Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bestimmt, zum Himmel glorreich aufzusteigen, Unwiderstehlich kämpft der Liebe Gunst Das stolze Herz darnieder? Gewaltig mußt du selber zeigen, Wie Menschliches das Göttliche bezwingt, Dein Arm wirft Lionel zum Tode nieder, Doch seines Blickes Pfeil dein Herz durchdringt. Und Aller Augen sind in Thränen, Und jede Brust von Wehmuth sanft erklingt! Die Rückkehr nicht zu deinem hohen Sehnen Ergreifet wie dies Eine! Weißt du dem Bilde menschlichholder Schwächen, Die knospend aus dem schönsten Innern brechen, Solch übergroßen Reiz zu leihen, Und wolltest, ungerührt nur du alleine, Solch liebliches Vergessen nicht verzeihen? Die Art der Frage gefiel, ich erhielt durch ein artiges Zettelchen Verzeihung und wurde eingeladen, sie bald selber abholen zu kommen. Mir schmeichelte der gute Erfolg meiner Reimkünste, und ich unterdrückte ein mißbehagliches Gefühl, welches doch mit dem Leichtsinn oder der Eitelkeit, die Eugenien von ihrer gestrigen, wie mir selbst schien, so gerechten Strenge zurückkommen ließ, nicht ganz zufrieden war. Ich ergab mich darum nicht minder lebhaft den Freuden, mit welchen ihre günstige Mähe mein Wesen erfüllte. Einige Zurückhaltung, die sie in den ersten Tagen zeigte, war nur Bestimmt, zum Himmel glorreich aufzusteigen, Unwiderstehlich kämpft der Liebe Gunst Das stolze Herz darnieder? Gewaltig mußt du selber zeigen, Wie Menschliches das Göttliche bezwingt, Dein Arm wirft Lionel zum Tode nieder, Doch seines Blickes Pfeil dein Herz durchdringt. Und Aller Augen sind in Thränen, Und jede Brust von Wehmuth sanft erklingt! Die Rückkehr nicht zu deinem hohen Sehnen Ergreifet wie dies Eine! Weißt du dem Bilde menschlichholder Schwächen, Die knospend aus dem schönsten Innern brechen, Solch übergroßen Reiz zu leihen, Und wolltest, ungerührt nur du alleine, Solch liebliches Vergessen nicht verzeihen? Die Art der Frage gefiel, ich erhielt durch ein artiges Zettelchen Verzeihung und wurde eingeladen, sie bald selber abholen zu kommen. Mir schmeichelte der gute Erfolg meiner Reimkünste, und ich unterdrückte ein mißbehagliches Gefühl, welches doch mit dem Leichtsinn oder der Eitelkeit, die Eugenien von ihrer gestrigen, wie mir selbst schien, so gerechten Strenge zurückkommen ließ, nicht ganz zufrieden war. Ich ergab mich darum nicht minder lebhaft den Freuden, mit welchen ihre günstige Mähe mein Wesen erfüllte. Einige Zurückhaltung, die sie in den ersten Tagen zeigte, war nur <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0055"/> <l>Bestimmt, zum Himmel glorreich aufzusteigen,</l> <l>Unwiderstehlich kämpft der Liebe Gunst</l> <l>Das stolze Herz darnieder?</l> <l>Gewaltig mußt du selber zeigen,</l> <l>Wie Menschliches das Göttliche bezwingt,</l> <l>Dein Arm wirft Lionel zum Tode nieder,</l> <l>Doch seines Blickes Pfeil dein Herz durchdringt.</l> <l>Und Aller Augen sind in Thränen,</l> <l>Und jede Brust von Wehmuth sanft erklingt!</l> <l>Die Rückkehr nicht zu deinem hohen Sehnen</l> <l>Ergreifet wie dies Eine!</l> <l>Weißt du dem Bilde menschlichholder Schwächen,</l> <l>Die knospend aus dem schönsten Innern brechen,</l> <l>Solch übergroßen Reiz zu leihen,</l> <l>Und wolltest, ungerührt nur du alleine,</l> <l>Solch liebliches Vergessen nicht verzeihen?</l> </lg> <p>Die Art der Frage gefiel, ich erhielt durch ein artiges Zettelchen Verzeihung und wurde eingeladen, sie bald selber abholen zu kommen. Mir schmeichelte der gute Erfolg meiner Reimkünste, und ich unterdrückte ein mißbehagliches Gefühl, welches doch mit dem Leichtsinn oder der Eitelkeit, die Eugenien von ihrer gestrigen, wie mir selbst schien, so gerechten Strenge zurückkommen ließ, nicht ganz zufrieden war. Ich ergab mich darum nicht minder lebhaft den Freuden, mit welchen ihre günstige Mähe mein Wesen erfüllte. Einige Zurückhaltung, die sie in den ersten Tagen zeigte, war nur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
Bestimmt, zum Himmel glorreich aufzusteigen, Unwiderstehlich kämpft der Liebe Gunst Das stolze Herz darnieder? Gewaltig mußt du selber zeigen, Wie Menschliches das Göttliche bezwingt, Dein Arm wirft Lionel zum Tode nieder, Doch seines Blickes Pfeil dein Herz durchdringt. Und Aller Augen sind in Thränen, Und jede Brust von Wehmuth sanft erklingt! Die Rückkehr nicht zu deinem hohen Sehnen Ergreifet wie dies Eine! Weißt du dem Bilde menschlichholder Schwächen, Die knospend aus dem schönsten Innern brechen, Solch übergroßen Reiz zu leihen, Und wolltest, ungerührt nur du alleine, Solch liebliches Vergessen nicht verzeihen?
Die Art der Frage gefiel, ich erhielt durch ein artiges Zettelchen Verzeihung und wurde eingeladen, sie bald selber abholen zu kommen. Mir schmeichelte der gute Erfolg meiner Reimkünste, und ich unterdrückte ein mißbehagliches Gefühl, welches doch mit dem Leichtsinn oder der Eitelkeit, die Eugenien von ihrer gestrigen, wie mir selbst schien, so gerechten Strenge zurückkommen ließ, nicht ganz zufrieden war. Ich ergab mich darum nicht minder lebhaft den Freuden, mit welchen ihre günstige Mähe mein Wesen erfüllte. Einige Zurückhaltung, die sie in den ersten Tagen zeigte, war nur
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