Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode.
schoren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewässer mußten dem
Zwang seiner Tyrannei sich fügen und sich in seine Formen be-
quemen. Selbst dem Menschenantlitz, dem Individuellsten, was
es giebt, drückte er sein Siegel auf, sodaß alle Portraits einen
historischen Physiognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit.

Es ist zunächst das Leben selbst in seinen gesellschaftlichen
und Sittenzuständen, welches diesen Doppelcharakter offenbart.
Es ist kaum nöthig an die bekannte Demoralisation zu erinnern,
welche den Hof Ludwigs XIV. und mit ihm sein ganzes Zeitalter
kennzeichnet; daß es in der deutschen Gesellschaft nicht besser war,
ist bei den entsetzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun-
dern. Aber es läßt sich gleichzeitig beobachten, wie mit wachsen-
der Auflösung der Moralität die höfische Etiquette sich steigert,
wie die Umgangsformen, der gesellige Ton steifer und enger wer-
den, eine ceremoniöse, feierliche und gespreizte Galanterie ein-
reißt, zu der sich gar Bigotterie und Pietismus gesellt. Ludwig
XIV. war ein vortrefflicher Lehrer in allen diesen Dingen und
sein Hof dafür das allgemeine Muster. Während die Familien-
bande sich lockern, die Maitressenwirthschaft und unnatürliche
Laster mit schamloser Offenheit betrieben werden, ja zum guten
Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih-
res Lobes ist man voll in denselben Gedichten, die von Schmutz
strotzen; Theaterzettel, welche die unfläthigsten Possen ankündi-
gen, berufen sich auf die Moral; den Tugenden setzt man Bild-
säulen und bringt sie als allegorische Figuren in den Ernst und
den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für beständig,
weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als schnell vergänglicher
Rauch.

Ludwigs XIV. Zeitalter ist das der ausgesuchtesten und
ausgebildetsten Galanterie. Die Dame genoß im gesellschaftli-
chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handküssen und
den tiefsten Verbeugungen nahte man sich ihr; Complimente,
die süßesten, geziertesten Redensarten, die ein besonderes Stu-
dium verlangten, umschwirrten sie. Voll Scheu und Ehrfurcht
hielt man sich wie vor einem höheren Wesen in respectvoller Ent-

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
ſchoren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewäſſer mußten dem
Zwang ſeiner Tyrannei ſich fügen und ſich in ſeine Formen be-
quemen. Selbſt dem Menſchenantlitz, dem Individuellſten, was
es giebt, drückte er ſein Siegel auf, ſodaß alle Portraits einen
hiſtoriſchen Phyſiognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit.

Es iſt zunächſt das Leben ſelbſt in ſeinen geſellſchaftlichen
und Sittenzuſtänden, welches dieſen Doppelcharakter offenbart.
Es iſt kaum nöthig an die bekannte Demoraliſation zu erinnern,
welche den Hof Ludwigs XIV. und mit ihm ſein ganzes Zeitalter
kennzeichnet; daß es in der deutſchen Geſellſchaft nicht beſſer war,
iſt bei den entſetzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun-
dern. Aber es läßt ſich gleichzeitig beobachten, wie mit wachſen-
der Auflöſung der Moralität die höfiſche Etiquette ſich ſteigert,
wie die Umgangsformen, der geſellige Ton ſteifer und enger wer-
den, eine ceremoniöſe, feierliche und geſpreizte Galanterie ein-
reißt, zu der ſich gar Bigotterie und Pietismus geſellt. Ludwig
XIV. war ein vortrefflicher Lehrer in allen dieſen Dingen und
ſein Hof dafür das allgemeine Muſter. Während die Familien-
bande ſich lockern, die Maitreſſenwirthſchaft und unnatürliche
Laſter mit ſchamloſer Offenheit betrieben werden, ja zum guten
Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih-
res Lobes iſt man voll in denſelben Gedichten, die von Schmutz
ſtrotzen; Theaterzettel, welche die unfläthigſten Poſſen ankündi-
gen, berufen ſich auf die Moral; den Tugenden ſetzt man Bild-
ſäulen und bringt ſie als allegoriſche Figuren in den Ernſt und
den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für beſtändig,
weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als ſchnell vergänglicher
Rauch.

Ludwigs XIV. Zeitalter iſt das der ausgeſuchteſten und
ausgebildetſten Galanterie. Die Dame genoß im geſellſchaftli-
chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handküſſen und
den tiefſten Verbeugungen nahte man ſich ihr; Complimente,
die ſüßeſten, gezierteſten Redensarten, die ein beſonderes Stu-
dium verlangten, umſchwirrten ſie. Voll Scheu und Ehrfurcht
hielt man ſich wie vor einem höheren Weſen in reſpectvoller Ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="215"/><fw place="top" type="header">4. Die Staatsperrücke u. d. ab&#x017F;olute Herr&#x017F;chaft d. franzö&#x017F;. Mode.</fw><lb/>
&#x017F;choren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewä&#x017F;&#x017F;er mußten dem<lb/>
Zwang &#x017F;einer Tyrannei &#x017F;ich fügen und &#x017F;ich in &#x017F;eine Formen be-<lb/>
quemen. Selb&#x017F;t dem Men&#x017F;chenantlitz, dem Individuell&#x017F;ten, was<lb/>
es giebt, drückte er &#x017F;ein Siegel auf, &#x017F;odaß alle Portraits einen<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Phy&#x017F;iognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t zunäch&#x017F;t das Leben &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einen ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
und Sittenzu&#x017F;tänden, welches die&#x017F;en Doppelcharakter offenbart.<lb/>
Es i&#x017F;t kaum nöthig an die bekannte Demorali&#x017F;ation zu erinnern,<lb/>
welche den Hof Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> und mit ihm &#x017F;ein ganzes Zeitalter<lb/>
kennzeichnet; daß es in der deut&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nicht be&#x017F;&#x017F;er war,<lb/>
i&#x017F;t bei den ent&#x017F;etzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun-<lb/>
dern. Aber es läßt &#x017F;ich gleichzeitig beobachten, wie mit wach&#x017F;en-<lb/>
der Auflö&#x017F;ung der Moralität die höfi&#x017F;che Etiquette &#x017F;ich &#x017F;teigert,<lb/>
wie die Umgangsformen, der ge&#x017F;ellige Ton &#x017F;teifer und enger wer-<lb/>
den, eine ceremoniö&#x017F;e, feierliche und ge&#x017F;preizte Galanterie ein-<lb/>
reißt, zu der &#x017F;ich gar Bigotterie und Pietismus ge&#x017F;ellt. Ludwig<lb/><hi rendition="#aq">XIV.</hi> war ein vortrefflicher Lehrer in allen die&#x017F;en Dingen und<lb/>
&#x017F;ein Hof dafür das allgemeine Mu&#x017F;ter. Während die Familien-<lb/>
bande &#x017F;ich lockern, die Maitre&#x017F;&#x017F;enwirth&#x017F;chaft und unnatürliche<lb/>
La&#x017F;ter mit &#x017F;chamlo&#x017F;er Offenheit betrieben werden, ja zum guten<lb/>
Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih-<lb/>
res Lobes i&#x017F;t man voll in den&#x017F;elben Gedichten, die von Schmutz<lb/>
&#x017F;trotzen; Theaterzettel, welche die unfläthig&#x017F;ten Po&#x017F;&#x017F;en ankündi-<lb/>
gen, berufen &#x017F;ich auf die Moral; den Tugenden &#x017F;etzt man Bild-<lb/>
&#x017F;äulen und bringt &#x017F;ie als allegori&#x017F;che Figuren in den Ern&#x017F;t und<lb/>
den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für be&#x017F;tändig,<lb/>
weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als &#x017F;chnell vergänglicher<lb/>
Rauch.</p><lb/>
          <p>Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Zeitalter i&#x017F;t das der ausge&#x017F;uchte&#x017F;ten und<lb/>
ausgebildet&#x017F;ten Galanterie. Die Dame genoß im ge&#x017F;ell&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handkü&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
den tief&#x017F;ten Verbeugungen nahte man &#x017F;ich ihr; Complimente,<lb/>
die &#x017F;üße&#x017F;ten, gezierte&#x017F;ten Redensarten, die ein be&#x017F;onderes Stu-<lb/>
dium verlangten, um&#x017F;chwirrten &#x017F;ie. Voll Scheu und Ehrfurcht<lb/>
hielt man &#x017F;ich wie vor einem höheren We&#x017F;en in re&#x017F;pectvoller Ent-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0227] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode. ſchoren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewäſſer mußten dem Zwang ſeiner Tyrannei ſich fügen und ſich in ſeine Formen be- quemen. Selbſt dem Menſchenantlitz, dem Individuellſten, was es giebt, drückte er ſein Siegel auf, ſodaß alle Portraits einen hiſtoriſchen Phyſiognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit. Es iſt zunächſt das Leben ſelbſt in ſeinen geſellſchaftlichen und Sittenzuſtänden, welches dieſen Doppelcharakter offenbart. Es iſt kaum nöthig an die bekannte Demoraliſation zu erinnern, welche den Hof Ludwigs XIV. und mit ihm ſein ganzes Zeitalter kennzeichnet; daß es in der deutſchen Geſellſchaft nicht beſſer war, iſt bei den entſetzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun- dern. Aber es läßt ſich gleichzeitig beobachten, wie mit wachſen- der Auflöſung der Moralität die höfiſche Etiquette ſich ſteigert, wie die Umgangsformen, der geſellige Ton ſteifer und enger wer- den, eine ceremoniöſe, feierliche und geſpreizte Galanterie ein- reißt, zu der ſich gar Bigotterie und Pietismus geſellt. Ludwig XIV. war ein vortrefflicher Lehrer in allen dieſen Dingen und ſein Hof dafür das allgemeine Muſter. Während die Familien- bande ſich lockern, die Maitreſſenwirthſchaft und unnatürliche Laſter mit ſchamloſer Offenheit betrieben werden, ja zum guten Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih- res Lobes iſt man voll in denſelben Gedichten, die von Schmutz ſtrotzen; Theaterzettel, welche die unfläthigſten Poſſen ankündi- gen, berufen ſich auf die Moral; den Tugenden ſetzt man Bild- ſäulen und bringt ſie als allegoriſche Figuren in den Ernſt und den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für beſtändig, weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als ſchnell vergänglicher Rauch. Ludwigs XIV. Zeitalter iſt das der ausgeſuchteſten und ausgebildetſten Galanterie. Die Dame genoß im geſellſchaftli- chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handküſſen und den tiefſten Verbeugungen nahte man ſich ihr; Complimente, die ſüßeſten, gezierteſten Redensarten, die ein beſonderes Stu- dium verlangten, umſchwirrten ſie. Voll Scheu und Ehrfurcht hielt man ſich wie vor einem höheren Weſen in reſpectvoller Ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/227
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/227>, abgerufen am 09.05.2024.