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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle,
sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen
zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst
wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Ariston
udor, allerdings; aber auch ariston metron. Auch die
Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begränzte, in Maaß und
Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare
Krankheiten. So ist vor Allem incurabel die Venerie, die
Lustseuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeist-
ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetischen
Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst
auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und
wohlthätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheits-
los, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur
so lange schön ist, so lange sie für keine Illusion, sondern für
Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Sub-
jecte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler.
Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als
den gleißnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit
schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und
fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen.


Fern ſei es jedoch von uns, über das Waſſer, das helle,
ſonnenklare Waſſer der natürlichen Vernunft uns Illuſionen
zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus ſelbſt
wieder ſupranaturaliſtiſche Vorſtellungen zu verbinden. Ἄϱιστον
ὕδωϱ, allerdings; aber auch ἄϱιστον μέτϱον. Auch die
Kraft des Waſſers iſt eine in ſich ſelbſt begränzte, in Maaß und
Ziel geſetzte Kraft. Auch für das Waſſer gibt es unheilbare
Krankheiten. So iſt vor Allem incurabel die Venerie, die
Luſtſeuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeiſt-
ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetiſchen
Reize bemeſſend, ſo ehr- und ſchamlos ſind, daß ſie ſelbſt
auch die als Illuſion erkannte Illuſion, weil ſie ſchön und
wohlthätig ſei, in Schutz nehmen, ſo weſen- und wahrheits-
los, daß ſie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illuſion nur
ſo lange ſchön iſt, ſo lange ſie für keine Illuſion, ſondern für
Wahrheit gilt. Doch an ſolche grundeitle, luſtſüchtige Sub-
jecte wendet ſich auch nicht der pneumatiſche Waſſerheilkünſtler.
Nur wer den ſchlichten Geiſt der Wahrheit höher ſchätzt als
den gleißneriſchen Schöngeiſt der Lüge, nur wer die Wahrheit
ſchön, die Lüge aber häßlich findet, nur der iſt würdig und
fähig, die heilige Waſſertaufe zu empfangen.


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[X/0016] Fern ſei es jedoch von uns, über das Waſſer, das helle, ſonnenklare Waſſer der natürlichen Vernunft uns Illuſionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus ſelbſt wieder ſupranaturaliſtiſche Vorſtellungen zu verbinden. Ἄϱιστον ὕδωϱ, allerdings; aber auch ἄϱιστον μέτϱον. Auch die Kraft des Waſſers iſt eine in ſich ſelbſt begränzte, in Maaß und Ziel geſetzte Kraft. Auch für das Waſſer gibt es unheilbare Krankheiten. So iſt vor Allem incurabel die Venerie, die Luſtſeuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeiſt- ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetiſchen Reize bemeſſend, ſo ehr- und ſchamlos ſind, daß ſie ſelbſt auch die als Illuſion erkannte Illuſion, weil ſie ſchön und wohlthätig ſei, in Schutz nehmen, ſo weſen- und wahrheits- los, daß ſie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illuſion nur ſo lange ſchön iſt, ſo lange ſie für keine Illuſion, ſondern für Wahrheit gilt. Doch an ſolche grundeitle, luſtſüchtige Sub- jecte wendet ſich auch nicht der pneumatiſche Waſſerheilkünſtler. Nur wer den ſchlichten Geiſt der Wahrheit höher ſchätzt als den gleißneriſchen Schöngeiſt der Lüge, nur wer die Wahrheit ſchön, die Lüge aber häßlich findet, nur der iſt würdig und fähig, die heilige Waſſertaufe zu empfangen.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/16>, abgerufen am 28.03.2024.