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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Tracht der Bräute in Augsburg in ähnlichem Sinne veränderte.
Bis dahin hatten sie an diesem Ehrentage auf dem Haupt einen
Schleier "mit viel Falten und zwei Ecken" getragen, in diesem
Jahr aber geschah es bei der Hochzeit der Anna Fugger mit einem
Ungar Georg Turzo zum ersten Mal, daß die Braut "mit hinter
sich hangenden Haarzöpfen und einem Kranz von Kräutern und
schönen Blumen auf bloßem Haupt und auch nur in einem engen
und nachschleifenden Oberrock (ohne Mantel) bei uns gen Kirchen
geführt wurde." Unter den Haarzöpfen ist hier wie früher wohl
nur das lange gelockte Haar gedacht, welches sich dann noch
länger und an verschiedenen Stellen als Tracht der Bräute und
Brautjungfern erhalten hat.

Aber das völlig freie Haar schien sich nicht mit dem übrigen
männlichen Charakter des Kopfes vereinigen zu lassen, und nach-
dem es kaum den Versuch zur Freiheit gemacht hat, sehen wir es
wieder in die Haarhaube oder Calotte eingeschlossen. Doch nicht
völlig, denn, als ob es Protest gegen diesen Zwang in solcher
ungebundenen Zeit einlegen wollte, stehlen sich immer einzelne
Locken an Stirn, Schläfen und im Nacken heraus und treiben,
scheinbar unbeachtet und vernachlässigt, ein loses Spiel. Wir
können das so unzählige Male beobachten, z. B. an cranachschen
Frauen, daß es förmlich als Regel erscheint. -- Zöpfe und
Flechten bleiben in dieser Zeit der Stolz der jungen Dorfschönen,
denen Barett und Haarhaube verboten und nur allein "ein Haar-
bändlein von Seide" gestattet war. Ein goldenes Band muß
auch zuweilen die Haare einer stolzeren, vornehmeren Schönen
umschlingen und unter dem Barett die Calotte ersetzen.

Auch die Fußbekleidung der Frauen folgt genau der
männlichen. Zwar werden die Füße äußerst selten sichtbar, theils
weil die lange Kleidung sie verhüllte, theils weil es wider den
Anstand war, und es ist wahrlich kein Schade darum, da die
Schönheit des Fußes ohnehin durch die mißgestaltete Form des
Schuhes verloren ging. Wenn aber irgend eine zufällige
Situation auf Bildern einen freien Blick gestattet, so sehen wir
die Fußspitze in demselben breiten Schnabel stecken, der farbig

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Tracht der Bräute in Augsburg in ähnlichem Sinne veränderte.
Bis dahin hatten ſie an dieſem Ehrentage auf dem Haupt einen
Schleier „mit viel Falten und zwei Ecken“ getragen, in dieſem
Jahr aber geſchah es bei der Hochzeit der Anna Fugger mit einem
Ungar Georg Turzo zum erſten Mal, daß die Braut „mit hinter
ſich hangenden Haarzöpfen und einem Kranz von Kräutern und
ſchönen Blumen auf bloßem Haupt und auch nur in einem engen
und nachſchleifenden Oberrock (ohne Mantel) bei uns gen Kirchen
geführt wurde.“ Unter den Haarzöpfen iſt hier wie früher wohl
nur das lange gelockte Haar gedacht, welches ſich dann noch
länger und an verſchiedenen Stellen als Tracht der Bräute und
Brautjungfern erhalten hat.

Aber das völlig freie Haar ſchien ſich nicht mit dem übrigen
männlichen Charakter des Kopfes vereinigen zu laſſen, und nach-
dem es kaum den Verſuch zur Freiheit gemacht hat, ſehen wir es
wieder in die Haarhaube oder Calotte eingeſchloſſen. Doch nicht
völlig, denn, als ob es Proteſt gegen dieſen Zwang in ſolcher
ungebundenen Zeit einlegen wollte, ſtehlen ſich immer einzelne
Locken an Stirn, Schläfen und im Nacken heraus und treiben,
ſcheinbar unbeachtet und vernachläſſigt, ein loſes Spiel. Wir
können das ſo unzählige Male beobachten, z. B. an cranachſchen
Frauen, daß es förmlich als Regel erſcheint. — Zöpfe und
Flechten bleiben in dieſer Zeit der Stolz der jungen Dorfſchönen,
denen Barett und Haarhaube verboten und nur allein „ein Haar-
bändlein von Seide“ geſtattet war. Ein goldenes Band muß
auch zuweilen die Haare einer ſtolzeren, vornehmeren Schönen
umſchlingen und unter dem Barett die Calotte erſetzen.

Auch die Fußbekleidung der Frauen folgt genau der
männlichen. Zwar werden die Füße äußerſt ſelten ſichtbar, theils
weil die lange Kleidung ſie verhüllte, theils weil es wider den
Anſtand war, und es iſt wahrlich kein Schade darum, da die
Schönheit des Fußes ohnehin durch die mißgeſtaltete Form des
Schuhes verloren ging. Wenn aber irgend eine zufällige
Situation auf Bildern einen freien Blick geſtattet, ſo ſehen wir
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[69/0081] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Tracht der Bräute in Augsburg in ähnlichem Sinne veränderte. Bis dahin hatten ſie an dieſem Ehrentage auf dem Haupt einen Schleier „mit viel Falten und zwei Ecken“ getragen, in dieſem Jahr aber geſchah es bei der Hochzeit der Anna Fugger mit einem Ungar Georg Turzo zum erſten Mal, daß die Braut „mit hinter ſich hangenden Haarzöpfen und einem Kranz von Kräutern und ſchönen Blumen auf bloßem Haupt und auch nur in einem engen und nachſchleifenden Oberrock (ohne Mantel) bei uns gen Kirchen geführt wurde.“ Unter den Haarzöpfen iſt hier wie früher wohl nur das lange gelockte Haar gedacht, welches ſich dann noch länger und an verſchiedenen Stellen als Tracht der Bräute und Brautjungfern erhalten hat. Aber das völlig freie Haar ſchien ſich nicht mit dem übrigen männlichen Charakter des Kopfes vereinigen zu laſſen, und nach- dem es kaum den Verſuch zur Freiheit gemacht hat, ſehen wir es wieder in die Haarhaube oder Calotte eingeſchloſſen. Doch nicht völlig, denn, als ob es Proteſt gegen dieſen Zwang in ſolcher ungebundenen Zeit einlegen wollte, ſtehlen ſich immer einzelne Locken an Stirn, Schläfen und im Nacken heraus und treiben, ſcheinbar unbeachtet und vernachläſſigt, ein loſes Spiel. Wir können das ſo unzählige Male beobachten, z. B. an cranachſchen Frauen, daß es förmlich als Regel erſcheint. — Zöpfe und Flechten bleiben in dieſer Zeit der Stolz der jungen Dorfſchönen, denen Barett und Haarhaube verboten und nur allein „ein Haar- bändlein von Seide“ geſtattet war. Ein goldenes Band muß auch zuweilen die Haare einer ſtolzeren, vornehmeren Schönen umſchlingen und unter dem Barett die Calotte erſetzen. Auch die Fußbekleidung der Frauen folgt genau der männlichen. Zwar werden die Füße äußerſt ſelten ſichtbar, theils weil die lange Kleidung ſie verhüllte, theils weil es wider den Anſtand war, und es iſt wahrlich kein Schade darum, da die Schönheit des Fußes ohnehin durch die mißgeſtaltete Form des Schuhes verloren ging. Wenn aber irgend eine zufällige Situation auf Bildern einen freien Blick geſtattet, ſo ſehen wir die Fußſpitze in demſelben breiten Schnabel ſtecken, der farbig

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/81>, abgerufen am 27.04.2024.