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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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ist, ist: die Natur oder Welt ist gemacht, geschaffen, ein Pro-
duct des Befehls
. Gott sprach: es werde die Welt und es
ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und
ohne Verzug stand sie auf diesen Befehl hin da *).

Aber der Utilismus ist die wesentliche Anschauung des
Judenthums. Der Glaube an eine besondere göttliche Vor-
sehung ist charakteristischer Glaube des Judenthums; der Glaube
an die Vorsehung der Glaube an Wunder; der Glaube an
Wunder aber ist es, wo die Natur nur als ein Object der
Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr-
lichen Zwecken gebraucht, angeschaut wird **). Das Wasser
theilt sich entzwei oder ballt sich zusammen, wie eine feste
Masse, der Staub verwandelt sich in Läuse, der Stab in eine
Schlange, der Fluß in Blut, der Felsen in eine Quelle, an
demselben Orte ist es zugleich Licht und Finsterniß, die Sonne
steht bald stille in ihrem Laufe, bald geht sie zurück. Und alle
diese Widernatürlichkeiten geschehen zum Besten Israels, le-
diglich auf Befehl Jehovah's, der sich um nichts als Israel
kümmert, nichts ist als die personificirte Selbstsucht des israeli-
tischen Volks, mit Ausschluß aller andern Völker, die absolute
Intoleranz -- das Geheimniß des Monotheismus.

Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretischen
Sinnen; sie vernahmen himmlische Musik in dem harmonischen

*) Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et
quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult
efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33,
6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata
sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3.
**) Quidquid est creatum, dunamei tale est, ut possit ex quocun-
que fieri quodlibet
, respectu omnipotentiae Dei et misericor-
diae. C. Peucer
de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae
1591.

iſt, iſt: die Natur oder Welt iſt gemacht, geſchaffen, ein Pro-
duct des Befehls
. Gott ſprach: es werde die Welt und es
ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und
ohne Verzug ſtand ſie auf dieſen Befehl hin da *).

Aber der Utilismus iſt die weſentliche Anſchauung des
Judenthums. Der Glaube an eine beſondere göttliche Vor-
ſehung iſt charakteriſtiſcher Glaube des Judenthums; der Glaube
an die Vorſehung der Glaube an Wunder; der Glaube an
Wunder aber iſt es, wo die Natur nur als ein Object der
Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr-
lichen Zwecken gebraucht, angeſchaut wird **). Das Waſſer
theilt ſich entzwei oder ballt ſich zuſammen, wie eine feſte
Maſſe, der Staub verwandelt ſich in Läuſe, der Stab in eine
Schlange, der Fluß in Blut, der Felſen in eine Quelle, an
demſelben Orte iſt es zugleich Licht und Finſterniß, die Sonne
ſteht bald ſtille in ihrem Laufe, bald geht ſie zurück. Und alle
dieſe Widernatürlichkeiten geſchehen zum Beſten Iſraels, le-
diglich auf Befehl Jehovah’s, der ſich um nichts als Iſrael
kümmert, nichts iſt als die perſonificirte Selbſtſucht des iſraeli-
tiſchen Volks, mit Ausſchluß aller andern Völker, die abſolute
Intoleranz — das Geheimniß des Monotheismus.

Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretiſchen
Sinnen; ſie vernahmen himmliſche Muſik in dem harmoniſchen

*) Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et
quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult
efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33,
6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata
sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3.
**) Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocun-
que fieri quodlibet
, respectu omnipotentiae Dei et misericor-
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de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae
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[144/0162] iſt, iſt: die Natur oder Welt iſt gemacht, geſchaffen, ein Pro- duct des Befehls. Gott ſprach: es werde die Welt und es ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und ohne Verzug ſtand ſie auf dieſen Befehl hin da *). Aber der Utilismus iſt die weſentliche Anſchauung des Judenthums. Der Glaube an eine beſondere göttliche Vor- ſehung iſt charakteriſtiſcher Glaube des Judenthums; der Glaube an die Vorſehung der Glaube an Wunder; der Glaube an Wunder aber iſt es, wo die Natur nur als ein Object der Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr- lichen Zwecken gebraucht, angeſchaut wird **). Das Waſſer theilt ſich entzwei oder ballt ſich zuſammen, wie eine feſte Maſſe, der Staub verwandelt ſich in Läuſe, der Stab in eine Schlange, der Fluß in Blut, der Felſen in eine Quelle, an demſelben Orte iſt es zugleich Licht und Finſterniß, die Sonne ſteht bald ſtille in ihrem Laufe, bald geht ſie zurück. Und alle dieſe Widernatürlichkeiten geſchehen zum Beſten Iſraels, le- diglich auf Befehl Jehovah’s, der ſich um nichts als Iſrael kümmert, nichts iſt als die perſonificirte Selbſtſucht des iſraeli- tiſchen Volks, mit Ausſchluß aller andern Völker, die abſolute Intoleranz — das Geheimniß des Monotheismus. Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretiſchen Sinnen; ſie vernahmen himmliſche Muſik in dem harmoniſchen *) Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33, 6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3. **) Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocun- que fieri quodlibet, respectu omnipotentiae Dei et misericor- diae. C. Peucer de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae 1591.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/162>, abgerufen am 01.05.2024.