Drittes Kapitel. Die Verschmelzung der verschiedenartigen Elemente in der Zeit von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis gegen den Beginn der Kreuzzüge.
Die nun folgende Periode der letzten Karolinger und der sächsischen und fränkischen Kaiser ist in allen Zweigen der Cultur die Zeit der letzten Klärung und Läuterung, wo die verschieden- artigen Elemente, welche die Völkerwanderung an einander und durch einander geworfen hatte, sich setzten und zusammenflossen in ein neues, einheitliches Ganze, auf dessen Grunde erst ein reiches und vor allem originales Leben, das eigentliche Mittel- alter, erblühen konnte. Bis dahin hatten dieselben, nämlich das heidnisch-germanische, das christliche und das classisch-antike Ele- ment, roh und unorganisch verbunden und unverschmolzen neben einander existirt, indem bald dieses, bald jenes vorherrschte. So war man in der kirchlichen Baukunst, in der Anlage und in der ganzen Gestaltung des Aeußern und Innern bei dem stehen geblieben, was die spätere Antike überliefert hatte, und nur das Bedürfniß hatte einige auf die Architektur wenig influirende Aenderungen nothwendig gemacht. In allen Einzelheiten galten durchweg ebenfalls die antiken Motive: noch hatte man keinen Versuch gemacht, nur ein neues Capitäl oder irgend ein architek- tonisches Ornament oder ein neues Profil zu erfinden; indem man aber die Bedeutungen der einzelnen Glieder vielfach ver- kannte, hatte man häufig Unzusammengehöriges mit einander ver- bunden und die verschiedenen Stile mit einander vermischt. Ar- chitektonisches, welches heidnisch-germanischen Ursprung und Ge-
Drittes Kapitel. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente in der Zeit von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis gegen den Beginn der Kreuzzüge.
Die nun folgende Periode der letzten Karolinger und der ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiſer iſt in allen Zweigen der Cultur die Zeit der letzten Klärung und Läuterung, wo die verſchieden- artigen Elemente, welche die Völkerwanderung an einander und durch einander geworfen hatte, ſich ſetzten und zuſammenfloſſen in ein neues, einheitliches Ganze, auf deſſen Grunde erſt ein reiches und vor allem originales Leben, das eigentliche Mittel- alter, erblühen konnte. Bis dahin hatten dieſelben, nämlich das heidniſch-germaniſche, das chriſtliche und das claſſiſch-antike Ele- ment, roh und unorganiſch verbunden und unverſchmolzen neben einander exiſtirt, indem bald dieſes, bald jenes vorherrſchte. So war man in der kirchlichen Baukunſt, in der Anlage und in der ganzen Geſtaltung des Aeußern und Innern bei dem ſtehen geblieben, was die ſpätere Antike überliefert hatte, und nur das Bedürfniß hatte einige auf die Architektur wenig influirende Aenderungen nothwendig gemacht. In allen Einzelheiten galten durchweg ebenfalls die antiken Motive: noch hatte man keinen Verſuch gemacht, nur ein neues Capitäl oder irgend ein architek- toniſches Ornament oder ein neues Profil zu erfinden; indem man aber die Bedeutungen der einzelnen Glieder vielfach ver- kannte, hatte man häufig Unzuſammengehöriges mit einander ver- bunden und die verſchiedenen Stile mit einander vermiſcht. Ar- chitektoniſches, welches heidniſch-germaniſchen Urſprung und Ge-
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Drittes Kapitel.
Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente
in der Zeit von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis
gegen den Beginn der Kreuzzüge.
Die nun folgende Periode der letzten Karolinger und der
ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiſer iſt in allen Zweigen der Cultur
die Zeit der letzten Klärung und Läuterung, wo die verſchieden-
artigen Elemente, welche die Völkerwanderung an einander und
durch einander geworfen hatte, ſich ſetzten und zuſammenfloſſen
in ein neues, einheitliches Ganze, auf deſſen Grunde erſt ein
reiches und vor allem originales Leben, das eigentliche Mittel-
alter, erblühen konnte. Bis dahin hatten dieſelben, nämlich das
heidniſch-germaniſche, das chriſtliche und das claſſiſch-antike Ele-
ment, roh und unorganiſch verbunden und unverſchmolzen
neben einander exiſtirt, indem bald dieſes, bald jenes vorherrſchte.
So war man in der kirchlichen Baukunſt, in der Anlage und in
der ganzen Geſtaltung des Aeußern und Innern bei dem ſtehen
geblieben, was die ſpätere Antike überliefert hatte, und nur das
Bedürfniß hatte einige auf die Architektur wenig influirende
Aenderungen nothwendig gemacht. In allen Einzelheiten galten
durchweg ebenfalls die antiken Motive: noch hatte man keinen
Verſuch gemacht, nur ein neues Capitäl oder irgend ein architek-
toniſches Ornament oder ein neues Profil zu erfinden; indem
man aber die Bedeutungen der einzelnen Glieder vielfach ver-
kannte, hatte man häufig Unzuſammengehöriges mit einander ver-
bunden und die verſchiedenen Stile mit einander vermiſcht. Ar-
chitektoniſches, welches heidniſch-germaniſchen Urſprung und Ge-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. [53]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/71>, abgerufen am 27.11.2024.
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