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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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seltsam scheinen mußte, so lag dies in der Seltenheit einer solch unbefangenen, geraden und jeder unnöthigen Ziererei fremden Handlungsweise.

Wir trennten uns und sahen uns von nun an selten Abends, denn diese Zeit widmete er ganz Eugenien, mit welcher er sehr zufrieden war, obgleich sie auch ihn, wie ich späterhin erfuhr, auf alle Weise hinterging; er wußte es aber immer sogleich und sah seiner Meinung nach bloß einem Lustspiele zu, das man zu seinem Vergnügen aufführte. Er versöhnte mich noch zuletzt mit dem Uhlanenoffizier, indem er uns Beiden vorstellte, daß ein Wahn, nachdem er eingesehen worden und in aller Beziehung aufhöre, nicht in der einen Beziehung noch abgesondert wirksam bleiben dürfe, und wie schön auch ein Kampf über die Tugend einer Frau sein möge, so werde er doch höchst lächerlich, sobald beide Kämpfer von ihrer Untugend überzeugt wären.

Die Zeit des Faschings war ziemlich verstrichen; für mich hatten alle Lustbarkeiten desselben ohnehin wenig Reiz, und jetzt, da ich ihrer um einer unseligen Täuschung willen vergessen hatte, blieb für meinen Aufenthalt in Wien nichts übrig, was mich nur hätte anziehen, geschweige denn für die erlittene Trennung von einer Geliebten und zum Theil auch von einem Freunde hätte entschädigen können. Meine Gedanken richteten sich jetzt einzig auf die großen Weltbegebenheiten, deren Vorbereitung immer ernsthafter wurde und den letzten Tagen der Freude einen schauerlichen Reiz dadurch

seltsam scheinen mußte, so lag dies in der Seltenheit einer solch unbefangenen, geraden und jeder unnöthigen Ziererei fremden Handlungsweise.

Wir trennten uns und sahen uns von nun an selten Abends, denn diese Zeit widmete er ganz Eugenien, mit welcher er sehr zufrieden war, obgleich sie auch ihn, wie ich späterhin erfuhr, auf alle Weise hinterging; er wußte es aber immer sogleich und sah seiner Meinung nach bloß einem Lustspiele zu, das man zu seinem Vergnügen aufführte. Er versöhnte mich noch zuletzt mit dem Uhlanenoffizier, indem er uns Beiden vorstellte, daß ein Wahn, nachdem er eingesehen worden und in aller Beziehung aufhöre, nicht in der einen Beziehung noch abgesondert wirksam bleiben dürfe, und wie schön auch ein Kampf über die Tugend einer Frau sein möge, so werde er doch höchst lächerlich, sobald beide Kämpfer von ihrer Untugend überzeugt wären.

Die Zeit des Faschings war ziemlich verstrichen; für mich hatten alle Lustbarkeiten desselben ohnehin wenig Reiz, und jetzt, da ich ihrer um einer unseligen Täuschung willen vergessen hatte, blieb für meinen Aufenthalt in Wien nichts übrig, was mich nur hätte anziehen, geschweige denn für die erlittene Trennung von einer Geliebten und zum Theil auch von einem Freunde hätte entschädigen können. Meine Gedanken richteten sich jetzt einzig auf die großen Weltbegebenheiten, deren Vorbereitung immer ernsthafter wurde und den letzten Tagen der Freude einen schauerlichen Reiz dadurch

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[0076] seltsam scheinen mußte, so lag dies in der Seltenheit einer solch unbefangenen, geraden und jeder unnöthigen Ziererei fremden Handlungsweise. Wir trennten uns und sahen uns von nun an selten Abends, denn diese Zeit widmete er ganz Eugenien, mit welcher er sehr zufrieden war, obgleich sie auch ihn, wie ich späterhin erfuhr, auf alle Weise hinterging; er wußte es aber immer sogleich und sah seiner Meinung nach bloß einem Lustspiele zu, das man zu seinem Vergnügen aufführte. Er versöhnte mich noch zuletzt mit dem Uhlanenoffizier, indem er uns Beiden vorstellte, daß ein Wahn, nachdem er eingesehen worden und in aller Beziehung aufhöre, nicht in der einen Beziehung noch abgesondert wirksam bleiben dürfe, und wie schön auch ein Kampf über die Tugend einer Frau sein möge, so werde er doch höchst lächerlich, sobald beide Kämpfer von ihrer Untugend überzeugt wären. Die Zeit des Faschings war ziemlich verstrichen; für mich hatten alle Lustbarkeiten desselben ohnehin wenig Reiz, und jetzt, da ich ihrer um einer unseligen Täuschung willen vergessen hatte, blieb für meinen Aufenthalt in Wien nichts übrig, was mich nur hätte anziehen, geschweige denn für die erlittene Trennung von einer Geliebten und zum Theil auch von einem Freunde hätte entschädigen können. Meine Gedanken richteten sich jetzt einzig auf die großen Weltbegebenheiten, deren Vorbereitung immer ernsthafter wurde und den letzten Tagen der Freude einen schauerlichen Reiz dadurch

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/76>, abgerufen am 30.04.2024.