Es liegt das nicht bloß an ihnen, sondern sie wird darin von der Volksmeinung unterstützt, welche das Alte und Veraltete gern für das Ehrwürdige nimmt und seine Seelsorger in solchem Aeußeren zu sehen gewohnt ist. Wir haben ein Beispiel davon an der spanischen Krause gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem langen und mit dem falschen Haar.
Im Jahr 1642, also in einer Zeit, als nicht bloß die ge- sammte Laienwelt langes Haar trug, sondern in Paris die Per- rücke schon die meisten vornehmen Häupter bedeckte, erhob sich in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geist- lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi- dersetzte sich, gestützt auf die paulinischen Worte in 1. Kor. XI, 15: "Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre ist, so er lange Haare zeuget?" Ein Geistlicher, Namens Gott- fried Uden, schrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus Poimenander in holländischer Sprache ein Buch: "Absalon oder von den Haaren", worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten andere bei, und unter ihnen Borst, ein Prediger zu Dortrecht, mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem ersten Korintherbrief. Auch die theologische Facultät zu Utrecht billigte ihre Ansicht. Verschiedene Gegner, welche die langen Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen zu schreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den holländischen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um diese wichtige Frage zu entscheiden. Noch fielen sie sämmtlich zu Gunsten der alten Tracht aus, und es wurde beschlossen, nicht bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforschen, die "Langhaarigen", sondern auch ihre geistlichen Anhänger und und Träger, von der christlichen Gemeinde auszuschließen. In- deß war der Eifer umsonst und die Mühe wider den Strom zu schwimmen eine vergebliche. Als sich die heißen Köpfe ein wenig beruhigt hatten, schrieb der berühmte Salmasius einen Dialog über diesen Gegenstand und bewies, daß die Beschaffenheit des Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver- flossen nur wenige Jahrzehnte, und der holländische Geist-
III. Die Neuzeit.
Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von der Volksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem langen und mit dem falſchen Haar.
Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge- ſammte Laienwelt langes Haar trug, ſondern in Paris die Per- rücke ſchon die meiſten vornehmen Häupter bedeckte, erhob ſich in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geiſt- lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi- derſetzte ſich, geſtützt auf die pauliniſchen Worte in 1. Kor. XI, 15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre iſt, ſo er lange Haare zeuget?“ Ein Geiſtlicher, Namens Gott- fried Uden, ſchrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus Poimenander in holländiſcher Sprache ein Buch: „Abſalon oder von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten andere bei, und unter ihnen Borſt, ein Prediger zu Dortrecht, mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem erſten Korintherbrief. Auch die theologiſche Facultät zu Utrecht billigte ihre Anſicht. Verſchiedene Gegner, welche die langen Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen zu ſchreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den holländiſchen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um dieſe wichtige Frage zu entſcheiden. Noch fielen ſie ſämmtlich zu Gunſten der alten Tracht aus, und es wurde beſchloſſen, nicht bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforſchen, die „Langhaarigen“, ſondern auch ihre geiſtlichen Anhänger und und Träger, von der chriſtlichen Gemeinde auszuſchließen. In- deß war der Eifer umſonſt und die Mühe wider den Strom zu ſchwimmen eine vergebliche. Als ſich die heißen Köpfe ein wenig beruhigt hatten, ſchrieb der berühmte Salmaſius einen Dialog über dieſen Gegenſtand und bewies, daß die Beſchaffenheit des Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver- floſſen nur wenige Jahrzehnte, und der holländiſche Geiſt-
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III. Die Neuzeit.
Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von der
Volksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern
für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem
Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon
an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem
langen und mit dem falſchen Haar.
Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge-
ſammte Laienwelt langes Haar trug, ſondern in Paris die Per-
rücke ſchon die meiſten vornehmen Häupter bedeckte, erhob ſich
in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geiſt-
lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi-
derſetzte ſich, geſtützt auf die pauliniſchen Worte in 1. Kor. XI,
15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre
iſt, ſo er lange Haare zeuget?“ Ein Geiſtlicher, Namens Gott-
fried Uden, ſchrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus
Poimenander in holländiſcher Sprache ein Buch: „Abſalon oder
von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten
andere bei, und unter ihnen Borſt, ein Prediger zu Dortrecht,
mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem
erſten Korintherbrief. Auch die theologiſche Facultät zu Utrecht
billigte ihre Anſicht. Verſchiedene Gegner, welche die langen
Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen
zu ſchreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den
holländiſchen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um
dieſe wichtige Frage zu entſcheiden. Noch fielen ſie ſämmtlich zu
Gunſten der alten Tracht aus, und es wurde beſchloſſen, nicht
bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforſchen,
die „Langhaarigen“, ſondern auch ihre geiſtlichen Anhänger und
und Träger, von der chriſtlichen Gemeinde auszuſchließen. In-
deß war der Eifer umſonſt und die Mühe wider den Strom zu
ſchwimmen eine vergebliche. Als ſich die heißen Köpfe ein wenig
beruhigt hatten, ſchrieb der berühmte Salmaſius einen Dialog
über dieſen Gegenſtand und bewies, daß die Beſchaffenheit des
Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver-
floſſen nur wenige Jahrzehnte, und der holländiſche Geiſt-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/240>, abgerufen am 08.07.2024.
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