Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. Dienstmägde suchten zu ihren fischbeingesteiften Miedern imsonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge- dränge, im Schauspiel und in der Kirche, wo die Sitze abge- messen waren, zeigte sich diese Mode besonders lästig, und es mag daher die Geschichte des Städtchens Fürstenau nicht ver- einzelt dastehen. Hier nahm die Frau Pastorin zuerst zwei Kirchensitze für ihre Person in Anspruch, aber das Recht wurde ihr bestritten, und der darauf folgende Prozeß entschied gegen sie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus. In der ersten Periode des Reifrocks im sechszehnten Jahr- "Seht eure ausstaffirten Röck, Sie sehen, wie die Schwärmerstöck, Sie breiten sich aus wie die Drachen, Die sich den Augenblick zum Fliegen fertig machen." Und unter den Versen des "deutschen Franzosen" hieß es: "Der Rock kann mit dem Reifrock streiten." Im Hofleben hielt sich der Reifrock in seiner grotesken Ge- III. Die Neuzeit. Dienſtmägde ſuchten zu ihren fiſchbeingeſteiften Miedern imſonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge- dränge, im Schauſpiel und in der Kirche, wo die Sitze abge- meſſen waren, zeigte ſich dieſe Mode beſonders läſtig, und es mag daher die Geſchichte des Städtchens Fürſtenau nicht ver- einzelt daſtehen. Hier nahm die Frau Paſtorin zuerſt zwei Kirchenſitze für ihre Perſon in Anſpruch, aber das Recht wurde ihr beſtritten, und der darauf folgende Prozeß entſchied gegen ſie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus. In der erſten Periode des Reifrocks im ſechszehnten Jahr- „Seht eure ausſtaffirten Röck, Sie ſehen, wie die Schwärmerſtöck, Sie breiten ſich aus wie die Drachen, Die ſich den Augenblick zum Fliegen fertig machen.“ Und unter den Verſen des „deutſchen Franzoſen“ hieß es: „Der Rock kann mit dem Reifrock ſtreiten.“ Im Hofleben hielt ſich der Reifrock in ſeiner grotesken Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0300" n="288"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> Dienſtmägde ſuchten zu ihren fiſchbeingeſteiften Miedern im<lb/> ſonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge-<lb/> dränge, im Schauſpiel und in der Kirche, wo die Sitze abge-<lb/> meſſen waren, zeigte ſich dieſe Mode beſonders läſtig, und es<lb/> mag daher die Geſchichte des Städtchens Fürſtenau nicht ver-<lb/> einzelt daſtehen. Hier nahm die Frau Paſtorin zuerſt zwei<lb/> Kirchenſitze für ihre Perſon in Anſpruch, aber das Recht wurde<lb/> ihr beſtritten, und der darauf folgende Prozeß entſchied gegen<lb/> ſie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus.</p><lb/> <p>In der erſten Periode des Reifrocks im ſechszehnten Jahr-<lb/> hundert, hatte die Vertugalla ihr männliches Gegenſtück in der<lb/> Pluderhoſe und Puffhoſe gefunden; jetzt blieb es bei der engen<lb/> Kniehoſe. Aber doch findet ſich eine ähnliche Erweiterung,<lb/> wenn es auch mehr als vorübergehende Mode betrachtet werden<lb/> muß, daß die Herren mit Fiſchbein oder ſonſt in künſtlicher<lb/> Weiſe die Schöße ihrer Röcke auszubreiten ſuchten. Sie hielten<lb/> damals viel auf eine ſchlanke Taille. In dem oben angeführten<lb/> fliegenden Blatt ſagt darum Silinde zu Eraſto:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Seht eure ausſtaffirten Röck,</l><lb/> <l>Sie ſehen, wie die Schwärmerſtöck,</l><lb/> <l>Sie breiten ſich aus wie die Drachen,</l><lb/> <l>Die ſich den Augenblick zum Fliegen fertig machen.“</l> </lg><lb/> <p>Und unter den Verſen des „deutſchen Franzoſen“ hieß es:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Der Rock kann mit dem Reifrock ſtreiten.“</l> </lg><lb/> <p>Im Hofleben hielt ſich der Reifrock in ſeiner grotesken Ge-<lb/> ſtalt bis zur franzöſiſchen Revolution, wenn er auch einige<lb/> Stöße und Angriffe erleiden mußte. Kaiſer Joſeph war der<lb/> erſte, welcher ihn vom Wiener Hofe verbannte, wo bis dahin<lb/> demſelben ſieben Ellen Weite vorgeſchrieben waren; er erlaubte<lb/> jedermann nach Belieben in moderner Kleidung zu Hof zu ge-<lb/> hen. In der gewöhnlichen Tagestracht des damaligen ſ. g. Ne-<lb/> glig<hi rendition="#aq">é</hi> ſinkt er ſchon ſeit dem Jahr 1770 wieder zuſammen,<lb/> während ihn die Grande Parure nach wie vor auch in der<lb/> vornehm bürgerlichen Welt erforderte. Schon um das Jahr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [288/0300]
III. Die Neuzeit.
Dienſtmägde ſuchten zu ihren fiſchbeingeſteiften Miedern im
ſonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge-
dränge, im Schauſpiel und in der Kirche, wo die Sitze abge-
meſſen waren, zeigte ſich dieſe Mode beſonders läſtig, und es
mag daher die Geſchichte des Städtchens Fürſtenau nicht ver-
einzelt daſtehen. Hier nahm die Frau Paſtorin zuerſt zwei
Kirchenſitze für ihre Perſon in Anſpruch, aber das Recht wurde
ihr beſtritten, und der darauf folgende Prozeß entſchied gegen
ſie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus.
In der erſten Periode des Reifrocks im ſechszehnten Jahr-
hundert, hatte die Vertugalla ihr männliches Gegenſtück in der
Pluderhoſe und Puffhoſe gefunden; jetzt blieb es bei der engen
Kniehoſe. Aber doch findet ſich eine ähnliche Erweiterung,
wenn es auch mehr als vorübergehende Mode betrachtet werden
muß, daß die Herren mit Fiſchbein oder ſonſt in künſtlicher
Weiſe die Schöße ihrer Röcke auszubreiten ſuchten. Sie hielten
damals viel auf eine ſchlanke Taille. In dem oben angeführten
fliegenden Blatt ſagt darum Silinde zu Eraſto:
„Seht eure ausſtaffirten Röck,
Sie ſehen, wie die Schwärmerſtöck,
Sie breiten ſich aus wie die Drachen,
Die ſich den Augenblick zum Fliegen fertig machen.“
Und unter den Verſen des „deutſchen Franzoſen“ hieß es:
„Der Rock kann mit dem Reifrock ſtreiten.“
Im Hofleben hielt ſich der Reifrock in ſeiner grotesken Ge-
ſtalt bis zur franzöſiſchen Revolution, wenn er auch einige
Stöße und Angriffe erleiden mußte. Kaiſer Joſeph war der
erſte, welcher ihn vom Wiener Hofe verbannte, wo bis dahin
demſelben ſieben Ellen Weite vorgeſchrieben waren; er erlaubte
jedermann nach Belieben in moderner Kleidung zu Hof zu ge-
hen. In der gewöhnlichen Tagestracht des damaligen ſ. g. Ne-
gligé ſinkt er ſchon ſeit dem Jahr 1770 wieder zuſammen,
während ihn die Grande Parure nach wie vor auch in der
vornehm bürgerlichen Welt erforderte. Schon um das Jahr
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