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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Wunsch, so ist es auch der Anfang derselben, die übernatür-
liche Geburt, obgleich diese sich nicht auf ein unmittelbar per-
sönliches Interesse, sondern mehr nur auf ein particuläres
subjectives Gefühl bezieht.

Je mehr sich der Mensch der Natur entfremdet, je subjec-
tiver, d. i. über- oder widernatürlicher seine Anschauung wird,
desto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig-
stens vor gewissen natürlichen Dingen und Processen, die sei-
ner Phantasie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie,
objective Mensch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider-
liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür-
liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieser Einsicht
seine Gefühle als nur subjective, unwahre Gefühle. Der
subjective, nur im Gemüthe und in der Phantasie lebende
Mensch dagegen fixirt, beanstandet diese Dinge mit einem
ganz besondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un-
glücklichen Findlings, welcher auch an der schönsten Blume
nur die kleinen "schwarzen Käferchen", die auf ihr herumlie-
fen, bemerkte und durch diese Wahrnehmung den Genuß an
der Anschauung der Blume sich verbitterte. Der subjective
Mensch macht aber seine Gefühle zum Maaßstab dessen, was
sein soll. Was ihm nicht gefällt, was sein transcendentes,
über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das soll nicht
sein
. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht sein ohne
das, was ihm mißfällt -- der subjective Mensch richtet sich
nicht nach den langweiligen Gesetzen der Logik und Physik,
sondern nach der Willkühr der Phantasie -- er läßt daher das
Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält
er fest. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau;
aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut-

Wunſch, ſo iſt es auch der Anfang derſelben, die übernatür-
liche Geburt, obgleich dieſe ſich nicht auf ein unmittelbar per-
ſönliches Intereſſe, ſondern mehr nur auf ein particuläres
ſubjectives Gefühl bezieht.

Je mehr ſich der Menſch der Natur entfremdet, je ſubjec-
tiver, d. i. über- oder widernatürlicher ſeine Anſchauung wird,
deſto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig-
ſtens vor gewiſſen natürlichen Dingen und Proceſſen, die ſei-
ner Phantaſie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie,
objective Menſch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider-
liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür-
liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieſer Einſicht
ſeine Gefühle als nur ſubjective, unwahre Gefühle. Der
ſubjective, nur im Gemüthe und in der Phantaſie lebende
Menſch dagegen fixirt, beanſtandet dieſe Dinge mit einem
ganz beſondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un-
glücklichen Findlings, welcher auch an der ſchönſten Blume
nur die kleinen „ſchwarzen Käferchen“, die auf ihr herumlie-
fen, bemerkte und durch dieſe Wahrnehmung den Genuß an
der Anſchauung der Blume ſich verbitterte. Der ſubjective
Menſch macht aber ſeine Gefühle zum Maaßſtab deſſen, was
ſein ſoll. Was ihm nicht gefällt, was ſein transcendentes,
über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das ſoll nicht
ſein
. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht ſein ohne
das, was ihm mißfällt — der ſubjective Menſch richtet ſich
nicht nach den langweiligen Geſetzen der Logik und Phyſik,
ſondern nach der Willkühr der Phantaſie — er läßt daher das
Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält
er feſt. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau;
aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut-

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[178/0196] Wunſch, ſo iſt es auch der Anfang derſelben, die übernatür- liche Geburt, obgleich dieſe ſich nicht auf ein unmittelbar per- ſönliches Intereſſe, ſondern mehr nur auf ein particuläres ſubjectives Gefühl bezieht. Je mehr ſich der Menſch der Natur entfremdet, je ſubjec- tiver, d. i. über- oder widernatürlicher ſeine Anſchauung wird, deſto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig- ſtens vor gewiſſen natürlichen Dingen und Proceſſen, die ſei- ner Phantaſie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie, objective Menſch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider- liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür- liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieſer Einſicht ſeine Gefühle als nur ſubjective, unwahre Gefühle. Der ſubjective, nur im Gemüthe und in der Phantaſie lebende Menſch dagegen fixirt, beanſtandet dieſe Dinge mit einem ganz beſondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un- glücklichen Findlings, welcher auch an der ſchönſten Blume nur die kleinen „ſchwarzen Käferchen“, die auf ihr herumlie- fen, bemerkte und durch dieſe Wahrnehmung den Genuß an der Anſchauung der Blume ſich verbitterte. Der ſubjective Menſch macht aber ſeine Gefühle zum Maaßſtab deſſen, was ſein ſoll. Was ihm nicht gefällt, was ſein transcendentes, über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das ſoll nicht ſein. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht ſein ohne das, was ihm mißfällt — der ſubjective Menſch richtet ſich nicht nach den langweiligen Geſetzen der Logik und Phyſik, ſondern nach der Willkühr der Phantaſie — er läßt daher das Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält er feſt. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau; aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/196>, abgerufen am 04.12.2024.