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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
mit Schellen kein Bild der damals lebenden Kaiser, weder
Karls IV. noch Wenzels, Ruprechts oder Sigmunds, wohl aber
anderer Fürsten, wie des Kurfürsten Rudolf I. von Sachsen (gest.
1356), welcher ein Wehrgehenk mit birnenförmigen Schellen auf
der Schulter trug. Auch pflegte die Herzogin Anna von Braun-
schweig (um 1410) einen Schellengürtel um den Leib zu tragen.
Eine alte Chronik sagt: "Anno 1400 bis man schrieb 1430 war
so ein großer Ueberfluß an prächtigem Gewand und Kleidungen
der Fürsten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der
Weiber, als vordem niemals ist gehört worden; da trug man
Ketten von 4 oder 6 Mark, sammt köstlichen Halsbändern, gro-
ßen silbernen Gürteln und mancherlei Spangen, auch silberne
Fassungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15 und
bisweilen von 20 Mark." Als Herzog Friedrich von Sachsen
(1417) in Konstanz feierlichst seinen Einzug hielt, ging sein gan-
zes Gefolge, Knappen, Ritter und Barone, mit glockenbehängten
Gürteln einher. Es mag ein stattliches Geklingel gewesen sein
und seinen Eindruck auf die Ohren der staunenden Menge nicht
verfehlt haben!

Die Schellentracht drängt sich dem Bewußtsein der Zeit so
sehr als etwas Herrliches, Erhabenes auf, daß man sie auch my-
thischen und heiligen Personen umhängte, um ihnen eine rechte
Ehre zu erweisen -- wie man im siebzehnten Jahrhundert den
Göttern des Olymps und den Aposteln Perrücken aufsetzte, ja
selbst den Christuskopf sich nicht ohne dieselbe denken wollte. So
prangt in Zerbst die Rolandstatue mit Schellen, und das steinerne
Standbild des heiligen Mauritius in seiner Kirche zu Halle, von
Meister Konrad von Eimbeck im Jahr 1411 gefertigt, hat die
Schellen vom Gürtel herab an kleinen Kettchen hängen. Der
"Schellenmoriz" heißt er davon noch heute. Selbst die Freuden
des Himmels kann sich die fromme Seele des Dichters Peter von
Dresden (um 1410) nicht anders denken, als mit Schellenge-
klingel zum Gesang der Engel:

"Ubi sunt gaudia?
Nirgend mehr denn da,

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
mit Schellen kein Bild der damals lebenden Kaiſer, weder
Karls IV. noch Wenzels, Ruprechts oder Sigmunds, wohl aber
anderer Fürſten, wie des Kurfürſten Rudolf I. von Sachſen (geſt.
1356), welcher ein Wehrgehenk mit birnenförmigen Schellen auf
der Schulter trug. Auch pflegte die Herzogin Anna von Braun-
ſchweig (um 1410) einen Schellengürtel um den Leib zu tragen.
Eine alte Chronik ſagt: „Anno 1400 bis man ſchrieb 1430 war
ſo ein großer Ueberfluß an prächtigem Gewand und Kleidungen
der Fürſten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der
Weiber, als vordem niemals iſt gehört worden; da trug man
Ketten von 4 oder 6 Mark, ſammt köſtlichen Halsbändern, gro-
ßen ſilbernen Gürteln und mancherlei Spangen, auch ſilberne
Faſſungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15 und
bisweilen von 20 Mark.“ Als Herzog Friedrich von Sachſen
(1417) in Konſtanz feierlichſt ſeinen Einzug hielt, ging ſein gan-
zes Gefolge, Knappen, Ritter und Barone, mit glockenbehängten
Gürteln einher. Es mag ein ſtattliches Geklingel geweſen ſein
und ſeinen Eindruck auf die Ohren der ſtaunenden Menge nicht
verfehlt haben!

Die Schellentracht drängt ſich dem Bewußtſein der Zeit ſo
ſehr als etwas Herrliches, Erhabenes auf, daß man ſie auch my-
thiſchen und heiligen Perſonen umhängte, um ihnen eine rechte
Ehre zu erweiſen — wie man im ſiebzehnten Jahrhundert den
Göttern des Olymps und den Apoſteln Perrücken aufſetzte, ja
ſelbſt den Chriſtuskopf ſich nicht ohne dieſelbe denken wollte. So
prangt in Zerbſt die Rolandſtatue mit Schellen, und das ſteinerne
Standbild des heiligen Mauritius in ſeiner Kirche zu Halle, von
Meiſter Konrad von Eimbeck im Jahr 1411 gefertigt, hat die
Schellen vom Gürtel herab an kleinen Kettchen hängen. Der
„Schellenmoriz“ heißt er davon noch heute. Selbſt die Freuden
des Himmels kann ſich die fromme Seele des Dichters Peter von
Dresden (um 1410) nicht anders denken, als mit Schellenge-
klingel zum Geſang der Engel:

Ubi sunt gaudia?
Nirgend mehr denn da,
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[239/0257] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. mit Schellen kein Bild der damals lebenden Kaiſer, weder Karls IV. noch Wenzels, Ruprechts oder Sigmunds, wohl aber anderer Fürſten, wie des Kurfürſten Rudolf I. von Sachſen (geſt. 1356), welcher ein Wehrgehenk mit birnenförmigen Schellen auf der Schulter trug. Auch pflegte die Herzogin Anna von Braun- ſchweig (um 1410) einen Schellengürtel um den Leib zu tragen. Eine alte Chronik ſagt: „Anno 1400 bis man ſchrieb 1430 war ſo ein großer Ueberfluß an prächtigem Gewand und Kleidungen der Fürſten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der Weiber, als vordem niemals iſt gehört worden; da trug man Ketten von 4 oder 6 Mark, ſammt köſtlichen Halsbändern, gro- ßen ſilbernen Gürteln und mancherlei Spangen, auch ſilberne Faſſungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15 und bisweilen von 20 Mark.“ Als Herzog Friedrich von Sachſen (1417) in Konſtanz feierlichſt ſeinen Einzug hielt, ging ſein gan- zes Gefolge, Knappen, Ritter und Barone, mit glockenbehängten Gürteln einher. Es mag ein ſtattliches Geklingel geweſen ſein und ſeinen Eindruck auf die Ohren der ſtaunenden Menge nicht verfehlt haben! Die Schellentracht drängt ſich dem Bewußtſein der Zeit ſo ſehr als etwas Herrliches, Erhabenes auf, daß man ſie auch my- thiſchen und heiligen Perſonen umhängte, um ihnen eine rechte Ehre zu erweiſen — wie man im ſiebzehnten Jahrhundert den Göttern des Olymps und den Apoſteln Perrücken aufſetzte, ja ſelbſt den Chriſtuskopf ſich nicht ohne dieſelbe denken wollte. So prangt in Zerbſt die Rolandſtatue mit Schellen, und das ſteinerne Standbild des heiligen Mauritius in ſeiner Kirche zu Halle, von Meiſter Konrad von Eimbeck im Jahr 1411 gefertigt, hat die Schellen vom Gürtel herab an kleinen Kettchen hängen. Der „Schellenmoriz“ heißt er davon noch heute. Selbſt die Freuden des Himmels kann ſich die fromme Seele des Dichters Peter von Dresden (um 1410) nicht anders denken, als mit Schellenge- klingel zum Geſang der Engel: „Ubi sunt gaudia? Nirgend mehr denn da,

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/257>, abgerufen am 25.11.2024.