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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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so unabsichtlich vor, daß es mein Gefühl weniger verletzte, als meinen Verstand zur Untersuchung zwang. Ich lächelte über eine Beschuldigung, die mir nur allzusehr zeigte, daß Therese meine anmuthige Freundin wohl niemals in solch glücklichen Augenblicken gesehn habe, als mir zu Theil geworden waren und für die tiefe Wahrhaftigkeit, das reine Erglühn und die stille Frömmigkeit ihrer Seele Bürgschaft leisteten, der bisher durch ihr unbegreifliches Betragen wohl widersprochen worden war, die aber doch nicht aufgehoben werden konnte. Dagegen schien Therese wieder über die Einfalt meines frommen Glaubens zu lächeln und sich über die Verblendung zu verwundern, in welcher mir Dinge als herrlich vorkommen konnten, die sie mit gesunden Augen anders ansah. Sie lachte, als ich ihr versicherte, man müsse Eugenien ganz kennen und Alles von ihr, wie ich, aus ihrem Munde wissen, um ihren Werth zu erkennen. Und was wissen Sie denn? fragte sie lebhaft; doch wohl nur, was Sie wissen sollen? Was gilt die Wette, ich erzähle Ihnen hundert Geschichten, von denen Ihnen neun und neunzig neu sind! Und nun fing sie an, mir Begebenheiten und Personen flüchtig zu bezeichnen, von denen ich eine nach der andern als mir unbekannt eingestehen mußte. Betreten stand ich vor ihr, wünschte aber nur um so eifriger etwas Näheres zu erfahren, allein Therese war meinen inständigen Bemühungen unerbittlich und versicherte, zum Versuche, meine Augen sehen zu lehren, sei es genug, sie wolle

so unabsichtlich vor, daß es mein Gefühl weniger verletzte, als meinen Verstand zur Untersuchung zwang. Ich lächelte über eine Beschuldigung, die mir nur allzusehr zeigte, daß Therese meine anmuthige Freundin wohl niemals in solch glücklichen Augenblicken gesehn habe, als mir zu Theil geworden waren und für die tiefe Wahrhaftigkeit, das reine Erglühn und die stille Frömmigkeit ihrer Seele Bürgschaft leisteten, der bisher durch ihr unbegreifliches Betragen wohl widersprochen worden war, die aber doch nicht aufgehoben werden konnte. Dagegen schien Therese wieder über die Einfalt meines frommen Glaubens zu lächeln und sich über die Verblendung zu verwundern, in welcher mir Dinge als herrlich vorkommen konnten, die sie mit gesunden Augen anders ansah. Sie lachte, als ich ihr versicherte, man müsse Eugenien ganz kennen und Alles von ihr, wie ich, aus ihrem Munde wissen, um ihren Werth zu erkennen. Und was wissen Sie denn? fragte sie lebhaft; doch wohl nur, was Sie wissen sollen? Was gilt die Wette, ich erzähle Ihnen hundert Geschichten, von denen Ihnen neun und neunzig neu sind! Und nun fing sie an, mir Begebenheiten und Personen flüchtig zu bezeichnen, von denen ich eine nach der andern als mir unbekannt eingestehen mußte. Betreten stand ich vor ihr, wünschte aber nur um so eifriger etwas Näheres zu erfahren, allein Therese war meinen inständigen Bemühungen unerbittlich und versicherte, zum Versuche, meine Augen sehen zu lehren, sei es genug, sie wolle

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[0048] so unabsichtlich vor, daß es mein Gefühl weniger verletzte, als meinen Verstand zur Untersuchung zwang. Ich lächelte über eine Beschuldigung, die mir nur allzusehr zeigte, daß Therese meine anmuthige Freundin wohl niemals in solch glücklichen Augenblicken gesehn habe, als mir zu Theil geworden waren und für die tiefe Wahrhaftigkeit, das reine Erglühn und die stille Frömmigkeit ihrer Seele Bürgschaft leisteten, der bisher durch ihr unbegreifliches Betragen wohl widersprochen worden war, die aber doch nicht aufgehoben werden konnte. Dagegen schien Therese wieder über die Einfalt meines frommen Glaubens zu lächeln und sich über die Verblendung zu verwundern, in welcher mir Dinge als herrlich vorkommen konnten, die sie mit gesunden Augen anders ansah. Sie lachte, als ich ihr versicherte, man müsse Eugenien ganz kennen und Alles von ihr, wie ich, aus ihrem Munde wissen, um ihren Werth zu erkennen. Und was wissen Sie denn? fragte sie lebhaft; doch wohl nur, was Sie wissen sollen? Was gilt die Wette, ich erzähle Ihnen hundert Geschichten, von denen Ihnen neun und neunzig neu sind! Und nun fing sie an, mir Begebenheiten und Personen flüchtig zu bezeichnen, von denen ich eine nach der andern als mir unbekannt eingestehen mußte. Betreten stand ich vor ihr, wünschte aber nur um so eifriger etwas Näheres zu erfahren, allein Therese war meinen inständigen Bemühungen unerbittlich und versicherte, zum Versuche, meine Augen sehen zu lehren, sei es genug, sie wolle

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/48>, abgerufen am 22.11.2024.