Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er denTrägern sichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben giebt es andere Geister, die in anderer Weise aber nicht minder kräftig als Rousseau der Unnatur opponiren. Während die einen befriedigt in eitler Selbstgefälligkeit bloß mit sich und der Freund- schaft beschäftigt sind, durchbrechen andere gewaltsam die conven- tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem diejenigen Fesseln, welche der klügelnde Verstand, der Schema- tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt haben. So tritt der harmlosen Bornirtheit die Sturm- und Drang- periode gegenüber, der weinenden Empfindsamkeit die urwüchsige Kraftgenialität. Wenn diese nach Freiheit und Fessellosigkeit drängende Be- Es ist nicht schwer, diese Bewegung der Geister auch am III. Die Neuzeit. dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er denTrägern ſichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben giebt es andere Geiſter, die in anderer Weiſe aber nicht minder kräftig als Rouſſeau der Unnatur opponiren. Während die einen befriedigt in eitler Selbſtgefälligkeit bloß mit ſich und der Freund- ſchaft beſchäftigt ſind, durchbrechen andere gewaltſam die conven- tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem diejenigen Feſſeln, welche der klügelnde Verſtand, der Schema- tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt haben. So tritt der harmloſen Bornirtheit die Sturm- und Drang- periode gegenüber, der weinenden Empfindſamkeit die urwüchſige Kraftgenialität. Wenn dieſe nach Freiheit und Feſſelloſigkeit drängende Be- Es iſt nicht ſchwer, dieſe Bewegung der Geiſter auch am <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0308" n="296"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er den<lb/> Trägern ſichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben<lb/> giebt es andere Geiſter, die in anderer Weiſe aber nicht minder<lb/> kräftig als Rouſſeau der Unnatur opponiren. Während die einen<lb/> befriedigt in eitler Selbſtgefälligkeit bloß mit ſich und der Freund-<lb/> ſchaft beſchäftigt ſind, durchbrechen andere gewaltſam die conven-<lb/> tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem<lb/> diejenigen Feſſeln, welche der klügelnde Verſtand, der Schema-<lb/> tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt<lb/> haben. So tritt der harmloſen Bornirtheit die Sturm- und Drang-<lb/> periode gegenüber, der weinenden Empfindſamkeit die urwüchſige<lb/> Kraftgenialität.</p><lb/> <p>Wenn dieſe nach Freiheit und Feſſelloſigkeit drängende Be-<lb/> wegung auch zunächſt und vorzugsweiſe in der Litteratur ihren<lb/> Kampfplatz fand, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß die Stürmer<lb/> und Dränger auch den übrigen Zwang bei Seite warfen und ſich<lb/> im ſocialen Leben als dieſelben bethätigten, als welche ſie in der<lb/> litterariſchen Welt auftraten. Ein Lenz und Klinger, die Stol-<lb/> berge und andere, die Weimaraner gefielen ſich in kraftgenia-<lb/> liſchem Toben, wenn ſie auch alle, Lenz ausgenommen, der als<lb/> Opfer des Sturmes und Dranges fiel, wieder zur Sitte und<lb/> Ordnung zurückkehrten; und ſelbſt Schiller ſchrieb nicht bloß die<lb/> Räuber, er entfloh auch dem unerträglichen Zwange zu Stutt-<lb/> gart. In dieſer ſocialen Beziehung freilich blieb ihr Einfluß ge-<lb/> ringer als in der Litteratur, da ſie für ſich ſtanden und zunächſt<lb/> nur ihre Umgebung hinzureißen vermochten. Aber es ſchloß ſich<lb/> ihnen dann, wenn auch in gemäßigterer Weiſe, die ganze Claſſe<lb/> der Schön- und Freigeiſter an.</p><lb/> <p>Es iſt nicht ſchwer, dieſe Bewegung der Geiſter auch am<lb/> Coſtüm zu erkennen, und wir haben außerdem noch directe Zeug-<lb/> niſſe darüber. Es mag übertrieben ſein, wenn Böttiger von<lb/> einem der Kraftgenies, dem Schweizer Kaufmann, erzählt, daß<lb/> er, „um ſeinen Genieberuf zu beurkunden, in einer grünen Fries-<lb/> jacke, mit entblößter Bruſt, mähnenartig flatternden Haaren und<lb/> einem gewaltigen Knotenſtock“ in Weimar einhergegangen und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [296/0308]
III. Die Neuzeit.
dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er den
Trägern ſichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben
giebt es andere Geiſter, die in anderer Weiſe aber nicht minder
kräftig als Rouſſeau der Unnatur opponiren. Während die einen
befriedigt in eitler Selbſtgefälligkeit bloß mit ſich und der Freund-
ſchaft beſchäftigt ſind, durchbrechen andere gewaltſam die conven-
tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem
diejenigen Feſſeln, welche der klügelnde Verſtand, der Schema-
tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt
haben. So tritt der harmloſen Bornirtheit die Sturm- und Drang-
periode gegenüber, der weinenden Empfindſamkeit die urwüchſige
Kraftgenialität.
Wenn dieſe nach Freiheit und Feſſelloſigkeit drängende Be-
wegung auch zunächſt und vorzugsweiſe in der Litteratur ihren
Kampfplatz fand, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß die Stürmer
und Dränger auch den übrigen Zwang bei Seite warfen und ſich
im ſocialen Leben als dieſelben bethätigten, als welche ſie in der
litterariſchen Welt auftraten. Ein Lenz und Klinger, die Stol-
berge und andere, die Weimaraner gefielen ſich in kraftgenia-
liſchem Toben, wenn ſie auch alle, Lenz ausgenommen, der als
Opfer des Sturmes und Dranges fiel, wieder zur Sitte und
Ordnung zurückkehrten; und ſelbſt Schiller ſchrieb nicht bloß die
Räuber, er entfloh auch dem unerträglichen Zwange zu Stutt-
gart. In dieſer ſocialen Beziehung freilich blieb ihr Einfluß ge-
ringer als in der Litteratur, da ſie für ſich ſtanden und zunächſt
nur ihre Umgebung hinzureißen vermochten. Aber es ſchloß ſich
ihnen dann, wenn auch in gemäßigterer Weiſe, die ganze Claſſe
der Schön- und Freigeiſter an.
Es iſt nicht ſchwer, dieſe Bewegung der Geiſter auch am
Coſtüm zu erkennen, und wir haben außerdem noch directe Zeug-
niſſe darüber. Es mag übertrieben ſein, wenn Böttiger von
einem der Kraftgenies, dem Schweizer Kaufmann, erzählt, daß
er, „um ſeinen Genieberuf zu beurkunden, in einer grünen Fries-
jacke, mit entblößter Bruſt, mähnenartig flatternden Haaren und
einem gewaltigen Knotenſtock“ in Weimar einhergegangen und
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