gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat schon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: "Ob Gott auch ehelich sei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei- sen (modos) habe, Menschen zu Wege zu bringen?" Mögen sich daher die tiefsinnigen speculativen Reli- gions-Philosophen Deutschlands diesen ehrlichen, schlichten Pfarrherrn zum Muster nehmen! Mögen sie den genanten Rest von Rationalismus, der ihnen noch im schreiendsten Wi- derspruch mit ihrem innersten Wesen anklebt, muthig von sich abschütteln und endlich die mystische Potenz der Natur Got- tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali- siren! Amen.
Die Lehre von der Natur in Gott ist Jakob Böhm ent- nommen. Aber im Original hat sie eine weit tiefere und in- teressantere Bedeutung als in ihrer zweiten castrirten und mo- dernisirten Auflage. J. Böhm ist ein tiefinniges, tiefsinniges religiöses Gemüth; die Religion ist das Centrum seines Lebens und Denkens. Aber zugleich hat sich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt -- im Studium der Naturwis- senschaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus -- seines religiösen Gemüthes bemächtigt. Er hat seine Sinne der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Wesen geworfen, aber sie erschreckt ihn; und er kann diesen Schrecken der Natur nicht zusammenreimen mit seinen religiösen Vorstel- lungen. "Als ich anschauete die große Tiefe dieser Welt, darzu die Sonne und Sternen, sowohl die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiste die ganze Schöpfung dieser Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böses und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu-
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gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat ſchon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „Ob Gott auch ehelich ſei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei- ſen (modos) habe, Menſchen zu Wege zu bringen?“ Mögen ſich daher die tiefſinnigen ſpeculativen Reli- gions-Philoſophen Deutſchlands dieſen ehrlichen, ſchlichten Pfarrherrn zum Muſter nehmen! Mögen ſie den gênanten Reſt von Rationalismus, der ihnen noch im ſchreiendſten Wi- derſpruch mit ihrem innerſten Weſen anklebt, muthig von ſich abſchütteln und endlich die myſtiſche Potenz der Natur Got- tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali- ſiren! Amen.
Die Lehre von der Natur in Gott iſt Jakob Böhm ent- nommen. Aber im Original hat ſie eine weit tiefere und in- tereſſantere Bedeutung als in ihrer zweiten caſtrirten und mo- derniſirten Auflage. J. Böhm iſt ein tiefinniges, tiefſinniges religiöſes Gemüth; die Religion iſt das Centrum ſeines Lebens und Denkens. Aber zugleich hat ſich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt — im Studium der Naturwiſ- ſenſchaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus — ſeines religiöſen Gemüthes bemächtigt. Er hat ſeine Sinne der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Weſen geworfen, aber ſie erſchreckt ihn; und er kann dieſen Schrecken der Natur nicht zuſammenreimen mit ſeinen religiöſen Vorſtel- lungen. „Als ich anſchauete die große Tiefe dieſer Welt, darzu die Sonne und Sternen, ſowohl die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiſte die ganze Schöpfung dieſer Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böſes und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu-
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gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat ſchon anno 1682
ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „Ob Gott auch
ehelich ſei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei-
ſen (modos) habe, Menſchen zu Wege zu bringen?“
Mögen ſich daher die tiefſinnigen ſpeculativen Reli-
gions-Philoſophen Deutſchlands dieſen ehrlichen, ſchlichten
Pfarrherrn zum Muſter nehmen! Mögen ſie den gênanten
Reſt von Rationalismus, der ihnen noch im ſchreiendſten Wi-
derſpruch mit ihrem innerſten Weſen anklebt, muthig von ſich
abſchütteln und endlich die myſtiſche Potenz der Natur Got-
tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali-
ſiren! Amen.
Die Lehre von der Natur in Gott iſt Jakob Böhm ent-
nommen. Aber im Original hat ſie eine weit tiefere und in-
tereſſantere Bedeutung als in ihrer zweiten caſtrirten und mo-
derniſirten Auflage. J. Böhm iſt ein tiefinniges, tiefſinniges
religiöſes Gemüth; die Religion iſt das Centrum ſeines Lebens
und Denkens. Aber zugleich hat ſich die Bedeutung, welche
die Natur in neuerer Zeit erhielt — im Studium der Naturwiſ-
ſenſchaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus —
ſeines religiöſen Gemüthes bemächtigt. Er hat ſeine Sinne
der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Weſen
geworfen, aber ſie erſchreckt ihn; und er kann dieſen Schrecken
der Natur nicht zuſammenreimen mit ſeinen religiöſen Vorſtel-
lungen. „Als ich anſchauete die große Tiefe dieſer Welt, darzu
die Sonne und Sternen, ſowohl die Wolken, darzu Regen und
Schnee, und betrachtete in meinem Geiſte die ganze Schöpfung
dieſer Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böſes und
Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu-
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/133>, abgerufen am 24.11.2024.
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