was ich aus dem Herzen fahren laſſe, das iſt nicht mehr mein, das iſt vo- *) S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/234>, abgerufen am 28.04.2024.