Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer festhält, unbe- kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin ist, oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widersprüche aufdeckt. Diese Entwicklung oder wenn man will Erstarrung des III. Die Neuzeit. zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe- kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt, oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt. Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-<lb/> heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe-<lb/> kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt,<lb/> oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt.</p><lb/> <p>Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des<lb/> vom Reich losgeriſſenen und in ſeinen Sonderungen conſervativ<lb/> beharrenden Bürgerthums, der die an ſich ſchon zähe und feſt-<lb/> haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erſt die Be-<lb/> dingungen zur Entſtehung der ſ. g. Volkstrachten als des ſepa-<lb/> ratiſtiſchen oder particulariſtiſchen Gegenſatzes zur univerſaliſti-<lb/> ſchen Mode. Somit ſind ſie weſentlich ein Erzeugniß der neuern<lb/> Zeit, Ausflüſſe oder Niederſchläge des Stromes moderner Cul-<lb/> turgeſchichte ſeit der großen Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahr-<lb/> hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß,<lb/> wie ſich nun in verſchiedenen Zeitmomenten und unter verſchie-<lb/> denen Verhältniſſen ſolche Trachten herausgebildet haben, welche<lb/> dieſe oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anſpruch<lb/> nimmt, daß dieſe Form, wie ſie einmal kryſtalliniſch geworden<lb/> iſt, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman-<lb/> gelnd geblieben ſei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil-<lb/> dung der Volkstrachten nicht die Rede ſein, denn da ſie nichts<lb/> anders ſind, als Erſtarrungen der aus den höhern Sphären der<lb/> Geſellſchaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht<lb/> ohne auf dieſem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha-<lb/> ben, ſo iſt ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit<lb/> verloren gegangen. Doch haben auch ſie ihre Geſchichte. In<lb/> dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo-<lb/> politismus, der particulariſtiſchen Volkstracht gegen die univer-<lb/> ſaliſtiſche Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par-<lb/> tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu ſich Boden errang<lb/> und bald dieſes, bald jenes Stück in die alte Tracht einſchob,<lb/> unter günſtigen Umſtänden auch dieſe völlig umſchuf. In letzte-<lb/> rem Falle blieb die Umgeſtaltung ſofort wieder ſtehen, um auf’s<lb/> neue, nachdem die Erinnerung des Urſprungs kaum ein wenig<lb/> trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0028]
III. Die Neuzeit.
zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-
heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe-
kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt,
oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt.
Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des
vom Reich losgeriſſenen und in ſeinen Sonderungen conſervativ
beharrenden Bürgerthums, der die an ſich ſchon zähe und feſt-
haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erſt die Be-
dingungen zur Entſtehung der ſ. g. Volkstrachten als des ſepa-
ratiſtiſchen oder particulariſtiſchen Gegenſatzes zur univerſaliſti-
ſchen Mode. Somit ſind ſie weſentlich ein Erzeugniß der neuern
Zeit, Ausflüſſe oder Niederſchläge des Stromes moderner Cul-
turgeſchichte ſeit der großen Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahr-
hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß,
wie ſich nun in verſchiedenen Zeitmomenten und unter verſchie-
denen Verhältniſſen ſolche Trachten herausgebildet haben, welche
dieſe oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anſpruch
nimmt, daß dieſe Form, wie ſie einmal kryſtalliniſch geworden
iſt, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman-
gelnd geblieben ſei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil-
dung der Volkstrachten nicht die Rede ſein, denn da ſie nichts
anders ſind, als Erſtarrungen der aus den höhern Sphären der
Geſellſchaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht
ohne auf dieſem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha-
ben, ſo iſt ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit
verloren gegangen. Doch haben auch ſie ihre Geſchichte. In
dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo-
politismus, der particulariſtiſchen Volkstracht gegen die univer-
ſaliſtiſche Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par-
tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu ſich Boden errang
und bald dieſes, bald jenes Stück in die alte Tracht einſchob,
unter günſtigen Umſtänden auch dieſe völlig umſchuf. In letzte-
rem Falle blieb die Umgeſtaltung ſofort wieder ſtehen, um auf’s
neue, nachdem die Erinnerung des Urſprungs kaum ein wenig
trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein
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