der Zeit mit den Schlägen der Zukunft es aufzunehmen ge- denkt.
Es ist interessant, an historischen Köpfen, soweit uns Por- traits aus verschiedenen Altersstufen vorliegen, diesen Wandel des Haares zu verfolgen. Kaiser Maximilian trug, wie wir schon früher mitgetheilt haben, in der ersten Hälfte seines Lebens zu glattem Gesicht die langen, wohlgepflegten blonden Locken in wenig krauser Gestalt; die späteren Portraits aber zeigen die ausgebildete Kolbe ohne Bart, dessen Blüthezeit er nicht mehr erlebte. Nicht weniger eitel auf die Fülle der langen blonden Locken, die er auch so unnachahmlich zu malen verstand, war sein Freund Dürer; auf seinen bekannten Selbstportraits sehen wir sie von der gescheitelten Stirn herabfließen und reich die Schultern umwallen. Trotz dieser Eitelkeit folgte er dennoch der wandelnden Mode, verschnitt das Haar über der Stirn, legte die Locken ab und ließ den Bart wachsen; und so sehen wir dann auf den späteren Portraits, etwa der letzten zehn Jahre seines Lebens, wie sie Medaillen und Holzschnitte darbieten, die Kolbe und den gestumpften Vollbart in völlig regelrechter Gestalt. Karl V. und Ferdinand I. wuchsen grade hinein in die Sitte der Kolbe und des Bartes; darum zeigen nur ihre Jugendportraits die erstere ohne den zweiten; aber spanische Einflüsse gaben bald dem Bart eine spitzere Gestalt und erlaubten dann auch ihrem Haar nur kürzeren Wuchs.
In einer so aufgeregten Zeit, wie die erste Hälfte des sechs- zehnten Jahrhunderts, die sich mannichfach in Extremen erging, mußte freilich die Regel der Ausnahmen gar viele zulassen; sie zeigen sich auch an Haupthaar und Bart. Jenes fühlte sich nicht immer mit der Kürze der Kolbe befriedigt, und so tritt hier und da, namentlich an soldatischen Köpfen, ein ganz kurzer, nachläs- sig unregelmäßiger Schnitt auf, noch lange bevor unter dem Einfluß der spanischen Mode die hoch zu Halse gehende Krause zu dieser Mode zwang. Weit seltener ist es, wenn die Locken noch nicht gefällt sind und tiefer an Hals und Nacken herunter- hängen. Mannigfaltiger sind die Formen des Bartes, aber im
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
der Zeit mit den Schlägen der Zukunft es aufzunehmen ge- denkt.
Es iſt intereſſant, an hiſtoriſchen Köpfen, ſoweit uns Por- traits aus verſchiedenen Altersſtufen vorliegen, dieſen Wandel des Haares zu verfolgen. Kaiſer Maximilian trug, wie wir ſchon früher mitgetheilt haben, in der erſten Hälfte ſeines Lebens zu glattem Geſicht die langen, wohlgepflegten blonden Locken in wenig krauſer Geſtalt; die ſpäteren Portraits aber zeigen die ausgebildete Kolbe ohne Bart, deſſen Blüthezeit er nicht mehr erlebte. Nicht weniger eitel auf die Fülle der langen blonden Locken, die er auch ſo unnachahmlich zu malen verſtand, war ſein Freund Dürer; auf ſeinen bekannten Selbſtportraits ſehen wir ſie von der geſcheitelten Stirn herabfließen und reich die Schultern umwallen. Trotz dieſer Eitelkeit folgte er dennoch der wandelnden Mode, verſchnitt das Haar über der Stirn, legte die Locken ab und ließ den Bart wachſen; und ſo ſehen wir dann auf den ſpäteren Portraits, etwa der letzten zehn Jahre ſeines Lebens, wie ſie Medaillen und Holzſchnitte darbieten, die Kolbe und den geſtumpften Vollbart in völlig regelrechter Geſtalt. Karl V. und Ferdinand I. wuchſen grade hinein in die Sitte der Kolbe und des Bartes; darum zeigen nur ihre Jugendportraits die erſtere ohne den zweiten; aber ſpaniſche Einflüſſe gaben bald dem Bart eine ſpitzere Geſtalt und erlaubten dann auch ihrem Haar nur kürzeren Wuchs.
In einer ſo aufgeregten Zeit, wie die erſte Hälfte des ſechs- zehnten Jahrhunderts, die ſich mannichfach in Extremen erging, mußte freilich die Regel der Ausnahmen gar viele zulaſſen; ſie zeigen ſich auch an Haupthaar und Bart. Jenes fühlte ſich nicht immer mit der Kürze der Kolbe befriedigt, und ſo tritt hier und da, namentlich an ſoldatiſchen Köpfen, ein ganz kurzer, nachläſ- ſig unregelmäßiger Schnitt auf, noch lange bevor unter dem Einfluß der ſpaniſchen Mode die hoch zu Halſe gehende Krauſe zu dieſer Mode zwang. Weit ſeltener iſt es, wenn die Locken noch nicht gefällt ſind und tiefer an Hals und Nacken herunter- hängen. Mannigfaltiger ſind die Formen des Bartes, aber im
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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
der Zeit mit den Schlägen der Zukunft es aufzunehmen ge-
denkt.
Es iſt intereſſant, an hiſtoriſchen Köpfen, ſoweit uns Por-
traits aus verſchiedenen Altersſtufen vorliegen, dieſen Wandel
des Haares zu verfolgen. Kaiſer Maximilian trug, wie wir ſchon
früher mitgetheilt haben, in der erſten Hälfte ſeines Lebens zu
glattem Geſicht die langen, wohlgepflegten blonden Locken in
wenig krauſer Geſtalt; die ſpäteren Portraits aber zeigen die
ausgebildete Kolbe ohne Bart, deſſen Blüthezeit er nicht mehr
erlebte. Nicht weniger eitel auf die Fülle der langen blonden
Locken, die er auch ſo unnachahmlich zu malen verſtand, war
ſein Freund Dürer; auf ſeinen bekannten Selbſtportraits ſehen
wir ſie von der geſcheitelten Stirn herabfließen und reich die
Schultern umwallen. Trotz dieſer Eitelkeit folgte er dennoch der
wandelnden Mode, verſchnitt das Haar über der Stirn, legte die
Locken ab und ließ den Bart wachſen; und ſo ſehen wir dann
auf den ſpäteren Portraits, etwa der letzten zehn Jahre ſeines
Lebens, wie ſie Medaillen und Holzſchnitte darbieten, die Kolbe
und den geſtumpften Vollbart in völlig regelrechter Geſtalt.
Karl V. und Ferdinand I. wuchſen grade hinein in die Sitte der
Kolbe und des Bartes; darum zeigen nur ihre Jugendportraits
die erſtere ohne den zweiten; aber ſpaniſche Einflüſſe gaben bald
dem Bart eine ſpitzere Geſtalt und erlaubten dann auch ihrem
Haar nur kürzeren Wuchs.
In einer ſo aufgeregten Zeit, wie die erſte Hälfte des ſechs-
zehnten Jahrhunderts, die ſich mannichfach in Extremen erging,
mußte freilich die Regel der Ausnahmen gar viele zulaſſen; ſie
zeigen ſich auch an Haupthaar und Bart. Jenes fühlte ſich nicht
immer mit der Kürze der Kolbe befriedigt, und ſo tritt hier und
da, namentlich an ſoldatiſchen Köpfen, ein ganz kurzer, nachläſ-
ſig unregelmäßiger Schnitt auf, noch lange bevor unter dem
Einfluß der ſpaniſchen Mode die hoch zu Halſe gehende Krauſe
zu dieſer Mode zwang. Weit ſeltener iſt es, wenn die Locken
noch nicht gefällt ſind und tiefer an Hals und Nacken herunter-
hängen. Mannigfaltiger ſind die Formen des Bartes, aber im
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/35>, abgerufen am 08.07.2024.
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