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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
sie das weiße oder hellbunte Halstuch, daß es weit über das
Kinn vorsteht; die Löwen des Tages oder, wie sie damals ge-
nannt wurden, die "Incroyables" banden auch wohl drei dersel-
ben über einander.

Sowie der einfache, ungeschmückte Frack zur allgemeinen
Tracht in Frankreich geworden war, emancipirten sich die In-
croyables wieder von ihm und nahmen, um sich den äußersten
volksmäßigen Anstrich zu geben, aus der untersten Classe des
Volks den Rock herauf, welcher, eine plebejische Umformung
des Rockes oder Wammses aus der Zeit Ludwigs XIV., in dem
Allgemeinen seines Schnittes ganz dem heutigen gleicht. Wir
sind also hiermit, etwa um das Jahr 1797, auf das erste Er-
scheinen unseres gewöhnlichen Männerrockes in der gesellschaft-
lichen Welt gekommen. Allein damals blieb er noch die Tracht
der Incroyables. Vom Frack unterschied ihn wie heute nur die
Vollständigkeit der Schöße; sonst hatte er den hohen umgelegten
Kragen und die breiten Brustüberschläge.

Mit dem Kampfe zwischen Stiefel und Schuh steht die Ge-
schichte des Beinkleides in Verbindung. Sowie die engli-
schen Stulpstiefeln auftraten, rückte die Hose am Knie ein we-
nig herunter, um den Saum im Stiefel zu verbergen; an den
Seiten erhielt sie dann eine kurze, mit Knöpfen versehene
Schlitzung, damit sie um das Knie fester schließen konnte. Da
man im Beginn der neunziger Jahre dann auch Halbstiefel trug,
welche nur bis zur Wade reichten, und ebenfalls die verlängerte
Hose in sie hineinzog, so war der letzte Schritt, der in der Ver-
wilderung des Terrorismus geschah, nicht mehr schwer: man
zog das Beinkleid über die Stiefel und verlängerte es bis zum
Fuß. Unter dem Directorium machte sich zwar abermals wieder
eine Reaction zu Gunsten von Schuh und Strümpfen geltend,
und schon jubelten die Freunde des Alten, daß die süße Zier-
lichkeit gerettet sei und das wohlgeformte Bein ebenso wie früher
mit leichtem Schuh und elegantem Strumpf und nicht mit dem
plumpen, schweren Stiefel im Salon auftreten könne: aber da
schreitet die Entwicklung auf's neue, ohne sich zu überstürzen, in

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſie das weiße oder hellbunte Halstuch, daß es weit über das
Kinn vorſteht; die Löwen des Tages oder, wie ſie damals ge-
nannt wurden, die „Incroyables“ banden auch wohl drei derſel-
ben über einander.

Sowie der einfache, ungeſchmückte Frack zur allgemeinen
Tracht in Frankreich geworden war, emancipirten ſich die In-
croyables wieder von ihm und nahmen, um ſich den äußerſten
volksmäßigen Anſtrich zu geben, aus der unterſten Claſſe des
Volks den Rock herauf, welcher, eine plebejiſche Umformung
des Rockes oder Wammſes aus der Zeit Ludwigs XIV., in dem
Allgemeinen ſeines Schnittes ganz dem heutigen gleicht. Wir
ſind alſo hiermit, etwa um das Jahr 1797, auf das erſte Er-
ſcheinen unſeres gewöhnlichen Männerrockes in der geſellſchaft-
lichen Welt gekommen. Allein damals blieb er noch die Tracht
der Incroyables. Vom Frack unterſchied ihn wie heute nur die
Vollſtändigkeit der Schöße; ſonſt hatte er den hohen umgelegten
Kragen und die breiten Bruſtüberſchläge.

Mit dem Kampfe zwiſchen Stiefel und Schuh ſteht die Ge-
ſchichte des Beinkleides in Verbindung. Sowie die engli-
ſchen Stulpſtiefeln auftraten, rückte die Hoſe am Knie ein we-
nig herunter, um den Saum im Stiefel zu verbergen; an den
Seiten erhielt ſie dann eine kurze, mit Knöpfen verſehene
Schlitzung, damit ſie um das Knie feſter ſchließen konnte. Da
man im Beginn der neunziger Jahre dann auch Halbſtiefel trug,
welche nur bis zur Wade reichten, und ebenfalls die verlängerte
Hoſe in ſie hineinzog, ſo war der letzte Schritt, der in der Ver-
wilderung des Terrorismus geſchah, nicht mehr ſchwer: man
zog das Beinkleid über die Stiefel und verlängerte es bis zum
Fuß. Unter dem Directorium machte ſich zwar abermals wieder
eine Reaction zu Gunſten von Schuh und Strümpfen geltend,
und ſchon jubelten die Freunde des Alten, daß die ſüße Zier-
lichkeit gerettet ſei und das wohlgeformte Bein ebenſo wie früher
mit leichtem Schuh und elegantem Strumpf und nicht mit dem
plumpen, ſchweren Stiefel im Salon auftreten könne: aber da
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[315/0327] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. ſie das weiße oder hellbunte Halstuch, daß es weit über das Kinn vorſteht; die Löwen des Tages oder, wie ſie damals ge- nannt wurden, die „Incroyables“ banden auch wohl drei derſel- ben über einander. Sowie der einfache, ungeſchmückte Frack zur allgemeinen Tracht in Frankreich geworden war, emancipirten ſich die In- croyables wieder von ihm und nahmen, um ſich den äußerſten volksmäßigen Anſtrich zu geben, aus der unterſten Claſſe des Volks den Rock herauf, welcher, eine plebejiſche Umformung des Rockes oder Wammſes aus der Zeit Ludwigs XIV., in dem Allgemeinen ſeines Schnittes ganz dem heutigen gleicht. Wir ſind alſo hiermit, etwa um das Jahr 1797, auf das erſte Er- ſcheinen unſeres gewöhnlichen Männerrockes in der geſellſchaft- lichen Welt gekommen. Allein damals blieb er noch die Tracht der Incroyables. Vom Frack unterſchied ihn wie heute nur die Vollſtändigkeit der Schöße; ſonſt hatte er den hohen umgelegten Kragen und die breiten Bruſtüberſchläge. Mit dem Kampfe zwiſchen Stiefel und Schuh ſteht die Ge- ſchichte des Beinkleides in Verbindung. Sowie die engli- ſchen Stulpſtiefeln auftraten, rückte die Hoſe am Knie ein we- nig herunter, um den Saum im Stiefel zu verbergen; an den Seiten erhielt ſie dann eine kurze, mit Knöpfen verſehene Schlitzung, damit ſie um das Knie feſter ſchließen konnte. Da man im Beginn der neunziger Jahre dann auch Halbſtiefel trug, welche nur bis zur Wade reichten, und ebenfalls die verlängerte Hoſe in ſie hineinzog, ſo war der letzte Schritt, der in der Ver- wilderung des Terrorismus geſchah, nicht mehr ſchwer: man zog das Beinkleid über die Stiefel und verlängerte es bis zum Fuß. Unter dem Directorium machte ſich zwar abermals wieder eine Reaction zu Gunſten von Schuh und Strümpfen geltend, und ſchon jubelten die Freunde des Alten, daß die ſüße Zier- lichkeit gerettet ſei und das wohlgeformte Bein ebenſo wie früher mit leichtem Schuh und elegantem Strumpf und nicht mit dem plumpen, ſchweren Stiefel im Salon auftreten könne: aber da ſchreitet die Entwicklung auf’s neue, ohne ſich zu überſtürzen, in

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/327>, abgerufen am 17.05.2024.