Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. hat die Kopftracht der Pariserinnen durchzumachen, und nachihnen dann bald auch die der übrigen modischen Welt. Auch hier stößt bei David's Bestrebungen die antike Nachahmung noch auf Widerspruch und muß sich erst durchkämpfen. Wenn auch mit den Jahren 1794 und 95 die mächtigen Gebäude zu- sammenstürzen und die Masse der Haare in verschiedenfach künst- licher Weise sich herabsenkt, so saß der Chignon, gewissermaßen der weibliche Zopf, immer noch im Nacken. Zudem brachte der männliche Tituskopf, der nun aufkam, auch die weiblichen Häupter in Verwirrung; ihm ähnlich wurden insbesondere Vor- derhaupt und Stirn mit herübergekämmtem wirren Gelock zu unfreundlichem Anblick bedeckt. Aber vor der Titusfrisur fiel doch der Chignon, und nun wurde das Haar der Frauen ver- schnitten und wild um den Kopf gekräuselt: Nacken, Hals und Rücken wurden frei. Erst gegen das Ende des Jahrhunderts er- greift die Gräkomanie die Haare, und obwohl man mit großer Freiheit zu Werke ging, bildete man doch die Formen im Cha- rakter der mannichfachen Frauenköpfe aus der römischen Kaiser- zeit. Ja so sehr folgte man den damaligen Moden, daß man selbst die Damenperrücken wieder einführte, deren Muster bekanntlich in ablösbaren Marmorfrisuren noch an Statuen vor- handen sind. So erlebte jetzt die Perrücke noch ein Nachleben, gleichsam einen Frauensommer, nachdem sie soweit verschwunden war, daß sie in der Männerwelt nur noch der Geistlichkeit den Anschein des Ehrwürdigen zu geben oder die Blöße des Alters zu bedecken hatte. Diese Damenperrücken waren sehr künstlicher Art, den an- III. Die Neuzeit. hat die Kopftracht der Pariſerinnen durchzumachen, und nachihnen dann bald auch die der übrigen modiſchen Welt. Auch hier ſtößt bei David’s Beſtrebungen die antike Nachahmung noch auf Widerſpruch und muß ſich erſt durchkämpfen. Wenn auch mit den Jahren 1794 und 95 die mächtigen Gebäude zu- ſammenſtürzen und die Maſſe der Haare in verſchiedenfach künſt- licher Weiſe ſich herabſenkt, ſo ſaß der Chignon, gewiſſermaßen der weibliche Zopf, immer noch im Nacken. Zudem brachte der männliche Tituskopf, der nun aufkam, auch die weiblichen Häupter in Verwirrung; ihm ähnlich wurden insbeſondere Vor- derhaupt und Stirn mit herübergekämmtem wirren Gelock zu unfreundlichem Anblick bedeckt. Aber vor der Titusfriſur fiel doch der Chignon, und nun wurde das Haar der Frauen ver- ſchnitten und wild um den Kopf gekräuſelt: Nacken, Hals und Rücken wurden frei. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts er- greift die Gräkomanie die Haare, und obwohl man mit großer Freiheit zu Werke ging, bildete man doch die Formen im Cha- rakter der mannichfachen Frauenköpfe aus der römiſchen Kaiſer- zeit. Ja ſo ſehr folgte man den damaligen Moden, daß man ſelbſt die Damenperrücken wieder einführte, deren Muſter bekanntlich in ablösbaren Marmorfriſuren noch an Statuen vor- handen ſind. So erlebte jetzt die Perrücke noch ein Nachleben, gleichſam einen Frauenſommer, nachdem ſie ſoweit verſchwunden war, daß ſie in der Männerwelt nur noch der Geiſtlichkeit den Anſchein des Ehrwürdigen zu geben oder die Blöße des Alters zu bedecken hatte. Dieſe Damenperrücken waren ſehr künſtlicher Art, den an- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="312"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> hat die Kopftracht der Pariſerinnen durchzumachen, und nach<lb/> ihnen dann bald auch die der übrigen modiſchen Welt. Auch<lb/> hier ſtößt bei David’s Beſtrebungen die antike Nachahmung<lb/> noch auf Widerſpruch und muß ſich erſt durchkämpfen. 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III. Die Neuzeit.
hat die Kopftracht der Pariſerinnen durchzumachen, und nach
ihnen dann bald auch die der übrigen modiſchen Welt. Auch
hier ſtößt bei David’s Beſtrebungen die antike Nachahmung
noch auf Widerſpruch und muß ſich erſt durchkämpfen. Wenn
auch mit den Jahren 1794 und 95 die mächtigen Gebäude zu-
ſammenſtürzen und die Maſſe der Haare in verſchiedenfach künſt-
licher Weiſe ſich herabſenkt, ſo ſaß der Chignon, gewiſſermaßen
der weibliche Zopf, immer noch im Nacken. Zudem brachte der
männliche Tituskopf, der nun aufkam, auch die weiblichen
Häupter in Verwirrung; ihm ähnlich wurden insbeſondere Vor-
derhaupt und Stirn mit herübergekämmtem wirren Gelock zu
unfreundlichem Anblick bedeckt. Aber vor der Titusfriſur fiel
doch der Chignon, und nun wurde das Haar der Frauen ver-
ſchnitten und wild um den Kopf gekräuſelt: Nacken, Hals und
Rücken wurden frei. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts er-
greift die Gräkomanie die Haare, und obwohl man mit großer
Freiheit zu Werke ging, bildete man doch die Formen im Cha-
rakter der mannichfachen Frauenköpfe aus der römiſchen Kaiſer-
zeit. Ja ſo ſehr folgte man den damaligen Moden, daß man
ſelbſt die Damenperrücken wieder einführte, deren Muſter
bekanntlich in ablösbaren Marmorfriſuren noch an Statuen vor-
handen ſind. So erlebte jetzt die Perrücke noch ein Nachleben,
gleichſam einen Frauenſommer, nachdem ſie ſoweit verſchwunden
war, daß ſie in der Männerwelt nur noch der Geiſtlichkeit den
Anſchein des Ehrwürdigen zu geben oder die Blöße des Alters
zu bedecken hatte.
Dieſe Damenperrücken waren ſehr künſtlicher Art, den an-
tiken Formen nachgebildet und in der Farbe ſo gewählt, daß ſie
gegen Geſicht und Augenbrauen abſtachen: eine Blondine z. B.
mit weißem Teint und hellen Brauen ſetzte eine ſchwarze Per-
rücke auf, und die Brünette trug eine blonde. Täglich wechſelte
man auch mehrere Male mit verſchiedenen nach Grad und Be-
ſchaffenheit der Toilette. Man ſchreibt darüber im März 1800
aus Paris: „Selbſt an einem und demſelben Tage macht die
Kunſt der Perrücken oft an derſelben Perſon drei verſchiedene
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