ten Schleier gelegt; selbst Handwerksfrauen und Bäuerinnen kauften sich Schleier, die 5 oder 6 fl. kosteten.
Am unschönsten von allen waren die Hauben verheiratheter städtischer Damen, welche sie aus weißen Tüchern in steifer Form zusammenlegten. Oft waren sie ziemlich einfach und verhüllten in wenig bemerkenswerther Form die Haare und einen Theil des Gesichts; oft aber waren sie über ein hohes und breites, eckiges Drahtgestell ausgespannt, und unter dem Kinn zusammengebun- den: das Gesicht erschien darin winzig klein. Diese Haube wurde ums Jahr 1500 bei den verheiratheten Frauen der Städte, selbst den jüngeren, sehr allgemein, bei ihrer wahrhaft grotesken Unge- stalt gewiß nicht zum Vortheil des guten Geschmacks. Gar selt- sam paart sich hier zuweilen die vermeintliche Ehrbarkeit mit den freien Moden. Wir sehen z. B. eine Dame (Hefner II, 162), welche mit einer weißen Haube von der einfacheren Art Haar, Stirn und Schläfen, und vermöge einer Binde, die von Ohr zu Ohr geht, auch Mund, Kinn und den größten Theil der Wangen verhüllt hat: nicht viel mehr ist sichtbar als Augen und Nase; dabei aber hat sich die Dame so stark decolletirt, daß nicht bloß Hals, Busen und Nacken, sondern auch der Rücken bis zum Gür- tel hinab entblößt sind.
Im Allgemeinen bleibt die Kleidung der Frauen auf den früheren Grundformen stehen. Eine Dame in vollkommener Toilette brauchte ihre zwei Kleider, ein unteres und ein oberes. Daran aber gehen mancherlei Variationen vor sich, indem der Modelaune hinlänglich Spielraum überlassen blieb. Das untere Kleid wurde am Brustausschnitt, an den Armen oder unten sicht- bar, wenn das Oberkleid mit der linken Hand in die Höhe ge- nommen war. Zu diesem Zweck hatte das Kleid einen sehr brei- ten Besatz von Seide, Sammet, Perlstickerei und in höhern Stän- den von Veh und Hermelin. Diese Sitte, das Kleid mit der lin- ken Hand in die Höhe zu nehmen, war um so nothwendiger, als die steif gespitzten Schuhe mit dem auch vorn lang herabfallenden Stoff in beständigen Conflict kommen mußten. Wir sehen daher die Hand der Dame, mit welcher sie das Kleid hebt, immer vorn
II. Das Mittelalter.
ten Schleier gelegt; ſelbſt Handwerksfrauen und Bäuerinnen kauften ſich Schleier, die 5 oder 6 fl. koſteten.
Am unſchönſten von allen waren die Hauben verheiratheter ſtädtiſcher Damen, welche ſie aus weißen Tüchern in ſteifer Form zuſammenlegten. Oft waren ſie ziemlich einfach und verhüllten in wenig bemerkenswerther Form die Haare und einen Theil des Geſichts; oft aber waren ſie über ein hohes und breites, eckiges Drahtgeſtell ausgeſpannt, und unter dem Kinn zuſammengebun- den: das Geſicht erſchien darin winzig klein. Dieſe Haube wurde ums Jahr 1500 bei den verheiratheten Frauen der Städte, ſelbſt den jüngeren, ſehr allgemein, bei ihrer wahrhaft grotesken Unge- ſtalt gewiß nicht zum Vortheil des guten Geſchmacks. Gar ſelt- ſam paart ſich hier zuweilen die vermeintliche Ehrbarkeit mit den freien Moden. Wir ſehen z. B. eine Dame (Hefner II, 162), welche mit einer weißen Haube von der einfacheren Art Haar, Stirn und Schläfen, und vermöge einer Binde, die von Ohr zu Ohr geht, auch Mund, Kinn und den größten Theil der Wangen verhüllt hat: nicht viel mehr iſt ſichtbar als Augen und Naſe; dabei aber hat ſich die Dame ſo ſtark decolletirt, daß nicht bloß Hals, Buſen und Nacken, ſondern auch der Rücken bis zum Gür- tel hinab entblößt ſind.
Im Allgemeinen bleibt die Kleidung der Frauen auf den früheren Grundformen ſtehen. Eine Dame in vollkommener Toilette brauchte ihre zwei Kleider, ein unteres und ein oberes. Daran aber gehen mancherlei Variationen vor ſich, indem der Modelaune hinlänglich Spielraum überlaſſen blieb. Das untere Kleid wurde am Bruſtausſchnitt, an den Armen oder unten ſicht- bar, wenn das Oberkleid mit der linken Hand in die Höhe ge- nommen war. Zu dieſem Zweck hatte das Kleid einen ſehr brei- ten Beſatz von Seide, Sammet, Perlſtickerei und in höhern Stän- den von Veh und Hermelin. Dieſe Sitte, das Kleid mit der lin- ken Hand in die Höhe zu nehmen, war um ſo nothwendiger, als die ſteif geſpitzten Schuhe mit dem auch vorn lang herabfallenden Stoff in beſtändigen Conflict kommen mußten. Wir ſehen daher die Hand der Dame, mit welcher ſie das Kleid hebt, immer vorn
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II. Das Mittelalter.
ten Schleier gelegt; ſelbſt Handwerksfrauen und Bäuerinnen
kauften ſich Schleier, die 5 oder 6 fl. koſteten.
Am unſchönſten von allen waren die Hauben verheiratheter
ſtädtiſcher Damen, welche ſie aus weißen Tüchern in ſteifer Form
zuſammenlegten. Oft waren ſie ziemlich einfach und verhüllten in
wenig bemerkenswerther Form die Haare und einen Theil des
Geſichts; oft aber waren ſie über ein hohes und breites, eckiges
Drahtgeſtell ausgeſpannt, und unter dem Kinn zuſammengebun-
den: das Geſicht erſchien darin winzig klein. Dieſe Haube wurde
ums Jahr 1500 bei den verheiratheten Frauen der Städte, ſelbſt
den jüngeren, ſehr allgemein, bei ihrer wahrhaft grotesken Unge-
ſtalt gewiß nicht zum Vortheil des guten Geſchmacks. Gar ſelt-
ſam paart ſich hier zuweilen die vermeintliche Ehrbarkeit mit den
freien Moden. Wir ſehen z. B. eine Dame (Hefner II, 162),
welche mit einer weißen Haube von der einfacheren Art Haar,
Stirn und Schläfen, und vermöge einer Binde, die von Ohr zu
Ohr geht, auch Mund, Kinn und den größten Theil der Wangen
verhüllt hat: nicht viel mehr iſt ſichtbar als Augen und Naſe;
dabei aber hat ſich die Dame ſo ſtark decolletirt, daß nicht bloß
Hals, Buſen und Nacken, ſondern auch der Rücken bis zum Gür-
tel hinab entblößt ſind.
Im Allgemeinen bleibt die Kleidung der Frauen auf
den früheren Grundformen ſtehen. Eine Dame in vollkommener
Toilette brauchte ihre zwei Kleider, ein unteres und ein oberes.
Daran aber gehen mancherlei Variationen vor ſich, indem der
Modelaune hinlänglich Spielraum überlaſſen blieb. Das untere
Kleid wurde am Bruſtausſchnitt, an den Armen oder unten ſicht-
bar, wenn das Oberkleid mit der linken Hand in die Höhe ge-
nommen war. Zu dieſem Zweck hatte das Kleid einen ſehr brei-
ten Beſatz von Seide, Sammet, Perlſtickerei und in höhern Stän-
den von Veh und Hermelin. Dieſe Sitte, das Kleid mit der lin-
ken Hand in die Höhe zu nehmen, war um ſo nothwendiger, als
die ſteif geſpitzten Schuhe mit dem auch vorn lang herabfallenden
Stoff in beſtändigen Conflict kommen mußten. Wir ſehen daher
die Hand der Dame, mit welcher ſie das Kleid hebt, immer vorn
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/322>, abgerufen am 01.08.2024.
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