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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Natur so reichlich schmückte, nicht mehr in den Weg träten, sondern sie vielmehr erhöhten!

Ich wagte es, mit ihr darüber zu sprechen, und war eben so verwundert als gerührt, sie von dem Erfolg ihrer Vorstellungen als von etwas reden zu hören, das sie verlegen mache und beschäme; ihre Bescheidenheit stand bereitwillig von dem Anspruch ab, zu welchem die Stimme des Publikums sie berechtigen konnte, und sie kam mit Aufzählung dessen, was ihr zur guten Schauspielerin fehle, so unumwunden meinen leisen Bemerkungen entgegen, daß ich ihr nicht anders als mit wahrer Verehrung zuhören konnte und die Freiheit bewunderte, die ihr sonst so befangenes Urtheil in einem Gegenstände behauptete, der gewöhnlich die meiste Befangenheit erzeugt. Dieses Benehmen war einzig sanft und liebenswürdig, ja in Rücksicht der Seltenheit solcher freien Geständnisse im Allgemeinen und in Betracht der besonderen Umstände, die diesen Fall noch mehr auszeichneten, wohl groß zu nennen; denn welche Kraft gehört nicht dazu, dasjenige, was man als ein Erstrebtes besitzt und strebend zu erhalten wünscht, was niemand anzutasten wagt, sich selber abzusprechen? Gleich mußt' ich mir meine schwankende Meinung von ihr aufs Härteste verweisen, indem ich ihr in Gedanken Abbitte that für jedes allzu schnelle Urtheil, das ich über ihre Seeleneigenschaften früher gefällt; ich begriff nicht, wo meine Sinne gewesen sein mochten, als sie einen ungünstigen Eindruck von ihr in meine Seele gebracht,

Natur so reichlich schmückte, nicht mehr in den Weg träten, sondern sie vielmehr erhöhten!

Ich wagte es, mit ihr darüber zu sprechen, und war eben so verwundert als gerührt, sie von dem Erfolg ihrer Vorstellungen als von etwas reden zu hören, das sie verlegen mache und beschäme; ihre Bescheidenheit stand bereitwillig von dem Anspruch ab, zu welchem die Stimme des Publikums sie berechtigen konnte, und sie kam mit Aufzählung dessen, was ihr zur guten Schauspielerin fehle, so unumwunden meinen leisen Bemerkungen entgegen, daß ich ihr nicht anders als mit wahrer Verehrung zuhören konnte und die Freiheit bewunderte, die ihr sonst so befangenes Urtheil in einem Gegenstände behauptete, der gewöhnlich die meiste Befangenheit erzeugt. Dieses Benehmen war einzig sanft und liebenswürdig, ja in Rücksicht der Seltenheit solcher freien Geständnisse im Allgemeinen und in Betracht der besonderen Umstände, die diesen Fall noch mehr auszeichneten, wohl groß zu nennen; denn welche Kraft gehört nicht dazu, dasjenige, was man als ein Erstrebtes besitzt und strebend zu erhalten wünscht, was niemand anzutasten wagt, sich selber abzusprechen? Gleich mußt' ich mir meine schwankende Meinung von ihr aufs Härteste verweisen, indem ich ihr in Gedanken Abbitte that für jedes allzu schnelle Urtheil, das ich über ihre Seeleneigenschaften früher gefällt; ich begriff nicht, wo meine Sinne gewesen sein mochten, als sie einen ungünstigen Eindruck von ihr in meine Seele gebracht,

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[0038] Natur so reichlich schmückte, nicht mehr in den Weg träten, sondern sie vielmehr erhöhten! Ich wagte es, mit ihr darüber zu sprechen, und war eben so verwundert als gerührt, sie von dem Erfolg ihrer Vorstellungen als von etwas reden zu hören, das sie verlegen mache und beschäme; ihre Bescheidenheit stand bereitwillig von dem Anspruch ab, zu welchem die Stimme des Publikums sie berechtigen konnte, und sie kam mit Aufzählung dessen, was ihr zur guten Schauspielerin fehle, so unumwunden meinen leisen Bemerkungen entgegen, daß ich ihr nicht anders als mit wahrer Verehrung zuhören konnte und die Freiheit bewunderte, die ihr sonst so befangenes Urtheil in einem Gegenstände behauptete, der gewöhnlich die meiste Befangenheit erzeugt. Dieses Benehmen war einzig sanft und liebenswürdig, ja in Rücksicht der Seltenheit solcher freien Geständnisse im Allgemeinen und in Betracht der besonderen Umstände, die diesen Fall noch mehr auszeichneten, wohl groß zu nennen; denn welche Kraft gehört nicht dazu, dasjenige, was man als ein Erstrebtes besitzt und strebend zu erhalten wünscht, was niemand anzutasten wagt, sich selber abzusprechen? Gleich mußt' ich mir meine schwankende Meinung von ihr aufs Härteste verweisen, indem ich ihr in Gedanken Abbitte that für jedes allzu schnelle Urtheil, das ich über ihre Seeleneigenschaften früher gefällt; ich begriff nicht, wo meine Sinne gewesen sein mochten, als sie einen ungünstigen Eindruck von ihr in meine Seele gebracht,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/38>, abgerufen am 26.04.2024.