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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
regten Gemüther trafen, mußte die alte Leichtfertigkeit zu Grunde
gehen. Das sorglos heitre Treiben, die Eitelkeit der Welt, die
an so lustig narrenhafter Kleidung ihr Gefallen gefunden hatte,
schwand hin vor den ernsteren Dingen, den ernsteren Mahnun-
gen, die ans menschliche Herz schlugen und es in sich kehrten,
den Geist innerlich machten und endlich die Sündhaftigkeit ins
eingeschüchterte Gewissen riefen. Die Folge ist, daß einerseits
unter der Schwere der Zeit, wie das Eisen auf dem Ambos, die
Kleidung aus der alten Zerfahrenheit und Geckenhaftigkeit zu
Charakter, zu klaren Formen mit festen, bestimmten Umrissen
zurückkehrt, andrerseits, wie die Sünde ins Bewußtsein tritt,
die Unsittlichkeit verschwindet und die Blößen allmählig sich decken
bis zu förmlicher Verhüllung.

Aber das ist nur die eine Seite. Im allgemeinen Drange
nach Freiheit fielen die Fesseln, in der Erregung wurden die Lei-
denschaften gelöset, um hierhin und dorthin die Dämme der Sitte
zu durchbrechen: so duldet der Mensch auch an seinem Körper
nichts Lästiges mehr; er muß sich frei und leicht bewegen können
und ungehindert Herr seiner Glieder sein. Auch in diesem Sinne
ändert sich die Kleidung, aber nicht ohne sich fortreissen zu lassen
und in ein tolles Uebermaß auszuarten, gleichwie die sociale und
religiöse Bewegung sich in dem Aufruhr der Bauern und dem
Wahnsinn der Wiedertäufer überschlug. Ihnen steht die Klei-
derthorheit der Landsknechte ebenbürtig zur Seite.

Hierin aber lag die Gefahr der Zeit. Indem sie im Drang
der Leidenschaften über das Maß hinausging und sich überstürzte,
rief sie die Opposition hervor, die schließlich um so leichteres
Spiel hatte, als der Ueberspannung und Ueberreizung eine Zeit
der Schwäche in Abspannung und Erschlaffung folgen mußte.
In diesem Zustand der Willenlosigkeit und Nachgiebigkeit wurde
mit Erfolg den reformatorischen Bewegungen ein Damm gesetzt
und selbst verlorenes Gebiet zurückerobert. Während so der Ka-
tholicismus die Restauration unternimmt, und zugleich die Re-
formation in sich selbst zu Dogmatismus und Moral erstarrt,
erfaßt die Reaction auch die Kleidung, welche sich steift, verengt

III. Die Neuzeit.
regten Gemüther trafen, mußte die alte Leichtfertigkeit zu Grunde
gehen. Das ſorglos heitre Treiben, die Eitelkeit der Welt, die
an ſo luſtig narrenhafter Kleidung ihr Gefallen gefunden hatte,
ſchwand hin vor den ernſteren Dingen, den ernſteren Mahnun-
gen, die ans menſchliche Herz ſchlugen und es in ſich kehrten,
den Geiſt innerlich machten und endlich die Sündhaftigkeit ins
eingeſchüchterte Gewiſſen riefen. Die Folge iſt, daß einerſeits
unter der Schwere der Zeit, wie das Eiſen auf dem Ambos, die
Kleidung aus der alten Zerfahrenheit und Geckenhaftigkeit zu
Charakter, zu klaren Formen mit feſten, beſtimmten Umriſſen
zurückkehrt, andrerſeits, wie die Sünde ins Bewußtſein tritt,
die Unſittlichkeit verſchwindet und die Blößen allmählig ſich decken
bis zu förmlicher Verhüllung.

Aber das iſt nur die eine Seite. Im allgemeinen Drange
nach Freiheit fielen die Feſſeln, in der Erregung wurden die Lei-
denſchaften gelöſet, um hierhin und dorthin die Dämme der Sitte
zu durchbrechen: ſo duldet der Menſch auch an ſeinem Körper
nichts Läſtiges mehr; er muß ſich frei und leicht bewegen können
und ungehindert Herr ſeiner Glieder ſein. Auch in dieſem Sinne
ändert ſich die Kleidung, aber nicht ohne ſich fortreiſſen zu laſſen
und in ein tolles Uebermaß auszuarten, gleichwie die ſociale und
religiöſe Bewegung ſich in dem Aufruhr der Bauern und dem
Wahnſinn der Wiedertäufer überſchlug. Ihnen ſteht die Klei-
derthorheit der Landsknechte ebenbürtig zur Seite.

Hierin aber lag die Gefahr der Zeit. Indem ſie im Drang
der Leidenſchaften über das Maß hinausging und ſich überſtürzte,
rief ſie die Oppoſition hervor, die ſchließlich um ſo leichteres
Spiel hatte, als der Ueberſpannung und Ueberreizung eine Zeit
der Schwäche in Abſpannung und Erſchlaffung folgen mußte.
In dieſem Zuſtand der Willenloſigkeit und Nachgiebigkeit wurde
mit Erfolg den reformatoriſchen Bewegungen ein Damm geſetzt
und ſelbſt verlorenes Gebiet zurückerobert. Während ſo der Ka-
tholicismus die Reſtauration unternimmt, und zugleich die Re-
formation in ſich ſelbſt zu Dogmatismus und Moral erſtarrt,
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[12/0024] III. Die Neuzeit. regten Gemüther trafen, mußte die alte Leichtfertigkeit zu Grunde gehen. Das ſorglos heitre Treiben, die Eitelkeit der Welt, die an ſo luſtig narrenhafter Kleidung ihr Gefallen gefunden hatte, ſchwand hin vor den ernſteren Dingen, den ernſteren Mahnun- gen, die ans menſchliche Herz ſchlugen und es in ſich kehrten, den Geiſt innerlich machten und endlich die Sündhaftigkeit ins eingeſchüchterte Gewiſſen riefen. Die Folge iſt, daß einerſeits unter der Schwere der Zeit, wie das Eiſen auf dem Ambos, die Kleidung aus der alten Zerfahrenheit und Geckenhaftigkeit zu Charakter, zu klaren Formen mit feſten, beſtimmten Umriſſen zurückkehrt, andrerſeits, wie die Sünde ins Bewußtſein tritt, die Unſittlichkeit verſchwindet und die Blößen allmählig ſich decken bis zu förmlicher Verhüllung. Aber das iſt nur die eine Seite. Im allgemeinen Drange nach Freiheit fielen die Feſſeln, in der Erregung wurden die Lei- denſchaften gelöſet, um hierhin und dorthin die Dämme der Sitte zu durchbrechen: ſo duldet der Menſch auch an ſeinem Körper nichts Läſtiges mehr; er muß ſich frei und leicht bewegen können und ungehindert Herr ſeiner Glieder ſein. Auch in dieſem Sinne ändert ſich die Kleidung, aber nicht ohne ſich fortreiſſen zu laſſen und in ein tolles Uebermaß auszuarten, gleichwie die ſociale und religiöſe Bewegung ſich in dem Aufruhr der Bauern und dem Wahnſinn der Wiedertäufer überſchlug. Ihnen ſteht die Klei- derthorheit der Landsknechte ebenbürtig zur Seite. Hierin aber lag die Gefahr der Zeit. Indem ſie im Drang der Leidenſchaften über das Maß hinausging und ſich überſtürzte, rief ſie die Oppoſition hervor, die ſchließlich um ſo leichteres Spiel hatte, als der Ueberſpannung und Ueberreizung eine Zeit der Schwäche in Abſpannung und Erſchlaffung folgen mußte. In dieſem Zuſtand der Willenloſigkeit und Nachgiebigkeit wurde mit Erfolg den reformatoriſchen Bewegungen ein Damm geſetzt und ſelbſt verlorenes Gebiet zurückerobert. Während ſo der Ka- tholicismus die Reſtauration unternimmt, und zugleich die Re- formation in ſich ſelbſt zu Dogmatismus und Moral erſtarrt, erfaßt die Reaction auch die Kleidung, welche ſich ſteift, verengt

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/24>, abgerufen am 27.04.2024.