gen. Mir gefällt deswegen wohl, was der allgemeine Nachrichter derer Ge- lehrten, Scioppius, von dieser verkehrten Art derer Leute gar artig in seinem Regenten-Spiegel urtheilet. Er spricht nehmlich: Wolte ich mich zu dem Bauer auf das Land begeben, so finde ich da nichts als lauter Flöhe und Läuse. Wolteich mich aber zu denen Gelehrten machen, so treffe ich unter ihnen eine greuliche Menge Narren undPedanten an.Igitur quorsum? ad Deum, quia ibi fons & origo omnis boni deprehenditur.
Nach der Auferziehung folget der Umgang sowohl mit gelehrten als unge- lehrten Leuten. Heut zu Tage nennet man es insgemein eine Conduite, welche um so viel eher observiret werden muß, jemehr bekannt ist, daß dieselbe eine ausseror- dentliche Gelegenheit derer schändlichsten und verderblichsten Vorurtheile seyn könne, auch vielmal in der That gewesen ist. Denn indem wir uns bemühen, de- nen Sitten anderer Leute, welche uns in die Augen leuchten, nachzuäffen, so fol- get, so viel daraus, daß wann wir mit Ehrgeitzigen, Geldgeitzigen, Verliebten, Eigensinnigen und Stöckischen umgehen, wir selber vielmals wider unser Na- turel ehrgeitzig, verliebt, geldgeitzig, eigensinnig und stöckisch werden müssen. Sind aber die Leute mit welchen wir zu conversiren gewohnet sind andächtig, bedächtig, freygebig, bescheiden, höflich und artig, so bemühen wir uns eben- falls, im gemeinen Leben, andächtig, bedächtig, freygebig, bescheiden, höflich, und artig, und von grossem Nachdencken zu werden. Es haben dannenhero die heutigen Politici nicht unrecht, wann sie den gantzen Menschen aus seiner Aufführung beurtheilen wollen, weil doch ein jeglicher in der Conduite zeigen muß, was er in der That verstehe und gelernet habe. Führet fich nun einer in seinem Leben säuisch, unflätisch, oder wie ein Magister Suum und anderer Stücktöffel auf, so müssen ihn auch alle gescheite Leute vor einen unflätigen, säuischen und häßlichen Menschen halten, wann er gleich darwider mit Hän- den und Füssen strampeln, ja sich gar darüber die Krauße entzwey reissen wolte. Dahero halte ich das Judicium jenes scharffsinnigen Philosophi vor richtig, wann er spricht: Halb studirt, und eine guteConduite,hilfft durch die gantze Welt. Denn wann einer gleich gelehrter als Socrates, von Statur grösser als Goliath wäre, mehrere Gedancken in seinen krummen Beinen als Archi- medes in seinem Kopff führte, weit erschrecklichere Metaphysische Distinctio- nes, pro & contra Divisiones in seinem Gehirne, als etwa die alten Spittel- Müttergen Flöhe in ihren Lumpichten Peltzen hegte, ein weit grämischers und tyrannischers Gesichte als der bucklichte Aristoteles, und der breitschultrichte
Fecht-
gen. Mir gefaͤllt deswegen wohl, was der allgemeine Nachrichter derer Ge- lehrten, Scioppius, von dieſer verkehrten Art derer Leute gar artig in ſeinem Regenten-Spiegel urtheilet. Er ſpricht nehmlich: Wolte ich mich zu dem Bauer auf das Land begeben, ſo finde ich da nichts als lauter Floͤhe und Laͤuſe. Wolteich mich aber zu denen Gelehrten machen, ſo treffe ich unter ihnen eine greuliche Menge Narren undPedanten an.Igitur quorſum? ad Deum, quia ibi fons & origo omnis boni deprehenditur.
Nach der Auferziehung folget der Umgang ſowohl mit gelehrten als unge- lehrten Leuten. Heut zu Tage nennet man es insgemein eine Conduite, welche um ſo viel eher obſerviret werden muß, jemehr bekannt iſt, daß dieſelbe eine auſſeror- dentliche Gelegenheit derer ſchaͤndlichſten und verderblichſten Vorurtheile ſeyn koͤnne, auch vielmal in der That geweſen iſt. Denn indem wir uns bemuͤhen, de- nen Sitten anderer Leute, welche uns in die Augen leuchten, nachzuaͤffen, ſo fol- get, ſo viel daraus, daß wann wir mit Ehrgeitzigen, Geldgeitzigen, Verliebten, Eigenſinnigen und Stoͤckiſchen umgehen, wir ſelber vielmals wider unſer Na- turel ehrgeitzig, verliebt, geldgeitzig, eigenſinnig und ſtoͤckiſch werden muͤſſen. Sind aber die Leute mit welchen wir zu converſiren gewohnet ſind andaͤchtig, bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich und artig, ſo bemuͤhen wir uns eben- falls, im gemeinen Leben, andaͤchtig, bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich, und artig, und von groſſem Nachdencken zu werden. Es haben dannenhero die heutigen Politici nicht unrecht, wann ſie den gantzen Menſchen aus ſeiner Auffuͤhrung beurtheilen wollen, weil doch ein jeglicher in der Conduite zeigen muß, was er in der That verſtehe und gelernet habe. Fuͤhret fich nun einer in ſeinem Leben ſaͤuiſch, unflaͤtiſch, oder wie ein Magiſter Suum und anderer Stuͤcktoͤffel auf, ſo muͤſſen ihn auch alle geſcheite Leute vor einen unflaͤtigen, ſaͤuiſchen und haͤßlichen Menſchen halten, wann er gleich darwider mit Haͤn- den und Fuͤſſen ſtrampeln, ja ſich gar daruͤber die Krauße entzwey reiſſen wolte. Dahero halte ich das Judicium jenes ſcharffſinnigen Philoſophi vor richtig, wann er ſpricht: Halb ſtudirt, und eine guteConduite,hilfft durch die gantze Welt. Denn wann einer gleich gelehrter als Socrates, von Statur groͤſſer als Goliath waͤre, mehrere Gedancken in ſeinen krummen Beinen als Archi- medes in ſeinem Kopff fuͤhrte, weit erſchrecklichere Metaphyſiſche Diſtinctio- nes, pro & contra Diviſiones in ſeinem Gehirne, als etwa die alten Spittel- Muͤttergen Floͤhe in ihren Lumpichten Peltzen hegte, ein weit graͤmiſchers und tyranniſchers Geſichte als der bucklichte Ariſtoteles, und der breitſchultrichte
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[184/0228]
gen. Mir gefaͤllt deswegen wohl, was der allgemeine Nachrichter derer Ge-
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Regenten-Spiegel urtheilet. Er ſpricht nehmlich: Wolte ich mich zu dem
Bauer auf das Land begeben, ſo finde ich da nichts als lauter Floͤhe
und Laͤuſe. Wolteich mich aber zu denen Gelehrten machen, ſo treffe
ich unter ihnen eine greuliche Menge Narren und Pedanten an. Igitur
quorſum? ad Deum, quia ibi fons & origo omnis boni deprehenditur.
Nach der Auferziehung folget der Umgang ſowohl mit gelehrten als unge-
lehrten Leuten. Heut zu Tage nennet man es insgemein eine Conduite, welche um
ſo viel eher obſerviret werden muß, jemehr bekannt iſt, daß dieſelbe eine auſſeror-
dentliche Gelegenheit derer ſchaͤndlichſten und verderblichſten Vorurtheile ſeyn
koͤnne, auch vielmal in der That geweſen iſt. Denn indem wir uns bemuͤhen, de-
nen Sitten anderer Leute, welche uns in die Augen leuchten, nachzuaͤffen, ſo fol-
get, ſo viel daraus, daß wann wir mit Ehrgeitzigen, Geldgeitzigen, Verliebten,
Eigenſinnigen und Stoͤckiſchen umgehen, wir ſelber vielmals wider unſer Na-
turel ehrgeitzig, verliebt, geldgeitzig, eigenſinnig und ſtoͤckiſch werden muͤſſen.
Sind aber die Leute mit welchen wir zu converſiren gewohnet ſind andaͤchtig,
bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich und artig, ſo bemuͤhen wir uns eben-
falls, im gemeinen Leben, andaͤchtig, bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich, und
artig, und von groſſem Nachdencken zu werden. Es haben dannenhero
die heutigen Politici nicht unrecht, wann ſie den gantzen Menſchen aus ſeiner
Auffuͤhrung beurtheilen wollen, weil doch ein jeglicher in der Conduite zeigen
muß, was er in der That verſtehe und gelernet habe. Fuͤhret fich nun einer
in ſeinem Leben ſaͤuiſch, unflaͤtiſch, oder wie ein Magiſter Suum und anderer
Stuͤcktoͤffel auf, ſo muͤſſen ihn auch alle geſcheite Leute vor einen unflaͤtigen,
ſaͤuiſchen und haͤßlichen Menſchen halten, wann er gleich darwider mit Haͤn-
den und Fuͤſſen ſtrampeln, ja ſich gar daruͤber die Krauße entzwey reiſſen wolte.
Dahero halte ich das Judicium jenes ſcharffſinnigen Philoſophi vor richtig, wann
er ſpricht: Halb ſtudirt, und eine gute Conduite, hilfft durch die gantze
Welt. Denn wann einer gleich gelehrter als Socrates, von Statur groͤſſer
als Goliath waͤre, mehrere Gedancken in ſeinen krummen Beinen als Archi-
medes in ſeinem Kopff fuͤhrte, weit erſchrecklichere Metaphyſiſche Diſtinctio-
nes, pro & contra Diviſiones in ſeinem Gehirne, als etwa die alten Spittel-
Muͤttergen Floͤhe in ihren Lumpichten Peltzen hegte, ein weit graͤmiſchers und
tyranniſchers Geſichte als der bucklichte Ariſtoteles, und der breitſchultrichte
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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/228>, abgerufen am 16.02.2025.
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