Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußtedieser Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung und Zwang einzuführen. Am interessantesten in diesem Sinne ist die Ausbildung der Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben III. Die Neuzeit. dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußtedieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung und Zwang einzuführen. Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0256" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte<lb/> dieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung<lb/> und Zwang einzuführen.</p><lb/> <p>Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der<lb/><hi rendition="#g">Kopftracht</hi>, die ſich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig<lb/> entgegengeſetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Geſtalt<lb/> verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und<lb/> rückte langſam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten<lb/> heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Neſt geſchlungen<lb/> wurde, während die Seitenlocken ſich verkürzten zu dünnen, regel-<lb/> rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar ſich<lb/> wulſtig in die Höhe bauſchte. Mit leichtem Schmuck verſehen,<lb/> iſt das die Art, wie ſie dem Uebergangscoſtüm bis etwa 1670<lb/> angehört; wir können ſie auf allen Thronen und überall in der<lb/> modiſchen Geſellſchaft erblicken.</p><lb/> <p>Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben<lb/> zu friſiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens-<lb/> und Geſellſchaftsformen ſich verſteifen, mögen auch die Sitten<lb/> lockrer werden. Immer mehr drängt die Friſur nach oben, und<lb/> auf der nächſten Stufe legt ſie ſich mit kleinen, künſtlich herge-<lb/> ſtellten Löckchen in abſichtlicher, ſcheinbarer Verwirrung — der<lb/> Uebergangsform der Perrücke entſprechend — um den Kopf.<lb/> Nun tritt die Neigung zum Grandioſen auf, aber ſtatt gleich den<lb/> Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfriſur in<lb/> die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der<lb/> Männerwelt Verzicht geleiſtet werden konnte, wurde nach Mög-<lb/> lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri-<lb/> gen Stoffen ſo erhalten; allein, obwohl man nicht ſelten fremde<lb/> Haare hineinflocht, ſo genügte das doch nicht: man brachte bunte<lb/> Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un-<lb/> geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen,<lb/> welches das Haarneſt im Nacken umfaßte; von dieſem aus thürmte<lb/> ſich ein complicirtes Drahtgeſtell empor mit klarem weißen<lb/> Stoff überſpannt und buntfarbigen Bandſchleifen dazwiſchen,<lb/> terraſſenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0256]
III. Die Neuzeit.
dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte
dieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung
und Zwang einzuführen.
Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der
Kopftracht, die ſich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig
entgegengeſetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Geſtalt
verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und
rückte langſam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten
heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Neſt geſchlungen
wurde, während die Seitenlocken ſich verkürzten zu dünnen, regel-
rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar ſich
wulſtig in die Höhe bauſchte. Mit leichtem Schmuck verſehen,
iſt das die Art, wie ſie dem Uebergangscoſtüm bis etwa 1670
angehört; wir können ſie auf allen Thronen und überall in der
modiſchen Geſellſchaft erblicken.
Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben
zu friſiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens-
und Geſellſchaftsformen ſich verſteifen, mögen auch die Sitten
lockrer werden. Immer mehr drängt die Friſur nach oben, und
auf der nächſten Stufe legt ſie ſich mit kleinen, künſtlich herge-
ſtellten Löckchen in abſichtlicher, ſcheinbarer Verwirrung — der
Uebergangsform der Perrücke entſprechend — um den Kopf.
Nun tritt die Neigung zum Grandioſen auf, aber ſtatt gleich den
Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfriſur in
die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der
Männerwelt Verzicht geleiſtet werden konnte, wurde nach Mög-
lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri-
gen Stoffen ſo erhalten; allein, obwohl man nicht ſelten fremde
Haare hineinflocht, ſo genügte das doch nicht: man brachte bunte
Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un-
geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen,
welches das Haarneſt im Nacken umfaßte; von dieſem aus thürmte
ſich ein complicirtes Drahtgeſtell empor mit klarem weißen
Stoff überſpannt und buntfarbigen Bandſchleifen dazwiſchen,
terraſſenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |