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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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fiele ihr nicht. -- Nach einigem Weitersprechen von beiden Seiten fragte ich sie ferner, ob ich nicht auch ihre Achtung besäße? Sie erwiderte, aber diesmal ohne aufzublicken, sie glaube, ich sei derselben werth. -- Und so geht mir denn, fuhr ich begeistert fort, keine Eigenschaft ab, Ihr Freund zu sein? -- Vielleicht nicht, erwiderte sie; ich fragte rascher: warum nur vielleicht? warum nicht gewiß? -- Nun denn, also auch gewiß! gab sie mir zur Antwort und sah mich dabei so seltsam vergnügt und freundlich an, daß ich beinahe in Verwirrung gerieth. Ich bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen und sagte mit inniger Bewegung: Ich bin Ihr Freund, ich bin es auch ohne Ihr theilnehmendes Wollen, doch, wenn mich nicht Alles täuscht, auch bald mit diesem! Ich weiß es, welch ein Werth der Zeit gebührt, ich verkenne nicht, wie gefährlich es bleibt, sie zu übereilen: aber soll ich denn thun, als ob die Gewißheit, die ich habe, daß Sie jetzt mich anerkennen würden als Freund, wenn ich Sie schon vor einem Jahre kennen gelernt hätte, als ob das Bewußtsein, daß es so sein wird nach einem Jahre, nicht vorhanden wäre in mir? darf nicht durch diese Einsicht, die mir die schönste Entwickelung unserer schönen Bekanntschaft verspricht, die Gegenwart mit Recht der Zukunft vorgreifen? -- Während meiner Rede war Eugenie aufgestanden, und nachdem sie aufmerksam zugehört und in einem nachdenklichen Schweigen eine kleine Stille abgewartet hatte, sagte sie mit nachdrücklichem

fiele ihr nicht. — Nach einigem Weitersprechen von beiden Seiten fragte ich sie ferner, ob ich nicht auch ihre Achtung besäße? Sie erwiderte, aber diesmal ohne aufzublicken, sie glaube, ich sei derselben werth. — Und so geht mir denn, fuhr ich begeistert fort, keine Eigenschaft ab, Ihr Freund zu sein? — Vielleicht nicht, erwiderte sie; ich fragte rascher: warum nur vielleicht? warum nicht gewiß? — Nun denn, also auch gewiß! gab sie mir zur Antwort und sah mich dabei so seltsam vergnügt und freundlich an, daß ich beinahe in Verwirrung gerieth. Ich bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen und sagte mit inniger Bewegung: Ich bin Ihr Freund, ich bin es auch ohne Ihr theilnehmendes Wollen, doch, wenn mich nicht Alles täuscht, auch bald mit diesem! Ich weiß es, welch ein Werth der Zeit gebührt, ich verkenne nicht, wie gefährlich es bleibt, sie zu übereilen: aber soll ich denn thun, als ob die Gewißheit, die ich habe, daß Sie jetzt mich anerkennen würden als Freund, wenn ich Sie schon vor einem Jahre kennen gelernt hätte, als ob das Bewußtsein, daß es so sein wird nach einem Jahre, nicht vorhanden wäre in mir? darf nicht durch diese Einsicht, die mir die schönste Entwickelung unserer schönen Bekanntschaft verspricht, die Gegenwart mit Recht der Zukunft vorgreifen? — Während meiner Rede war Eugenie aufgestanden, und nachdem sie aufmerksam zugehört und in einem nachdenklichen Schweigen eine kleine Stille abgewartet hatte, sagte sie mit nachdrücklichem

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[0031] fiele ihr nicht. — Nach einigem Weitersprechen von beiden Seiten fragte ich sie ferner, ob ich nicht auch ihre Achtung besäße? Sie erwiderte, aber diesmal ohne aufzublicken, sie glaube, ich sei derselben werth. — Und so geht mir denn, fuhr ich begeistert fort, keine Eigenschaft ab, Ihr Freund zu sein? — Vielleicht nicht, erwiderte sie; ich fragte rascher: warum nur vielleicht? warum nicht gewiß? — Nun denn, also auch gewiß! gab sie mir zur Antwort und sah mich dabei so seltsam vergnügt und freundlich an, daß ich beinahe in Verwirrung gerieth. Ich bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen und sagte mit inniger Bewegung: Ich bin Ihr Freund, ich bin es auch ohne Ihr theilnehmendes Wollen, doch, wenn mich nicht Alles täuscht, auch bald mit diesem! Ich weiß es, welch ein Werth der Zeit gebührt, ich verkenne nicht, wie gefährlich es bleibt, sie zu übereilen: aber soll ich denn thun, als ob die Gewißheit, die ich habe, daß Sie jetzt mich anerkennen würden als Freund, wenn ich Sie schon vor einem Jahre kennen gelernt hätte, als ob das Bewußtsein, daß es so sein wird nach einem Jahre, nicht vorhanden wäre in mir? darf nicht durch diese Einsicht, die mir die schönste Entwickelung unserer schönen Bekanntschaft verspricht, die Gegenwart mit Recht der Zukunft vorgreifen? — Während meiner Rede war Eugenie aufgestanden, und nachdem sie aufmerksam zugehört und in einem nachdenklichen Schweigen eine kleine Stille abgewartet hatte, sagte sie mit nachdrücklichem

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/31>, abgerufen am 27.11.2024.