zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn- heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer festhält, unbe- kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin ist, oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widersprüche aufdeckt.
Diese Entwicklung oder wenn man will Erstarrung des vom Reich losgerissenen und in seinen Sonderungen conservativ beharrenden Bürgerthums, der die an sich schon zähe und fest- haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erst die Be- dingungen zur Entstehung der s. g. Volkstrachten als des sepa- ratistischen oder particularistischen Gegensatzes zur universalisti- schen Mode. Somit sind sie wesentlich ein Erzeugniß der neuern Zeit, Ausflüsse oder Niederschläge des Stromes moderner Cul- turgeschichte seit der großen Umgestaltung im sechszehnten Jahr- hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß, wie sich nun in verschiedenen Zeitmomenten und unter verschie- denen Verhältnissen solche Trachten herausgebildet haben, welche diese oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anspruch nimmt, daß diese Form, wie sie einmal krystallinisch geworden ist, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman- gelnd geblieben sei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil- dung der Volkstrachten nicht die Rede sein, denn da sie nichts anders sind, als Erstarrungen der aus den höhern Sphären der Gesellschaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht ohne auf diesem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha- ben, so ist ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit verloren gegangen. Doch haben auch sie ihre Geschichte. In dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo- politismus, der particularistischen Volkstracht gegen die univer- salistische Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par- tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu sich Boden errang und bald dieses, bald jenes Stück in die alte Tracht einschob, unter günstigen Umständen auch diese völlig umschuf. In letzte- rem Falle blieb die Umgestaltung sofort wieder stehen, um auf's neue, nachdem die Erinnerung des Ursprungs kaum ein wenig trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein
III. Die Neuzeit.
zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn- heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe- kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt, oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt.
Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des vom Reich losgeriſſenen und in ſeinen Sonderungen conſervativ beharrenden Bürgerthums, der die an ſich ſchon zähe und feſt- haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erſt die Be- dingungen zur Entſtehung der ſ. g. Volkstrachten als des ſepa- ratiſtiſchen oder particulariſtiſchen Gegenſatzes zur univerſaliſti- ſchen Mode. Somit ſind ſie weſentlich ein Erzeugniß der neuern Zeit, Ausflüſſe oder Niederſchläge des Stromes moderner Cul- turgeſchichte ſeit der großen Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahr- hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß, wie ſich nun in verſchiedenen Zeitmomenten und unter verſchie- denen Verhältniſſen ſolche Trachten herausgebildet haben, welche dieſe oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anſpruch nimmt, daß dieſe Form, wie ſie einmal kryſtalliniſch geworden iſt, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman- gelnd geblieben ſei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil- dung der Volkstrachten nicht die Rede ſein, denn da ſie nichts anders ſind, als Erſtarrungen der aus den höhern Sphären der Geſellſchaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht ohne auf dieſem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha- ben, ſo iſt ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit verloren gegangen. Doch haben auch ſie ihre Geſchichte. In dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo- politismus, der particulariſtiſchen Volkstracht gegen die univer- ſaliſtiſche Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par- tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu ſich Boden errang und bald dieſes, bald jenes Stück in die alte Tracht einſchob, unter günſtigen Umſtänden auch dieſe völlig umſchuf. In letzte- rem Falle blieb die Umgeſtaltung ſofort wieder ſtehen, um auf’s neue, nachdem die Erinnerung des Urſprungs kaum ein wenig trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein
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III. Die Neuzeit.
zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-
heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe-
kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt,
oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt.
Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des
vom Reich losgeriſſenen und in ſeinen Sonderungen conſervativ
beharrenden Bürgerthums, der die an ſich ſchon zähe und feſt-
haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erſt die Be-
dingungen zur Entſtehung der ſ. g. Volkstrachten als des ſepa-
ratiſtiſchen oder particulariſtiſchen Gegenſatzes zur univerſaliſti-
ſchen Mode. Somit ſind ſie weſentlich ein Erzeugniß der neuern
Zeit, Ausflüſſe oder Niederſchläge des Stromes moderner Cul-
turgeſchichte ſeit der großen Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahr-
hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß,
wie ſich nun in verſchiedenen Zeitmomenten und unter verſchie-
denen Verhältniſſen ſolche Trachten herausgebildet haben, welche
dieſe oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anſpruch
nimmt, daß dieſe Form, wie ſie einmal kryſtalliniſch geworden
iſt, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman-
gelnd geblieben ſei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil-
dung der Volkstrachten nicht die Rede ſein, denn da ſie nichts
anders ſind, als Erſtarrungen der aus den höhern Sphären der
Geſellſchaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht
ohne auf dieſem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha-
ben, ſo iſt ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit
verloren gegangen. Doch haben auch ſie ihre Geſchichte. In
dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo-
politismus, der particulariſtiſchen Volkstracht gegen die univer-
ſaliſtiſche Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par-
tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu ſich Boden errang
und bald dieſes, bald jenes Stück in die alte Tracht einſchob,
unter günſtigen Umſtänden auch dieſe völlig umſchuf. In letzte-
rem Falle blieb die Umgeſtaltung ſofort wieder ſtehen, um auf’s
neue, nachdem die Erinnerung des Urſprungs kaum ein wenig
trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/28>, abgerufen am 01.08.2024.
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