Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Die Reaction und die spanische Tracht.
Unterschuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Ursprunge
nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten
Jahrhundert bekannten sein mögen, da die Beschaffenheit des
Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da-
mit ist die außerordentliche Höhe, welche diese Fußgestelle von
Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war sehr verschieden
und richtete sich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz
kleine Damen trugen sie, wenn wir den Erzählungen Glauben
schenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die
eines halben Fußes war nichts seltenes. Begünstigt wurde diese
Tracht durch die langen Kleider, welche ausgespannt den Boden
rings erreichten, sodaß weder die wirkliche Größe der Dame noch
die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In
niedern Ständen jedoch wurden sie sichtbar getragen, wie wir das
in den Trachtenbüchern bei italienischen und spanischen Frauen
sehen. Ueberhaupt war die Sitte diesen mehr eigen wie der vor-
nehmen Welt, in welcher sie weder zu der Größe und Allgemein-
heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu sein scheint;
und vorzugsweise dienten sie wohl zum nothwendigen Gebrauch
auf der Straße, da Senften oder gar Kutschen erst in dieser Zeit
aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen sehr beschwerlich war,
sodaß eine Dame sich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben
stützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An-
spruch nahm, welche sie unter die Achsel faßten, so wird doch
grade von den spanischen Damen dieser Zeit versichert, sie hätten
sich durch einen so leichten und graziosen Gang ausgezeichnet,
daß selbst Französinnen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät-
ten -- ein Zeichen, daß sie sich der hohen Schuhe nur in Aus-
nahmsfällen bedienten. In Vecellio's Trachtenbuch tragen sehr
viele der italienischen Damen hölzerne Pantoffel, aber sie sind
kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant geschnitten und
mit Schmuck versehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab-
sätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen
Frauen tragen sie höher, letztere nach der Angabe Vecellio's von
mehr als ein viertel Elle; die Füße lassen sie sehen. So heißt

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 7

2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Unterſchuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Urſprunge
nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten
Jahrhundert bekannten ſein mögen, da die Beſchaffenheit des
Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da-
mit iſt die außerordentliche Höhe, welche dieſe Fußgeſtelle von
Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war ſehr verſchieden
und richtete ſich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz
kleine Damen trugen ſie, wenn wir den Erzählungen Glauben
ſchenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die
eines halben Fußes war nichts ſeltenes. Begünſtigt wurde dieſe
Tracht durch die langen Kleider, welche ausgeſpannt den Boden
rings erreichten, ſodaß weder die wirkliche Größe der Dame noch
die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In
niedern Ständen jedoch wurden ſie ſichtbar getragen, wie wir das
in den Trachtenbüchern bei italieniſchen und ſpaniſchen Frauen
ſehen. Ueberhaupt war die Sitte dieſen mehr eigen wie der vor-
nehmen Welt, in welcher ſie weder zu der Größe und Allgemein-
heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu ſein ſcheint;
und vorzugsweiſe dienten ſie wohl zum nothwendigen Gebrauch
auf der Straße, da Senften oder gar Kutſchen erſt in dieſer Zeit
aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen ſehr beſchwerlich war,
ſodaß eine Dame ſich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben
ſtützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An-
ſpruch nahm, welche ſie unter die Achſel faßten, ſo wird doch
grade von den ſpaniſchen Damen dieſer Zeit verſichert, ſie hätten
ſich durch einen ſo leichten und grazioſen Gang ausgezeichnet,
daß ſelbſt Franzöſinnen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät-
ten — ein Zeichen, daß ſie ſich der hohen Schuhe nur in Aus-
nahmsfällen bedienten. In Vecellio’s Trachtenbuch tragen ſehr
viele der italieniſchen Damen hölzerne Pantoffel, aber ſie ſind
kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant geſchnitten und
mit Schmuck verſehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab-
ſätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen
Frauen tragen ſie höher, letztere nach der Angabe Vecellio’s von
mehr als ein viertel Elle; die Füße laſſen ſie ſehen. So heißt

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0109" n="97"/><fw place="top" type="header">2. Die Reaction und die &#x017F;pani&#x017F;che Tracht.</fw><lb/>
Unter&#x017F;chuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Ur&#x017F;prunge<lb/>
nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten<lb/>
Jahrhundert bekannten &#x017F;ein mögen, da die Be&#x017F;chaffenheit des<lb/>
Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da-<lb/>
mit i&#x017F;t die außerordentliche Höhe, welche die&#x017F;e Fußge&#x017F;telle von<lb/>
Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden<lb/>
und richtete &#x017F;ich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz<lb/>
kleine Damen trugen &#x017F;ie, wenn wir den Erzählungen Glauben<lb/>
&#x017F;chenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die<lb/>
eines halben Fußes war nichts &#x017F;eltenes. Begün&#x017F;tigt wurde die&#x017F;e<lb/>
Tracht durch die langen Kleider, welche ausge&#x017F;pannt den Boden<lb/>
rings erreichten, &#x017F;odaß weder die wirkliche Größe der Dame noch<lb/>
die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In<lb/>
niedern Ständen jedoch wurden &#x017F;ie &#x017F;ichtbar getragen, wie wir das<lb/>
in den Trachtenbüchern bei italieni&#x017F;chen und &#x017F;pani&#x017F;chen Frauen<lb/>
&#x017F;ehen. Ueberhaupt war die Sitte die&#x017F;en mehr eigen wie der vor-<lb/>
nehmen Welt, in welcher &#x017F;ie weder zu der Größe und Allgemein-<lb/>
heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu &#x017F;ein &#x017F;cheint;<lb/>
und vorzugswei&#x017F;e dienten &#x017F;ie wohl zum nothwendigen Gebrauch<lb/>
auf der Straße, da Senften oder gar Kut&#x017F;chen er&#x017F;t in die&#x017F;er Zeit<lb/>
aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen &#x017F;ehr be&#x017F;chwerlich war,<lb/>
&#x017F;odaß eine Dame &#x017F;ich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben<lb/>
&#x017F;tützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An-<lb/>
&#x017F;pruch nahm, welche &#x017F;ie unter die Ach&#x017F;el faßten, &#x017F;o wird doch<lb/>
grade von den &#x017F;pani&#x017F;chen Damen die&#x017F;er Zeit ver&#x017F;ichert, &#x017F;ie hätten<lb/>
&#x017F;ich durch einen &#x017F;o leichten und grazio&#x017F;en Gang ausgezeichnet,<lb/>
daß &#x017F;elb&#x017F;t Franzö&#x017F;innen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät-<lb/>
ten &#x2014; ein Zeichen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich der hohen Schuhe nur in Aus-<lb/>
nahmsfällen bedienten. In Vecellio&#x2019;s Trachtenbuch tragen &#x017F;ehr<lb/>
viele der italieni&#x017F;chen Damen hölzerne Pantoffel, aber &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant ge&#x017F;chnitten und<lb/>
mit Schmuck ver&#x017F;ehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab-<lb/>
&#x017F;ätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen<lb/>
Frauen tragen &#x017F;ie höher, letztere nach der Angabe Vecellio&#x2019;s von<lb/>
mehr als ein viertel Elle; die Füße la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ehen. So heißt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Falke</hi>, Trachten- und Modenwelt. <hi rendition="#aq">II.</hi> 7</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0109] 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. Unterſchuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Urſprunge nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten Jahrhundert bekannten ſein mögen, da die Beſchaffenheit des Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da- mit iſt die außerordentliche Höhe, welche dieſe Fußgeſtelle von Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war ſehr verſchieden und richtete ſich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz kleine Damen trugen ſie, wenn wir den Erzählungen Glauben ſchenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die eines halben Fußes war nichts ſeltenes. Begünſtigt wurde dieſe Tracht durch die langen Kleider, welche ausgeſpannt den Boden rings erreichten, ſodaß weder die wirkliche Größe der Dame noch die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In niedern Ständen jedoch wurden ſie ſichtbar getragen, wie wir das in den Trachtenbüchern bei italieniſchen und ſpaniſchen Frauen ſehen. Ueberhaupt war die Sitte dieſen mehr eigen wie der vor- nehmen Welt, in welcher ſie weder zu der Größe und Allgemein- heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu ſein ſcheint; und vorzugsweiſe dienten ſie wohl zum nothwendigen Gebrauch auf der Straße, da Senften oder gar Kutſchen erſt in dieſer Zeit aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen ſehr beſchwerlich war, ſodaß eine Dame ſich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben ſtützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An- ſpruch nahm, welche ſie unter die Achſel faßten, ſo wird doch grade von den ſpaniſchen Damen dieſer Zeit verſichert, ſie hätten ſich durch einen ſo leichten und grazioſen Gang ausgezeichnet, daß ſelbſt Franzöſinnen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät- ten — ein Zeichen, daß ſie ſich der hohen Schuhe nur in Aus- nahmsfällen bedienten. In Vecellio’s Trachtenbuch tragen ſehr viele der italieniſchen Damen hölzerne Pantoffel, aber ſie ſind kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant geſchnitten und mit Schmuck verſehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab- ſätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen Frauen tragen ſie höher, letztere nach der Angabe Vecellio’s von mehr als ein viertel Elle; die Füße laſſen ſie ſehen. So heißt Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/109
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/109>, abgerufen am 09.05.2024.