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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Schwankungen zwischen den nationalen und antiken Elementen.
lisation, vom Schmuck des Lebens eine Ahnung bekam. Diese
Nation sollte jetzt die Erbschaft des klassischen Alterthums antre-
ten. Reichthum aller Art war vorhanden; in Italien hatten
die Römer Jahrhunderte lang die unermeßlichste Fülle von edlem
Metall aufgespeichert, und nicht weniges davon war wieder nord-
wärts geflossen in die Schatzkammern ihrer Besieger; Massen von
Kunstschätzen fanden sich zerstreut über die romanisirten Länder;
ein Reichthum von Ideen, Muster des Stils und der Rede wa-
ren in den Schriften der Alten niedergelegt. All das war noch
vorhanden, aber der Deutsche wußte nicht was damit anfangen;
er hatte nur die Ahnung, daß darin ein Höheres verborgen läge;
das feine Verständniß wahrer Kunst entging dem ungebildeten
Geiste, ihm imponirte nur der Glanz, die Kostbarkeit des Stof-
fes und die Masse. Wenn er lateinisch verstand und schrieb, blieb
ihm doch die Schönheit verschlossen, welche in der classischen Ein-
fachheit liegt, die Rhetorik sagte ihm mehr zu mit ihrem Rede-
schwall, ihrer Uebertreibung, ihren Floskeln und ihrer Armuth
an tiefen Gedanken. Da in der That damals eine ungekünstelte
Redeweise nicht geschätzt, sondern vielmehr für langweilig und
nicht lesenswerth geachtet wurde, so glaubte er, wenn er sich nicht
im Stande fühlte, in schwungvoller Weise zu schreiben, daß sein
Stil, überhaupt seine Kühnheit etwas schreiben zu wollen, der
Entschuldigung bedürfe. Darum war man bemüht, die Rede mit
schönen, wenn auch inhaltsleeren Worten aufzustutzen. Besonders
leidet die Poesie in der Zeit der Karolinger bei innerer Armuth
an der Ueberladung mit tönenden Phrasen und gesuchten Ver-
gleichen, die nicht selten zum Unsinn führen, wie wenn in den
oben angeführten Versen Angilbert das blonde Haar mit dem
Purpur vergleicht, welche Farbe in jener Zeit gewöhnlich ein
dunkles Violett war, oder wenn er die schönen Füße der Rho-
daide mit sophokleischem Cothurn bekleidet. Gewiß wirkte auch
zum Vorherrschen der Mosaik vor der gewöhnlichen Tafel- und
Wandmalerei derselbe Geschmack mit, denn diese Kunstart war
theils in Arbeit und Stoff viel kostbarer, theils hatten die farbi-
gen, durchsichtigen Glasflüsse, welche in den Gründen durch un-

2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
liſation, vom Schmuck des Lebens eine Ahnung bekam. Dieſe
Nation ſollte jetzt die Erbſchaft des klaſſiſchen Alterthums antre-
ten. Reichthum aller Art war vorhanden; in Italien hatten
die Römer Jahrhunderte lang die unermeßlichſte Fülle von edlem
Metall aufgeſpeichert, und nicht weniges davon war wieder nord-
wärts gefloſſen in die Schatzkammern ihrer Beſieger; Maſſen von
Kunſtſchätzen fanden ſich zerſtreut über die romaniſirten Länder;
ein Reichthum von Ideen, Muſter des Stils und der Rede wa-
ren in den Schriften der Alten niedergelegt. All das war noch
vorhanden, aber der Deutſche wußte nicht was damit anfangen;
er hatte nur die Ahnung, daß darin ein Höheres verborgen läge;
das feine Verſtändniß wahrer Kunſt entging dem ungebildeten
Geiſte, ihm imponirte nur der Glanz, die Koſtbarkeit des Stof-
fes und die Maſſe. Wenn er lateiniſch verſtand und ſchrieb, blieb
ihm doch die Schönheit verſchloſſen, welche in der claſſiſchen Ein-
fachheit liegt, die Rhetorik ſagte ihm mehr zu mit ihrem Rede-
ſchwall, ihrer Uebertreibung, ihren Floskeln und ihrer Armuth
an tiefen Gedanken. Da in der That damals eine ungekünſtelte
Redeweiſe nicht geſchätzt, ſondern vielmehr für langweilig und
nicht leſenswerth geachtet wurde, ſo glaubte er, wenn er ſich nicht
im Stande fühlte, in ſchwungvoller Weiſe zu ſchreiben, daß ſein
Stil, überhaupt ſeine Kühnheit etwas ſchreiben zu wollen, der
Entſchuldigung bedürfe. Darum war man bemüht, die Rede mit
ſchönen, wenn auch inhaltsleeren Worten aufzuſtutzen. Beſonders
leidet die Poeſie in der Zeit der Karolinger bei innerer Armuth
an der Ueberladung mit tönenden Phraſen und geſuchten Ver-
gleichen, die nicht ſelten zum Unſinn führen, wie wenn in den
oben angeführten Verſen Angilbert das blonde Haar mit dem
Purpur vergleicht, welche Farbe in jener Zeit gewöhnlich ein
dunkles Violett war, oder wenn er die ſchönen Füße der Rho-
daide mit ſophokleiſchem Cothurn bekleidet. Gewiß wirkte auch
zum Vorherrſchen der Moſaik vor der gewöhnlichen Tafel- und
Wandmalerei derſelbe Geſchmack mit, denn dieſe Kunſtart war
theils in Arbeit und Stoff viel koſtbarer, theils hatten die farbi-
gen, durchſichtigen Glasflüſſe, welche in den Gründen durch un-

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[45/0063] 2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen. liſation, vom Schmuck des Lebens eine Ahnung bekam. Dieſe Nation ſollte jetzt die Erbſchaft des klaſſiſchen Alterthums antre- ten. Reichthum aller Art war vorhanden; in Italien hatten die Römer Jahrhunderte lang die unermeßlichſte Fülle von edlem Metall aufgeſpeichert, und nicht weniges davon war wieder nord- wärts gefloſſen in die Schatzkammern ihrer Beſieger; Maſſen von Kunſtſchätzen fanden ſich zerſtreut über die romaniſirten Länder; ein Reichthum von Ideen, Muſter des Stils und der Rede wa- ren in den Schriften der Alten niedergelegt. All das war noch vorhanden, aber der Deutſche wußte nicht was damit anfangen; er hatte nur die Ahnung, daß darin ein Höheres verborgen läge; das feine Verſtändniß wahrer Kunſt entging dem ungebildeten Geiſte, ihm imponirte nur der Glanz, die Koſtbarkeit des Stof- fes und die Maſſe. Wenn er lateiniſch verſtand und ſchrieb, blieb ihm doch die Schönheit verſchloſſen, welche in der claſſiſchen Ein- fachheit liegt, die Rhetorik ſagte ihm mehr zu mit ihrem Rede- ſchwall, ihrer Uebertreibung, ihren Floskeln und ihrer Armuth an tiefen Gedanken. Da in der That damals eine ungekünſtelte Redeweiſe nicht geſchätzt, ſondern vielmehr für langweilig und nicht leſenswerth geachtet wurde, ſo glaubte er, wenn er ſich nicht im Stande fühlte, in ſchwungvoller Weiſe zu ſchreiben, daß ſein Stil, überhaupt ſeine Kühnheit etwas ſchreiben zu wollen, der Entſchuldigung bedürfe. Darum war man bemüht, die Rede mit ſchönen, wenn auch inhaltsleeren Worten aufzuſtutzen. Beſonders leidet die Poeſie in der Zeit der Karolinger bei innerer Armuth an der Ueberladung mit tönenden Phraſen und geſuchten Ver- gleichen, die nicht ſelten zum Unſinn führen, wie wenn in den oben angeführten Verſen Angilbert das blonde Haar mit dem Purpur vergleicht, welche Farbe in jener Zeit gewöhnlich ein dunkles Violett war, oder wenn er die ſchönen Füße der Rho- daide mit ſophokleiſchem Cothurn bekleidet. Gewiß wirkte auch zum Vorherrſchen der Moſaik vor der gewöhnlichen Tafel- und Wandmalerei derſelbe Geſchmack mit, denn dieſe Kunſtart war theils in Arbeit und Stoff viel koſtbarer, theils hatten die farbi- gen, durchſichtigen Glasflüſſe, welche in den Gründen durch un-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/63>, abgerufen am 20.04.2024.