himmlischen Klarheit und Durchsichtigkeit; er erblickte in ihm seinen reinen, von keinem praktischen Egoismus getrübten Geist im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geist in der Natur; er blickte in ihre Tiefe -- darum war ihm die Natur ewig. Kurz, der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu- siastischen Mineralogen, der Jude mit den Augen des seinen Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.
Die Juden haben sich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott ist das praktischste Princip von der Welt -- der Egoismus und zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus ist der Gott der seine Diener nicht zu Schanden werden läßt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch, denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus sammelt, concentrirt den Menschen auf sich; er gibt ihm ein con- sistentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretisch bornirt, weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht. Die Wissenschaft entsteht daher -- wie die Kunst, nur aus dem Polytheismus, denn der Polytheismus ist der offne, neidlose Sinn für alles Schöne und Gute ohne Unterschied, der Sinn für die Welt, für das Universum. Die Griechen sahen sich in der weiten Welt um, um ihren Gesichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute mit gen Jerusalem gekehrtem Gesichte. Kurz, der monotheisti- sche Egoismus raubte den Israeliten den freien theoretischen Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf "alle Kinder gegen Morgen" an Verstand und Weisheit und redete (han- delte, agebat) sogar "von Bäumen, von der Ceder zu Li- banon bis zu dem Ysop, der an der Wand wächst," auch von
himmliſchen Klarheit und Durchſichtigkeit; er erblickte in ihm ſeinen reinen, von keinem praktiſchen Egoismus getrübten Geiſt im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geiſt in der Natur; er blickte in ihre Tiefe — darum war ihm die Natur ewig. Kurz, der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu- ſiaſtiſchen Mineralogen, der Jude mit den Augen des ſeinen Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.
Die Juden haben ſich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott iſt das praktiſchſte Princip von der Welt — der Egoismus und zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus iſt der Gott der ſeine Diener nicht zu Schanden werden läßt. Der Egoismus iſt weſentlich monotheiſtiſch, denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus ſammelt, concentrirt den Menſchen auf ſich; er gibt ihm ein con- ſiſtentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretiſch bornirt, weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbſt ſich bezieht. Die Wiſſenſchaft entſteht daher — wie die Kunſt, nur aus dem Polytheismus, denn der Polytheismus iſt der offne, neidloſe Sinn für alles Schöne und Gute ohne Unterſchied, der Sinn für die Welt, für das Univerſum. Die Griechen ſahen ſich in der weiten Welt um, um ihren Geſichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute mit gen Jeruſalem gekehrtem Geſichte. Kurz, der monotheiſti- ſche Egoismus raubte den Iſraeliten den freien theoretiſchen Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „alle Kinder gegen Morgen“ an Verſtand und Weisheit und redete (han- delte, agebat) ſogar „von Bäumen, von der Ceder zu Li- banon bis zu dem Yſop, der an der Wand wächſt,“ auch von
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himmliſchen Klarheit und Durchſichtigkeit; er erblickte in ihm
ſeinen reinen, von keinem praktiſchen Egoismus getrübten Geiſt
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blickte in ihre Tiefe — darum war ihm die Natur ewig. Kurz,
der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu-
ſiaſtiſchen Mineralogen, der Jude mit den Augen des ſeinen
Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.
Die Juden haben ſich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf
den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott iſt das
praktiſchſte Princip von der Welt — der Egoismus und
zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der
Egoismus iſt der Gott der ſeine Diener nicht zu Schanden
werden läßt. Der Egoismus iſt weſentlich monotheiſtiſch,
denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus
ſammelt, concentrirt den Menſchen auf ſich; er gibt ihm ein con-
ſiſtentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretiſch bornirt,
weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das
Wohl des Selbſt ſich bezieht. Die Wiſſenſchaft entſteht
daher — wie die Kunſt, nur aus dem Polytheismus, denn
der Polytheismus iſt der offne, neidloſe Sinn für alles Schöne
und Gute ohne Unterſchied, der Sinn für die Welt, für das
Univerſum. Die Griechen ſahen ſich in der weiten Welt um,
um ihren Geſichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute
mit gen Jeruſalem gekehrtem Geſichte. Kurz, der monotheiſti-
ſche Egoismus raubte den Iſraeliten den freien theoretiſchen
Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „alle Kinder
gegen Morgen“ an Verſtand und Weisheit und redete (han-
delte, agebat) ſogar „von Bäumen, von der Ceder zu Li-
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/164>, abgerufen am 11.12.2024.
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