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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
erhöht. Nirgends war eine Schranke, irgend ein Gesetz, welches
der überschwänglichsten Laune ein Hinderniß geboten hätte; die
Reichsordnung von 1530 nahm den Soldaten im Felde aus-
drücklich von aller Verpflichtung aus und erlaubte ihm in Stoff
und Schnitt sich zu kleiden, wie er wollte. Zuerst waren es ein-
fache, grade Schnitte gewesen, welche entweder senkrecht oder
rundherum den Gelenken Luft verschafft hatten. Sowie man
darüber hinausging, brauchte man auch nicht bei diesen einfachen
Schlitzen stehen zu bleiben. Um das Knie herum bildete sich ein
schleifenartiger Kranz, der fast stehend wurde. Man versuchte es
erst noch auf den Schenkeln, auf Brust, Rücken und Aermeln
kleine grade Schlitze zu machen, aber man stellte sie bald figürlich
zusammen, sowie man auch mit krummen, welligen, flammenden
abwechselte. Man bildete Kreuze, Sterne, Blumen, Arabesken
in Tapetenmuster an geeigneten Plätzen, z. B. auf Brust und
Rücken, Sonnen mit flammenden Strahlen, die von einem Mit-
telpunkt, einer geschlitzten Rosette, ausgehen. Die Schlitze wach-
sen zu solchen Massen an, daß, was übrig bleibt, nur mehr oder
weniger schmale bandartige Streifen sind, welche wieder noch mit
kleinen Einschnitten versehen werden. Zuweilen bestehen diese
Streifen beim Beinkleid aus verschiedenfarbigen geflochtenen
Gurten, aus deren weiten Zwischenräumen das Unterfutter her-
vorscheint; zuweilen sind sie so schmal, daß sie den untergelegten
Stoff nur wie mit einem Netz überziehen, und auf die Knoten-
punkte sind kleine bunte Läppchen in Gestalt von Blumen oder
Sternen aufgenäht. Ein toller, wenn auch nicht grade phanta-
siereicher Kopf hat gar den Einfall gehabt, mit dem einen Bein
seiner Hose ein ganzes Fenster mit den kleinen runden Butzen-
scheiben und der Bleieinfassung nachahmen zu wollen. Andere
schneiden dreieckige und viereckige Löcher in den obern Stoff und
lassen die Lappen hängen; andere zerschneiden wieder den Rand
der Schlitze in Zacken oder wellige Linien. In dieser bunten
Willkür ist alle Symmetrie verschwunden; wenigstens sind es
die bei weitem seltneren Fälle, wenn ein Arm dem andern, die
Brust dem Rücken, ein Schenkel dem andern in dem Muster der

III. Die Neuzeit.
erhöht. Nirgends war eine Schranke, irgend ein Geſetz, welches
der überſchwänglichſten Laune ein Hinderniß geboten hätte; die
Reichsordnung von 1530 nahm den Soldaten im Felde aus-
drücklich von aller Verpflichtung aus und erlaubte ihm in Stoff
und Schnitt ſich zu kleiden, wie er wollte. Zuerſt waren es ein-
fache, grade Schnitte geweſen, welche entweder ſenkrecht oder
rundherum den Gelenken Luft verſchafft hatten. Sowie man
darüber hinausging, brauchte man auch nicht bei dieſen einfachen
Schlitzen ſtehen zu bleiben. Um das Knie herum bildete ſich ein
ſchleifenartiger Kranz, der faſt ſtehend wurde. Man verſuchte es
erſt noch auf den Schenkeln, auf Bruſt, Rücken und Aermeln
kleine grade Schlitze zu machen, aber man ſtellte ſie bald figürlich
zuſammen, ſowie man auch mit krummen, welligen, flammenden
abwechſelte. Man bildete Kreuze, Sterne, Blumen, Arabesken
in Tapetenmuſter an geeigneten Plätzen, z. B. auf Bruſt und
Rücken, Sonnen mit flammenden Strahlen, die von einem Mit-
telpunkt, einer geſchlitzten Roſette, ausgehen. Die Schlitze wach-
ſen zu ſolchen Maſſen an, daß, was übrig bleibt, nur mehr oder
weniger ſchmale bandartige Streifen ſind, welche wieder noch mit
kleinen Einſchnitten verſehen werden. Zuweilen beſtehen dieſe
Streifen beim Beinkleid aus verſchiedenfarbigen geflochtenen
Gurten, aus deren weiten Zwiſchenräumen das Unterfutter her-
vorſcheint; zuweilen ſind ſie ſo ſchmal, daß ſie den untergelegten
Stoff nur wie mit einem Netz überziehen, und auf die Knoten-
punkte ſind kleine bunte Läppchen in Geſtalt von Blumen oder
Sternen aufgenäht. Ein toller, wenn auch nicht grade phanta-
ſiereicher Kopf hat gar den Einfall gehabt, mit dem einen Bein
ſeiner Hoſe ein ganzes Fenſter mit den kleinen runden Butzen-
ſcheiben und der Bleieinfaſſung nachahmen zu wollen. Andere
ſchneiden dreieckige und viereckige Löcher in den obern Stoff und
laſſen die Lappen hängen; andere zerſchneiden wieder den Rand
der Schlitze in Zacken oder wellige Linien. In dieſer bunten
Willkür iſt alle Symmetrie verſchwunden; wenigſtens ſind es
die bei weitem ſeltneren Fälle, wenn ein Arm dem andern, die
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[42/0054] III. Die Neuzeit. erhöht. Nirgends war eine Schranke, irgend ein Geſetz, welches der überſchwänglichſten Laune ein Hinderniß geboten hätte; die Reichsordnung von 1530 nahm den Soldaten im Felde aus- drücklich von aller Verpflichtung aus und erlaubte ihm in Stoff und Schnitt ſich zu kleiden, wie er wollte. Zuerſt waren es ein- fache, grade Schnitte geweſen, welche entweder ſenkrecht oder rundherum den Gelenken Luft verſchafft hatten. Sowie man darüber hinausging, brauchte man auch nicht bei dieſen einfachen Schlitzen ſtehen zu bleiben. Um das Knie herum bildete ſich ein ſchleifenartiger Kranz, der faſt ſtehend wurde. Man verſuchte es erſt noch auf den Schenkeln, auf Bruſt, Rücken und Aermeln kleine grade Schlitze zu machen, aber man ſtellte ſie bald figürlich zuſammen, ſowie man auch mit krummen, welligen, flammenden abwechſelte. Man bildete Kreuze, Sterne, Blumen, Arabesken in Tapetenmuſter an geeigneten Plätzen, z. B. auf Bruſt und Rücken, Sonnen mit flammenden Strahlen, die von einem Mit- telpunkt, einer geſchlitzten Roſette, ausgehen. Die Schlitze wach- ſen zu ſolchen Maſſen an, daß, was übrig bleibt, nur mehr oder weniger ſchmale bandartige Streifen ſind, welche wieder noch mit kleinen Einſchnitten verſehen werden. Zuweilen beſtehen dieſe Streifen beim Beinkleid aus verſchiedenfarbigen geflochtenen Gurten, aus deren weiten Zwiſchenräumen das Unterfutter her- vorſcheint; zuweilen ſind ſie ſo ſchmal, daß ſie den untergelegten Stoff nur wie mit einem Netz überziehen, und auf die Knoten- punkte ſind kleine bunte Läppchen in Geſtalt von Blumen oder Sternen aufgenäht. Ein toller, wenn auch nicht grade phanta- ſiereicher Kopf hat gar den Einfall gehabt, mit dem einen Bein ſeiner Hoſe ein ganzes Fenſter mit den kleinen runden Butzen- ſcheiben und der Bleieinfaſſung nachahmen zu wollen. Andere ſchneiden dreieckige und viereckige Löcher in den obern Stoff und laſſen die Lappen hängen; andere zerſchneiden wieder den Rand der Schlitze in Zacken oder wellige Linien. In dieſer bunten Willkür iſt alle Symmetrie verſchwunden; wenigſtens ſind es die bei weitem ſeltneren Fälle, wenn ein Arm dem andern, die Bruſt dem Rücken, ein Schenkel dem andern in dem Muſter der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/54>, abgerufen am 27.04.2024.