Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

genießen, wie denn auch ihr Verdruß die ganze Umgebung zum Verdrusse zwang. Ich sollte fröhlich sein, es sollte mir außerordentlich gut gehen, das beabsichtigte und erreichte sie mit tausend Liebenswürdigkeiten, mit vertraulichen Scherzen, mit Schmeichelreden und Liebkosungen. Mir fielen wohl bisweilen Theresens nur allzu deutliche Winke ein, und alle meine Regungen starrten in plötzlicher Kälte; aber das anhaltende Feuer der freundlichen Augen thaute sie jedesmal bald wieder aus und erhitzte nur mehr und mehr durch den erneuerten Sieg die überwiegende Neigung, die mich unbedingt Eugeniens Macht überlieferte.

Wir hatten ein kleines Nachtessen verzehrt, der Tisch war hinausgetragen worden, und ich verließ meinen Platz, um mich neben Eugenien zu setzen, die sich bequemer und lässiger hingelegt hatte; die eine Hand stützte ihren Kopf, um welchen die schönen, langen Haare, aus ihren Schlingen gelös't, anmuthig umherflossen, die andere Hand lag ausgestreckt zu mir hin, ich durfte liebkosend damit spielen. Je weniger wir sprachen, desto bewegter wurden die innern Bilder, die das wallende Blut auf seinen beschleunigten Wogen trug, und wir sahen uns lange mit Ernst und Freundlichkeit an. Ein solcher Zustand nimmt unmerklich zu, wie Tropfen in einem Gefäß anschwellen, bis sie den Rand desselben überströmen. Durch welche Mittelstufen die Empfindung geht, welche Aeußerungen ihrem vollen Ausbruch vorangehen, bedarf keiner ausführlichen Schilderung.

genießen, wie denn auch ihr Verdruß die ganze Umgebung zum Verdrusse zwang. Ich sollte fröhlich sein, es sollte mir außerordentlich gut gehen, das beabsichtigte und erreichte sie mit tausend Liebenswürdigkeiten, mit vertraulichen Scherzen, mit Schmeichelreden und Liebkosungen. Mir fielen wohl bisweilen Theresens nur allzu deutliche Winke ein, und alle meine Regungen starrten in plötzlicher Kälte; aber das anhaltende Feuer der freundlichen Augen thaute sie jedesmal bald wieder aus und erhitzte nur mehr und mehr durch den erneuerten Sieg die überwiegende Neigung, die mich unbedingt Eugeniens Macht überlieferte.

Wir hatten ein kleines Nachtessen verzehrt, der Tisch war hinausgetragen worden, und ich verließ meinen Platz, um mich neben Eugenien zu setzen, die sich bequemer und lässiger hingelegt hatte; die eine Hand stützte ihren Kopf, um welchen die schönen, langen Haare, aus ihren Schlingen gelös't, anmuthig umherflossen, die andere Hand lag ausgestreckt zu mir hin, ich durfte liebkosend damit spielen. Je weniger wir sprachen, desto bewegter wurden die innern Bilder, die das wallende Blut auf seinen beschleunigten Wogen trug, und wir sahen uns lange mit Ernst und Freundlichkeit an. Ein solcher Zustand nimmt unmerklich zu, wie Tropfen in einem Gefäß anschwellen, bis sie den Rand desselben überströmen. Durch welche Mittelstufen die Empfindung geht, welche Aeußerungen ihrem vollen Ausbruch vorangehen, bedarf keiner ausführlichen Schilderung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0052"/>
genießen, wie denn                auch ihr Verdruß die ganze Umgebung zum Verdrusse zwang. Ich sollte fröhlich sein, es                sollte mir außerordentlich gut gehen, das beabsichtigte und erreichte sie mit tausend                Liebenswürdigkeiten, mit vertraulichen Scherzen, mit Schmeichelreden und                Liebkosungen. Mir fielen wohl bisweilen Theresens nur allzu deutliche Winke ein, und                alle meine Regungen starrten in plötzlicher Kälte; aber das anhaltende Feuer der                freundlichen Augen thaute sie jedesmal bald wieder aus und erhitzte nur mehr und mehr                durch den erneuerten Sieg die überwiegende Neigung, die mich unbedingt Eugeniens                Macht überlieferte.</p><lb/>
        <p>Wir hatten ein kleines Nachtessen verzehrt, der Tisch war hinausgetragen worden, und                ich verließ meinen Platz, um mich neben Eugenien zu setzen, die sich bequemer und                lässiger hingelegt hatte; die eine Hand stützte ihren Kopf, um welchen die schönen,                langen Haare, aus ihren Schlingen gelös't, anmuthig umherflossen, die andere Hand lag                ausgestreckt zu mir hin, ich durfte liebkosend damit spielen. Je weniger wir                sprachen, desto bewegter wurden die innern Bilder, die das wallende Blut auf seinen                beschleunigten Wogen trug, und wir sahen uns lange mit Ernst und Freundlichkeit an.                Ein solcher Zustand nimmt unmerklich zu, wie Tropfen in einem Gefäß anschwellen, bis                sie den Rand desselben überströmen. Durch welche Mittelstufen die Empfindung geht,                welche Aeußerungen ihrem vollen Ausbruch vorangehen, bedarf keiner ausführlichen                Schilderung.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] genießen, wie denn auch ihr Verdruß die ganze Umgebung zum Verdrusse zwang. Ich sollte fröhlich sein, es sollte mir außerordentlich gut gehen, das beabsichtigte und erreichte sie mit tausend Liebenswürdigkeiten, mit vertraulichen Scherzen, mit Schmeichelreden und Liebkosungen. Mir fielen wohl bisweilen Theresens nur allzu deutliche Winke ein, und alle meine Regungen starrten in plötzlicher Kälte; aber das anhaltende Feuer der freundlichen Augen thaute sie jedesmal bald wieder aus und erhitzte nur mehr und mehr durch den erneuerten Sieg die überwiegende Neigung, die mich unbedingt Eugeniens Macht überlieferte. Wir hatten ein kleines Nachtessen verzehrt, der Tisch war hinausgetragen worden, und ich verließ meinen Platz, um mich neben Eugenien zu setzen, die sich bequemer und lässiger hingelegt hatte; die eine Hand stützte ihren Kopf, um welchen die schönen, langen Haare, aus ihren Schlingen gelös't, anmuthig umherflossen, die andere Hand lag ausgestreckt zu mir hin, ich durfte liebkosend damit spielen. Je weniger wir sprachen, desto bewegter wurden die innern Bilder, die das wallende Blut auf seinen beschleunigten Wogen trug, und wir sahen uns lange mit Ernst und Freundlichkeit an. Ein solcher Zustand nimmt unmerklich zu, wie Tropfen in einem Gefäß anschwellen, bis sie den Rand desselben überströmen. Durch welche Mittelstufen die Empfindung geht, welche Aeußerungen ihrem vollen Ausbruch vorangehen, bedarf keiner ausführlichen Schilderung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:43:47Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/52
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/52>, abgerufen am 30.04.2024.