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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
das Erreichbare erreicht schien und eine neue Anspannung der
Kräfte kein Ziel und keinen Erfolg mehr vor sich sah. So hört
die lebendige Fortführung der Lehre auf; sie erstarrt in Formeln
und Dogmen, um deren Buchstaben die Theologen in Ermange-
lung anderer Gegner mit den eigenen Glaubensgenossen erbit-
terte Kämpfe führen. Gleicherweise bethätigt Schulgezänk das
Leben der Gelehrten in der Oeffentlichkeit. Das Volk nahm
wenig Theil an solchem Kampfe, obwohl er von der Kanzel herab
wie in der Schrift geführt wurde, denn es hatte genug mit sich selbst
zu thun. Ihm war das Gefühl allgemeiner Sündhaftigkeit ge-
kommen; es war, als ob die Angst der Sünde, die Schuld auf
dem Gewissen lastete, und die Geistlichkeit war bemüht, die Hölle
heiß zu machen, um von der gewonnenen Herrschaft über die Ge-
wissen nichts einzubüßen. Als Andreas Musculus einmal den
"Hosenteufel" erfunden hatte, tauchten eine Menge verschiedener
Teufel auf, einer schrecklicher ausgemalt als der andere, bis ein
ganzes theatrum diabolorum von solchen Predigten zusammen-
gestellt werden konnte. Da gab es denn noch einen Zauberteu-
fel, einen Heiligenteufel, einen Bannteufel, Jagdteufel, Fluch-
teufel, Gesindteufel, Saufteufel, Eheteufel, Geizteufel, Schrap-
teufel, Hoffartsteufel, Pestilenzteufel und andere noch, wie sie
die Geistlichen für nöthig hielten, um bei dem Sinken des reli-
giösen Lebens wenigstens moralisirend ihren Einfluß zu behaup-
ten und ihren theologischen Eifer zu bethätigen.

Es ist merkwürdig, wie ihnen in diesem Bestreben absicht-
lich oder unabsichtlich, aber einstimmend die Kunst zu Hülfe
kommt, besonders der Kupferstich, welcher nun in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts wie der Holzschnitt in der ersten mit
dem Volke verwächst und bildlich alle Regungen seines Lebens
offenbart. Während der Katholicismus in unzähligen kleinen
Kupferstichen das Leben der Einsiedler und die Marter der Hei-
ligen vorführt und sie unter das Volk verbreitet, den religiösen
Sinn wieder zu erwecken, sind es im Protestantismus vorzugs-
weise moralisirende Gegenstände. Zu den beliebtesten gehören
die klugen und thörichten Jungfrauen und Allegorien wie die

III. Die Neuzeit.
das Erreichbare erreicht ſchien und eine neue Anſpannung der
Kräfte kein Ziel und keinen Erfolg mehr vor ſich ſah. So hört
die lebendige Fortführung der Lehre auf; ſie erſtarrt in Formeln
und Dogmen, um deren Buchſtaben die Theologen in Ermange-
lung anderer Gegner mit den eigenen Glaubensgenoſſen erbit-
terte Kämpfe führen. Gleicherweiſe bethätigt Schulgezänk das
Leben der Gelehrten in der Oeffentlichkeit. Das Volk nahm
wenig Theil an ſolchem Kampfe, obwohl er von der Kanzel herab
wie in der Schrift geführt wurde, denn es hatte genug mit ſich ſelbſt
zu thun. Ihm war das Gefühl allgemeiner Sündhaftigkeit ge-
kommen; es war, als ob die Angſt der Sünde, die Schuld auf
dem Gewiſſen laſtete, und die Geiſtlichkeit war bemüht, die Hölle
heiß zu machen, um von der gewonnenen Herrſchaft über die Ge-
wiſſen nichts einzubüßen. Als Andreas Musculus einmal den
„Hoſenteufel“ erfunden hatte, tauchten eine Menge verſchiedener
Teufel auf, einer ſchrecklicher ausgemalt als der andere, bis ein
ganzes theatrum diabolorum von ſolchen Predigten zuſammen-
geſtellt werden konnte. Da gab es denn noch einen Zauberteu-
fel, einen Heiligenteufel, einen Bannteufel, Jagdteufel, Fluch-
teufel, Geſindteufel, Saufteufel, Eheteufel, Geizteufel, Schrap-
teufel, Hoffartsteufel, Peſtilenzteufel und andere noch, wie ſie
die Geiſtlichen für nöthig hielten, um bei dem Sinken des reli-
giöſen Lebens wenigſtens moraliſirend ihren Einfluß zu behaup-
ten und ihren theologiſchen Eifer zu bethätigen.

Es iſt merkwürdig, wie ihnen in dieſem Beſtreben abſicht-
lich oder unabſichtlich, aber einſtimmend die Kunſt zu Hülfe
kommt, beſonders der Kupferſtich, welcher nun in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts wie der Holzſchnitt in der erſten mit
dem Volke verwächſt und bildlich alle Regungen ſeines Lebens
offenbart. Während der Katholicismus in unzähligen kleinen
Kupferſtichen das Leben der Einſiedler und die Marter der Hei-
ligen vorführt und ſie unter das Volk verbreitet, den religiöſen
Sinn wieder zu erwecken, ſind es im Proteſtantismus vorzugs-
weiſe moraliſirende Gegenſtände. Zu den beliebteſten gehören
die klugen und thörichten Jungfrauen und Allegorien wie die

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[82/0094] III. Die Neuzeit. das Erreichbare erreicht ſchien und eine neue Anſpannung der Kräfte kein Ziel und keinen Erfolg mehr vor ſich ſah. So hört die lebendige Fortführung der Lehre auf; ſie erſtarrt in Formeln und Dogmen, um deren Buchſtaben die Theologen in Ermange- lung anderer Gegner mit den eigenen Glaubensgenoſſen erbit- terte Kämpfe führen. Gleicherweiſe bethätigt Schulgezänk das Leben der Gelehrten in der Oeffentlichkeit. Das Volk nahm wenig Theil an ſolchem Kampfe, obwohl er von der Kanzel herab wie in der Schrift geführt wurde, denn es hatte genug mit ſich ſelbſt zu thun. Ihm war das Gefühl allgemeiner Sündhaftigkeit ge- kommen; es war, als ob die Angſt der Sünde, die Schuld auf dem Gewiſſen laſtete, und die Geiſtlichkeit war bemüht, die Hölle heiß zu machen, um von der gewonnenen Herrſchaft über die Ge- wiſſen nichts einzubüßen. Als Andreas Musculus einmal den „Hoſenteufel“ erfunden hatte, tauchten eine Menge verſchiedener Teufel auf, einer ſchrecklicher ausgemalt als der andere, bis ein ganzes theatrum diabolorum von ſolchen Predigten zuſammen- geſtellt werden konnte. Da gab es denn noch einen Zauberteu- fel, einen Heiligenteufel, einen Bannteufel, Jagdteufel, Fluch- teufel, Geſindteufel, Saufteufel, Eheteufel, Geizteufel, Schrap- teufel, Hoffartsteufel, Peſtilenzteufel und andere noch, wie ſie die Geiſtlichen für nöthig hielten, um bei dem Sinken des reli- giöſen Lebens wenigſtens moraliſirend ihren Einfluß zu behaup- ten und ihren theologiſchen Eifer zu bethätigen. Es iſt merkwürdig, wie ihnen in dieſem Beſtreben abſicht- lich oder unabſichtlich, aber einſtimmend die Kunſt zu Hülfe kommt, beſonders der Kupferſtich, welcher nun in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wie der Holzſchnitt in der erſten mit dem Volke verwächſt und bildlich alle Regungen ſeines Lebens offenbart. Während der Katholicismus in unzähligen kleinen Kupferſtichen das Leben der Einſiedler und die Marter der Hei- ligen vorführt und ſie unter das Volk verbreitet, den religiöſen Sinn wieder zu erwecken, ſind es im Proteſtantismus vorzugs- weiſe moraliſirende Gegenſtände. Zu den beliebteſten gehören die klugen und thörichten Jungfrauen und Allegorien wie die

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/94>, abgerufen am 27.04.2024.