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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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darum der größte Schmerz, ist der Urquell der Poesie -- und
nur wo der Mensch mit dem Menschen spricht, nur in der
Rede, einem gemeinsamen Acte, entsteht die Vernunft. Fragen
und Antworten sind die ersten Denkacte. Zum Denken gehö-
ren ursprünglich Zwei. Erst auf dem Standpunkt einer höhern
Cultur verdoppelt sich der Mensch, so daß er jetzt in und für sich
selbst die Rolle des Andern spielen kann. Denken und Sprechen
ist darum bei allen alten und sinnlichen Völkern identisch; sie
denken nur im Sprechen, ihr Denken ist nur Conversation.
Gemeine Leute, d. h. nicht abstract gebildete Leute verstehen
noch heute Geschriebenes nicht, wenn sie nicht laut lesen, nicht
aussprechen, was sie lesen. Wie richtig ist es in dieser Be-
ziehung, wenn Hobbes den Verstand des Menschen aus den
Ohren ableitet!

Auf abstracte logische Kategorien reducirt, drückt das kos-
mogenetische Princip in Gott nichts weiter aus als den tau-
tologischen Satz: das Verschiedene kann nur aus einem Prin-
cip der Verschiedenheit, nicht aus einem einfachen Wesen
kommen. So sehr die christlichen Philosophen und Theologen
der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, so haben sie doch
wieder den alten Grundsatz: aus Nichts wird Nichts, weil er
ein Gesetz des Denkens ausspricht, nicht ganz umgehen kön-
nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der
unterschiednen materiellen Dinge gesetzt, aber sie haben doch
den göttlichen Verstand -- der Sohn aber ist die Weisheit,
die Wissenschaft, der Verstand des Vaters -- als den Inbe-
griff aller Dinge
, als die geistige Materie zum Princip
der wirklichen Materie gemacht. Der Unterschied zwischen der
heidnischen Ewigkeit der Materie und der christlichen Schöpfung
in dieser Beziehung ist nur, daß die Heiden der Welt eine

darum der größte Schmerz, iſt der Urquell der Poeſie — und
nur wo der Menſch mit dem Menſchen ſpricht, nur in der
Rede, einem gemeinſamen Acte, entſteht die Vernunft. Fragen
und Antworten ſind die erſten Denkacte. Zum Denken gehö-
ren urſprünglich Zwei. Erſt auf dem Standpunkt einer höhern
Cultur verdoppelt ſich der Menſch, ſo daß er jetzt in und für ſich
ſelbſt die Rolle des Andern ſpielen kann. Denken und Sprechen
iſt darum bei allen alten und ſinnlichen Völkern identiſch; ſie
denken nur im Sprechen, ihr Denken iſt nur Converſation.
Gemeine Leute, d. h. nicht abſtract gebildete Leute verſtehen
noch heute Geſchriebenes nicht, wenn ſie nicht laut leſen, nicht
ausſprechen, was ſie leſen. Wie richtig iſt es in dieſer Be-
ziehung, wenn Hobbes den Verſtand des Menſchen aus den
Ohren ableitet!

Auf abſtracte logiſche Kategorien reducirt, drückt das kos-
mogenetiſche Princip in Gott nichts weiter aus als den tau-
tologiſchen Satz: das Verſchiedene kann nur aus einem Prin-
cip der Verſchiedenheit, nicht aus einem einfachen Weſen
kommen. So ſehr die chriſtlichen Philoſophen und Theologen
der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, ſo haben ſie doch
wieder den alten Grundſatz: aus Nichts wird Nichts, weil er
ein Geſetz des Denkens ausſpricht, nicht ganz umgehen kön-
nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der
unterſchiednen materiellen Dinge geſetzt, aber ſie haben doch
den göttlichen Verſtand — der Sohn aber iſt die Weisheit,
die Wiſſenſchaft, der Verſtand des Vaters — als den Inbe-
griff aller Dinge
, als die geiſtige Materie zum Princip
der wirklichen Materie gemacht. Der Unterſchied zwiſchen der
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in dieſer Beziehung iſt nur, daß die Heiden der Welt eine

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[102/0120] darum der größte Schmerz, iſt der Urquell der Poeſie — und nur wo der Menſch mit dem Menſchen ſpricht, nur in der Rede, einem gemeinſamen Acte, entſteht die Vernunft. Fragen und Antworten ſind die erſten Denkacte. Zum Denken gehö- ren urſprünglich Zwei. Erſt auf dem Standpunkt einer höhern Cultur verdoppelt ſich der Menſch, ſo daß er jetzt in und für ſich ſelbſt die Rolle des Andern ſpielen kann. Denken und Sprechen iſt darum bei allen alten und ſinnlichen Völkern identiſch; ſie denken nur im Sprechen, ihr Denken iſt nur Converſation. Gemeine Leute, d. h. nicht abſtract gebildete Leute verſtehen noch heute Geſchriebenes nicht, wenn ſie nicht laut leſen, nicht ausſprechen, was ſie leſen. Wie richtig iſt es in dieſer Be- ziehung, wenn Hobbes den Verſtand des Menſchen aus den Ohren ableitet! Auf abſtracte logiſche Kategorien reducirt, drückt das kos- mogenetiſche Princip in Gott nichts weiter aus als den tau- tologiſchen Satz: das Verſchiedene kann nur aus einem Prin- cip der Verſchiedenheit, nicht aus einem einfachen Weſen kommen. So ſehr die chriſtlichen Philoſophen und Theologen der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, ſo haben ſie doch wieder den alten Grundſatz: aus Nichts wird Nichts, weil er ein Geſetz des Denkens ausſpricht, nicht ganz umgehen kön- nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der unterſchiednen materiellen Dinge geſetzt, aber ſie haben doch den göttlichen Verſtand — der Sohn aber iſt die Weisheit, die Wiſſenſchaft, der Verſtand des Vaters — als den Inbe- griff aller Dinge, als die geiſtige Materie zum Princip der wirklichen Materie gemacht. Der Unterſchied zwiſchen der heidniſchen Ewigkeit der Materie und der chriſtlichen Schöpfung in dieſer Beziehung iſt nur, daß die Heiden der Welt eine

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/120>, abgerufen am 25.11.2024.