Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Hinten bloß und vor verschamt --Zwar! das ziert nicht Ritters Amt; Ein edel Herz sich schämen soll, Scham ziert alle Tugenden wohl. Ich hab' zu lang geschlafen; Mein' Diener, die sind Affen Worden, das sei Gott geklagt! Den Ritter sie mit Zorn jagt Aus dem Garten ganz allein." Wir sehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anstand, 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Hinten bloß und vor verſchamt —Zwar! das ziert nicht Ritters Amt; Ein edel Herz ſich ſchämen ſoll, Scham ziert alle Tugenden wohl. Ich hab’ zu lang geſchlafen; Mein’ Diener, die ſind Affen Worden, das ſei Gott geklagt! Den Ritter ſie mit Zorn jagt Aus dem Garten ganz allein.“ Wir ſehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anſtand, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0215" n="197"/> <fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> <l>Hinten bloß und vor verſchamt —</l><lb/> <l>Zwar! das ziert nicht Ritters Amt;</l><lb/> <l>Ein edel Herz ſich ſchämen ſoll,</l><lb/> <l>Scham ziert alle Tugenden wohl.</l><lb/> <l>Ich hab’ zu lang geſchlafen;</l><lb/> <l>Mein’ Diener, die ſind Affen</l><lb/> <l>Worden, das ſei Gott geklagt!</l><lb/> <l>Den Ritter ſie mit Zorn jagt</l><lb/> <l>Aus dem Garten ganz allein.“</l> </lg><lb/> <p>Wir ſehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anſtand,<lb/> auch alle Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit weit überwunden.<lb/> Die Bilder zeigen uns dieſe enge Tracht bereits im vierzehnten<lb/> Jahrhundert nicht bloß an Fürſtenſitzen oder an proven<hi rendition="#aq">ç</hi>aliſchen<lb/> Liebeshöfen, ſondern überall, ſelbſt beim Reiter und auf der Jagd.<lb/> Wir mögen daher noch weiter gehen als Peter Suchenwirt und<lb/> noch andere Folgen aufſuchen als die Vernachläſſigung ritterlicher<lb/> Tugenden; wir glauben ſie auch in der Kunſt zu entdecken. Es<lb/> iſt bekannt, wie die deutſchen Bilder des funfzehnten Jahrhun-<lb/> derts uns beim erſten Eindruck ſo unangenehm berühren durch<lb/> die verdrehte Haltung des Körpers, durch die Verrenkungen der<lb/> Glieder, die eckigen Bewegungen der Arme und Beine, durch wi-<lb/> dernatürliche Stellungen, was wir alles nicht der Ungeſchicklich-<lb/> keit des Künſtlers zuſchreiben dürfen, ſondern was entſchieden<lb/> Abſicht iſt und aus einem, freilich falſchen, Schönheitsgefühl her-<lb/> vorgeht. Woher dieſes? Nicht anders als aus der Natur ſelbſt.<lb/> Was der realiſtiſche Künſtler dieſes Jahrhunderts ſeiner ihn um-<lb/> gebenden Welt abſah, bildete er in Gewohnheit und Uebertrei-<lb/> bung zur Manier aus. Nicht jeder — kaum einer — vermochte<lb/> es, ſich über den Schönheitsſinn ſeiner Zeit zu erheben. — Die-<lb/> ſelbe Urſache hat auch gewiß einen andern nahe liegenden Fehler<lb/> der damaligen Kunſt hervorgerufen, die übertriebene Magerkeit.<lb/> Es war eben Modegeſchmack, möglichſt dünn und ſchlank von<lb/> Körper zu ſein, und man ſuchte es an ſich ſelbſt durch die Enge<lb/> der Kleider, ſelbſt bei Männern, durch Schnüren zu erreichen;<lb/> der Künſtler, befangen in ſeiner Zeit, übertrieb das ebenſo wie<lb/> die erzwungenen Bewegungen und Stellungen des Körpers. Be-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0215]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Hinten bloß und vor verſchamt —
Zwar! das ziert nicht Ritters Amt;
Ein edel Herz ſich ſchämen ſoll,
Scham ziert alle Tugenden wohl.
Ich hab’ zu lang geſchlafen;
Mein’ Diener, die ſind Affen
Worden, das ſei Gott geklagt!
Den Ritter ſie mit Zorn jagt
Aus dem Garten ganz allein.“
Wir ſehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anſtand,
auch alle Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit weit überwunden.
Die Bilder zeigen uns dieſe enge Tracht bereits im vierzehnten
Jahrhundert nicht bloß an Fürſtenſitzen oder an provençaliſchen
Liebeshöfen, ſondern überall, ſelbſt beim Reiter und auf der Jagd.
Wir mögen daher noch weiter gehen als Peter Suchenwirt und
noch andere Folgen aufſuchen als die Vernachläſſigung ritterlicher
Tugenden; wir glauben ſie auch in der Kunſt zu entdecken. Es
iſt bekannt, wie die deutſchen Bilder des funfzehnten Jahrhun-
derts uns beim erſten Eindruck ſo unangenehm berühren durch
die verdrehte Haltung des Körpers, durch die Verrenkungen der
Glieder, die eckigen Bewegungen der Arme und Beine, durch wi-
dernatürliche Stellungen, was wir alles nicht der Ungeſchicklich-
keit des Künſtlers zuſchreiben dürfen, ſondern was entſchieden
Abſicht iſt und aus einem, freilich falſchen, Schönheitsgefühl her-
vorgeht. Woher dieſes? Nicht anders als aus der Natur ſelbſt.
Was der realiſtiſche Künſtler dieſes Jahrhunderts ſeiner ihn um-
gebenden Welt abſah, bildete er in Gewohnheit und Uebertrei-
bung zur Manier aus. Nicht jeder — kaum einer — vermochte
es, ſich über den Schönheitsſinn ſeiner Zeit zu erheben. — Die-
ſelbe Urſache hat auch gewiß einen andern nahe liegenden Fehler
der damaligen Kunſt hervorgerufen, die übertriebene Magerkeit.
Es war eben Modegeſchmack, möglichſt dünn und ſchlank von
Körper zu ſein, und man ſuchte es an ſich ſelbſt durch die Enge
der Kleider, ſelbſt bei Männern, durch Schnüren zu erreichen;
der Künſtler, befangen in ſeiner Zeit, übertrieb das ebenſo wie
die erzwungenen Bewegungen und Stellungen des Körpers. Be-
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