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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
13. Jahrhunderts angefertigt worden, hilft sich der Zeichner der
Bilder in dieser Weise, wenn er die Stände charakterisirend un-
terscheiden will. Der Bauer hat kurzes, schlichtes oder wollig krau-
ses Haar und ein häßliches Profil mit einer plumpen, einwärts
gebogenen Nase, deren dicke Spitze weit heraustritt; auch der
Mund ist möglichst unschön gezeichnet und meistens steht die
Oberlippe weit vor. Ganz ebenso wird auch der Sohn eines Ad-
ligen bildlich dargestellt, wenn er von seiner Mutter her dem
Vater nicht ebenbürtig ist, um in dieser seiner Eigenschaft also-
gleich erkannt werden zu können. -- --

Dem großartigen Umschwunge gegenüber, der das Leben
und die gesammte Anschauungsweise der abendländischen Völker
in dieser Periode umschuf, dürfte die Veränderung gering erschei-
nen, welche das Trachtenwesen, wie es in gleichem Stil und fast
gleichen Formen die westliche Christenwelt beherrschte, in ebenso
gleicher Weise traf. Denn wohl kein einziges neues Kleidungs-
stück wurde erfunden -- wie das überhaupt ein schweres und
seltnes Ding ist --; jede Umänderung geschah nur an dem Al-
ten, dessen Grundform immer erkennbar bleibt. Und dennoch
wandelte sich der ganze Charakter um. Mit dem Anfang dieser
Periode beginnt auch das Werden einer spezifisch mittelalterlichen
Tracht, die immer als eine originale zu bezeichnen ist. Die fast
barbarische Rohheit und Formlosigkeit wich in allmähligem Wer-
den der plastischen Schönheit; an die Stelle der Ueberladung
trat feine Eleganz, an die Stelle gefühllosen Ungeschmacks freie
Anmuth und natürlicher Reiz.

Das alles geschah unter dem sittigenden und verfeinernden
Einfluß der Frauenherrschaft. Wo ihre Hände und ihr feinfüh-
lender Sinn regieren, weicht die Rohheit scheu zurück. Mit sich
selber fingen sie die Besserung an, um in ihrer Erscheinung auch
der schmachtenden Männerwelt ein der Verehrung würdiges und
die Ansprüche der Schönheit und der Sitte befriedigendes Bild
aufzustellen. Im elften Jahrhundert hingen, wie wir gesehen
haben, die untere und obere Tunica, senkrecht in ungebrochener
Linie herabfallend, in sackähnlicher Weite platt und flach um den

II. Das Mittelalter.
13. Jahrhunderts angefertigt worden, hilft ſich der Zeichner der
Bilder in dieſer Weiſe, wenn er die Stände charakteriſirend un-
terſcheiden will. Der Bauer hat kurzes, ſchlichtes oder wollig krau-
ſes Haar und ein häßliches Profil mit einer plumpen, einwärts
gebogenen Naſe, deren dicke Spitze weit heraustritt; auch der
Mund iſt möglichſt unſchön gezeichnet und meiſtens ſteht die
Oberlippe weit vor. Ganz ebenſo wird auch der Sohn eines Ad-
ligen bildlich dargeſtellt, wenn er von ſeiner Mutter her dem
Vater nicht ebenbürtig iſt, um in dieſer ſeiner Eigenſchaft alſo-
gleich erkannt werden zu können. — —

Dem großartigen Umſchwunge gegenüber, der das Leben
und die geſammte Anſchauungsweiſe der abendländiſchen Völker
in dieſer Periode umſchuf, dürfte die Veränderung gering erſchei-
nen, welche das Trachtenweſen, wie es in gleichem Stil und faſt
gleichen Formen die weſtliche Chriſtenwelt beherrſchte, in ebenſo
gleicher Weiſe traf. Denn wohl kein einziges neues Kleidungs-
ſtück wurde erfunden — wie das überhaupt ein ſchweres und
ſeltnes Ding iſt —; jede Umänderung geſchah nur an dem Al-
ten, deſſen Grundform immer erkennbar bleibt. Und dennoch
wandelte ſich der ganze Charakter um. Mit dem Anfang dieſer
Periode beginnt auch das Werden einer ſpezifiſch mittelalterlichen
Tracht, die immer als eine originale zu bezeichnen iſt. Die faſt
barbariſche Rohheit und Formloſigkeit wich in allmähligem Wer-
den der plaſtiſchen Schönheit; an die Stelle der Ueberladung
trat feine Eleganz, an die Stelle gefühlloſen Ungeſchmacks freie
Anmuth und natürlicher Reiz.

Das alles geſchah unter dem ſittigenden und verfeinernden
Einfluß der Frauenherrſchaft. Wo ihre Hände und ihr feinfüh-
lender Sinn regieren, weicht die Rohheit ſcheu zurück. Mit ſich
ſelber fingen ſie die Beſſerung an, um in ihrer Erſcheinung auch
der ſchmachtenden Männerwelt ein der Verehrung würdiges und
die Anſprüche der Schönheit und der Sitte befriedigendes Bild
aufzuſtellen. Im elften Jahrhundert hingen, wie wir geſehen
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Linie herabfallend, in ſackähnlicher Weite platt und flach um den

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[96/0114] II. Das Mittelalter. 13. Jahrhunderts angefertigt worden, hilft ſich der Zeichner der Bilder in dieſer Weiſe, wenn er die Stände charakteriſirend un- terſcheiden will. Der Bauer hat kurzes, ſchlichtes oder wollig krau- ſes Haar und ein häßliches Profil mit einer plumpen, einwärts gebogenen Naſe, deren dicke Spitze weit heraustritt; auch der Mund iſt möglichſt unſchön gezeichnet und meiſtens ſteht die Oberlippe weit vor. Ganz ebenſo wird auch der Sohn eines Ad- ligen bildlich dargeſtellt, wenn er von ſeiner Mutter her dem Vater nicht ebenbürtig iſt, um in dieſer ſeiner Eigenſchaft alſo- gleich erkannt werden zu können. — — Dem großartigen Umſchwunge gegenüber, der das Leben und die geſammte Anſchauungsweiſe der abendländiſchen Völker in dieſer Periode umſchuf, dürfte die Veränderung gering erſchei- nen, welche das Trachtenweſen, wie es in gleichem Stil und faſt gleichen Formen die weſtliche Chriſtenwelt beherrſchte, in ebenſo gleicher Weiſe traf. Denn wohl kein einziges neues Kleidungs- ſtück wurde erfunden — wie das überhaupt ein ſchweres und ſeltnes Ding iſt —; jede Umänderung geſchah nur an dem Al- ten, deſſen Grundform immer erkennbar bleibt. Und dennoch wandelte ſich der ganze Charakter um. Mit dem Anfang dieſer Periode beginnt auch das Werden einer ſpezifiſch mittelalterlichen Tracht, die immer als eine originale zu bezeichnen iſt. Die faſt barbariſche Rohheit und Formloſigkeit wich in allmähligem Wer- den der plaſtiſchen Schönheit; an die Stelle der Ueberladung trat feine Eleganz, an die Stelle gefühlloſen Ungeſchmacks freie Anmuth und natürlicher Reiz. Das alles geſchah unter dem ſittigenden und verfeinernden Einfluß der Frauenherrſchaft. Wo ihre Hände und ihr feinfüh- lender Sinn regieren, weicht die Rohheit ſcheu zurück. Mit ſich ſelber fingen ſie die Beſſerung an, um in ihrer Erſcheinung auch der ſchmachtenden Männerwelt ein der Verehrung würdiges und die Anſprüche der Schönheit und der Sitte befriedigendes Bild aufzuſtellen. Im elften Jahrhundert hingen, wie wir geſehen haben, die untere und obere Tunica, ſenkrecht in ungebrochener Linie herabfallend, in ſackähnlicher Weite platt und flach um den

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/114>, abgerufen am 24.04.2024.