Der höchste Begriff, der Gott eines politischen Gemein- wesens, eines Volks, dessen Politik aber in der Form der Religion sich ausspricht, ist das Gesetz, das Bewußtsein des Gesetzes als einer absoluten, göttlichen Macht; der höchste Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitischen menschlichen Gemüths, die Liebe -- die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Gesetz der Wunsch des Ge- liebten und deren Macht die unbeschränkte Macht der Phan- tasie, der intellectuellen Wunderthätigkeit ist.
Gott ist die Liebe, die unsre Wünsche, unsre Gemüthsbe- dürfnisse befriedigt -- Er ist selbst der realisirte Wunsch des Herzens, der zur Gewißheit seiner Erfüllung, seiner Realität, zur zweifellosen Gewißheit, vor der kein Widerspruch des Ver- standes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt besteht, gesteigerte Wunsch. Gewißheit ist für den Menschen die höchste Macht; was ihm gewiß, das ist ihm das Seiende, das Gött- liche. Gott ist die Liebe -- dieser Ausspruch, der höchste des Christenthums -- ist nur der Ausdruck von der Selbst- gewißheit des menschlichen Gemüthes, von der Gewiß- heit seiner als der allein seienden, d. i. absoluten, göttli- chen Macht -- der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menschen innere Herzenswünsche objective Gültigkeit und Rea- lität haben, daß es keine Schranke, keinen positiven Gegensatz des menschlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts ist gegen das menschliche Gemüth. Gott ist die Liebe -- d. h. das Gemüth ist der Gott des Menschen, ja Gott schlechtweg, das absolute Wesen. Gott ist das sich gegenständliche Wesen des Gemüths, das schrankenfreie, reine Gemüth -- Gott
Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein- weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der Religion ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge- liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan- taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.
Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe- dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität, zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver- ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht, geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött- liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt- gewißheit des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß- heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli- chen Macht — der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea- lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven Gegenſatz des menſchlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen das menſchliche Gemüth. Gott iſt die Liebe — d. h. das Gemüth iſt der Gott des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg, das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen des Gemüths, das ſchrankenfreie, reine Gemüth — Gott
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0174"n="156"/><p>Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein-<lb/>
weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der <hirendition="#g">Form der<lb/>
Religion</hi>ſich ausſpricht, iſt das <hirendition="#g">Geſetz</hi>, das Bewußtſein des<lb/>
Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte<lb/>
Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen<lb/>
Gemüths, <hirendition="#g">die Liebe</hi>— die Liebe, die dem Geliebten alle<lb/>
Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum<lb/>
Opfer bringt, die Liebe, deren <hirendition="#g">Geſetz</hi> der <hirendition="#g">Wunſch</hi> des Ge-<lb/>
liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan-<lb/>
taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.</p><lb/><p>Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe-<lb/>
dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der <hirendition="#g">realiſirte Wunſch</hi> des<lb/>
Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität,<lb/>
zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver-<lb/>ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht,<lb/>
geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte<lb/>
Macht; was ihm <hirendition="#g">gewiß</hi>, das iſt ihm das Seiende, das Gött-<lb/>
liche. <hirendition="#g">Gott iſt die Liebe</hi>— dieſer Ausſpruch, der höchſte<lb/>
des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der <hirendition="#g">Selbſt-<lb/>
gewißheit</hi> des <hirendition="#g">menſchlichen Gemüthes</hi>, von der Gewiß-<lb/>
heit ſeiner als der allein <hirendition="#g">ſeienden, d. i. abſoluten, göttli-<lb/>
chen Macht</hi>— der Ausdruck von der Gewißheit, daß des<lb/>
Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea-<lb/>
lität haben, daß es <hirendition="#g">keine Schranke, keinen poſitiven<lb/>
Gegenſatz des menſchlichen Gemüths</hi> gibt, daß die ganze<lb/>
Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht <hirendition="#g">Nichts iſt gegen<lb/>
das menſchliche Gemüth</hi>. Gott iſt die Liebe — d. h. <hirendition="#g">das<lb/>
Gemüth</hi> iſt <hirendition="#g">der Gott</hi> des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg,<lb/>
das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen<lb/>
des Gemüths, das <hirendition="#g">ſchrankenfreie, reine Gemüth</hi>— Gott<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[156/0174]
Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein-
weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der
Religion ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des
Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte
Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen
Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle
Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum
Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge-
liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan-
taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.
Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe-
dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des
Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität,
zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver-
ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht,
geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte
Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött-
liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte
des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt-
gewißheit des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß-
heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli-
chen Macht — der Ausdruck von der Gewißheit, daß des
Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea-
lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven
Gegenſatz des menſchlichen Gemüths gibt, daß die ganze
Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen
das menſchliche Gemüth. Gott iſt die Liebe — d. h. das
Gemüth iſt der Gott des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg,
das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen
des Gemüths, das ſchrankenfreie, reine Gemüth — Gott
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/174>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.