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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Daß die Wunderkraft eins ist mit dem Begriffe des Mit-
telwesens, ist historisch selbst schon dadurch erwiesen, daß die
Wunder des Alten Testaments, die Gesetzgebung, die Vorse-
hung, kurz alle die Elemente, welche das Wesen der Religion
constituiren, schon vor dem Christenthum in die göttliche Weis-
heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche
der Logos selbst wieder angeknüpft wurde, ist nur das Be-
wußtsein der Vernunft, eine abstracte metaphysische Idee kein
Wesen, keine Person; mit dem Logos erst beginnt die Reli-
gion. Dieser Logos schwebt bei Philo noch in der Luft zwi-
schen Himmel und Erde, bald als ein Abstractum, bald als
ein Concretum, d. h. Philo schwankt zwischen sich selbst als
Philosoph und sich als religiösen Israeliten, zwischen dem po-
sitiven Element der Religion und der metaphysischen Idee, je-
doch so, daß das abstracte Element selbst bei ihm ein mehr oder
weniger phantastisches ist. Im Christenthum kam erst dieser
Logos zu vollkommner Consistenz, das Abstractum wurde ein
entschiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte sich
jetzt ausschließlich auf das Element, das Object, welches ihre
wesentliche Differenz begründet. Der Logos ist das personifi-
cirte Wesen der Religion, der Logos daher das Wesen des
Christenthums. Die Kirche hat hierin einen sehr guten Tact
bewiesen, daß sie so sehr auf die Wesenseinheit des Logos
(Christus) mit Gott drang*). Die Unterordnung Christi un-
ter Gott bei Paulus war nur ein Rest noch jüdisch alexandri-
nischer Bildung, jedenfalls nur eine theoretische, ohne prakti-

*) Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei
sunt
, deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea
sunt, cur tu non omnia quae divinae naturae sunt etiam in
filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum. l. III. c. 7.

Daß die Wunderkraft eins iſt mit dem Begriffe des Mit-
telweſens, iſt hiſtoriſch ſelbſt ſchon dadurch erwieſen, daß die
Wunder des Alten Teſtaments, die Geſetzgebung, die Vorſe-
hung, kurz alle die Elemente, welche das Weſen der Religion
conſtituiren, ſchon vor dem Chriſtenthum in die göttliche Weis-
heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche
der Logos ſelbſt wieder angeknüpft wurde, iſt nur das Be-
wußtſein der Vernunft, eine abſtracte metaphyſiſche Idee kein
Weſen, keine Perſon; mit dem Logos erſt beginnt die Reli-
gion. Dieſer Logos ſchwebt bei Philo noch in der Luft zwi-
ſchen Himmel und Erde, bald als ein Abſtractum, bald als
ein Concretum, d. h. Philo ſchwankt zwiſchen ſich ſelbſt als
Philoſoph und ſich als religiöſen Iſraeliten, zwiſchen dem po-
ſitiven Element der Religion und der metaphyſiſchen Idee, je-
doch ſo, daß das abſtracte Element ſelbſt bei ihm ein mehr oder
weniger phantaſtiſches iſt. Im Chriſtenthum kam erſt dieſer
Logos zu vollkommner Conſiſtenz, das Abſtractum wurde ein
entſchiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte ſich
jetzt ausſchließlich auf das Element, das Object, welches ihre
weſentliche Differenz begründet. Der Logos iſt das perſonifi-
cirte Weſen der Religion, der Logos daher das Weſen des
Chriſtenthums. Die Kirche hat hierin einen ſehr guten Tact
bewieſen, daß ſie ſo ſehr auf die Weſenseinheit des Logos
(Chriſtus) mit Gott drang*). Die Unterordnung Chriſti un-
ter Gott bei Paulus war nur ein Reſt noch jüdiſch alexandri-
niſcher Bildung, jedenfalls nur eine theoretiſche, ohne prakti-

*) Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei
sunt
, deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea
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filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum. l. III. c. 7.
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[188/0206] Daß die Wunderkraft eins iſt mit dem Begriffe des Mit- telweſens, iſt hiſtoriſch ſelbſt ſchon dadurch erwieſen, daß die Wunder des Alten Teſtaments, die Geſetzgebung, die Vorſe- hung, kurz alle die Elemente, welche das Weſen der Religion conſtituiren, ſchon vor dem Chriſtenthum in die göttliche Weis- heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche der Logos ſelbſt wieder angeknüpft wurde, iſt nur das Be- wußtſein der Vernunft, eine abſtracte metaphyſiſche Idee kein Weſen, keine Perſon; mit dem Logos erſt beginnt die Reli- gion. Dieſer Logos ſchwebt bei Philo noch in der Luft zwi- ſchen Himmel und Erde, bald als ein Abſtractum, bald als ein Concretum, d. h. Philo ſchwankt zwiſchen ſich ſelbſt als Philoſoph und ſich als religiöſen Iſraeliten, zwiſchen dem po- ſitiven Element der Religion und der metaphyſiſchen Idee, je- doch ſo, daß das abſtracte Element ſelbſt bei ihm ein mehr oder weniger phantaſtiſches iſt. Im Chriſtenthum kam erſt dieſer Logos zu vollkommner Conſiſtenz, das Abſtractum wurde ein entſchiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte ſich jetzt ausſchließlich auf das Element, das Object, welches ihre weſentliche Differenz begründet. Der Logos iſt das perſonifi- cirte Weſen der Religion, der Logos daher das Weſen des Chriſtenthums. Die Kirche hat hierin einen ſehr guten Tact bewieſen, daß ſie ſo ſehr auf die Weſenseinheit des Logos (Chriſtus) mit Gott drang *). Die Unterordnung Chriſti un- ter Gott bei Paulus war nur ein Reſt noch jüdiſch alexandri- niſcher Bildung, jedenfalls nur eine theoretiſche, ohne prakti- *) Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei sunt, deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea sunt, cur tu non omnia quae divinae naturae sunt etiam in filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum. l. III. c. 7.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/206>, abgerufen am 28.04.2024.