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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die den Vater der schönen Kinder in Anregung brachte, mit der größten Gutmüthigkeit beantwortete und durch die natürlichste Offenherzigkeit in fernere Fragen erweiterte. Sie schien vor mir kein Geheimniß haben zu wollen, und ich erfuhr an diesem Abend einen großen Theil ihrer Lebensgeschichte, deren Mittheilung in ihrem Munde einen zauberischen Reiz hatte und eine Gewalt der Wahrheit offenbarte, die nur Natur sein kann, oder, wenn Kunst, die höchste und seltenste.

Ich erfuhr, daß sie von zarter Jugend an für die Bühne und auf derselben erzogen, und lange von den Launen des Zufalls herumgeworfen worden, schon ehe sich ihr Blütenalter entwickelt habe. Dann sei aber mit sichtlichem Zunehmen ihre Schönheit aufgeblüht und zu ihrem eignen Erstaunen ihre körperliche Erscheinung mit Glanz und Reiz je mehr und mehr überschüttet worden, so daß sie sich in die überraschende Anbetung und Bewerbung kaum habe finden können, wie denn auch der kümmerliche Zustand ihrer Eltern von dieser Zeit gänzlich aufgehört und sie plötzlich in ungewohnter Sorglosigkeit und Fülle sich nicht zu lassen gewußt. Ein Jahr sei ihr auf diese Weise als die glücklichste Lebenszeit vergangen, wo ihr jeder Wunsch erfüllt gewesen, wo alle Schmeichelei und aller Beifall sie nur innerlich zufrieden und nicht eitel gemacht, sondern die Erhaltung ihres Wesens liebreich befördert habe. Mit den unschuldigsten, hinreißendsten Worten schilderte sie die frohe Jugend, sie schien sie noch nicht verloren zu

die den Vater der schönen Kinder in Anregung brachte, mit der größten Gutmüthigkeit beantwortete und durch die natürlichste Offenherzigkeit in fernere Fragen erweiterte. Sie schien vor mir kein Geheimniß haben zu wollen, und ich erfuhr an diesem Abend einen großen Theil ihrer Lebensgeschichte, deren Mittheilung in ihrem Munde einen zauberischen Reiz hatte und eine Gewalt der Wahrheit offenbarte, die nur Natur sein kann, oder, wenn Kunst, die höchste und seltenste.

Ich erfuhr, daß sie von zarter Jugend an für die Bühne und auf derselben erzogen, und lange von den Launen des Zufalls herumgeworfen worden, schon ehe sich ihr Blütenalter entwickelt habe. Dann sei aber mit sichtlichem Zunehmen ihre Schönheit aufgeblüht und zu ihrem eignen Erstaunen ihre körperliche Erscheinung mit Glanz und Reiz je mehr und mehr überschüttet worden, so daß sie sich in die überraschende Anbetung und Bewerbung kaum habe finden können, wie denn auch der kümmerliche Zustand ihrer Eltern von dieser Zeit gänzlich aufgehört und sie plötzlich in ungewohnter Sorglosigkeit und Fülle sich nicht zu lassen gewußt. Ein Jahr sei ihr auf diese Weise als die glücklichste Lebenszeit vergangen, wo ihr jeder Wunsch erfüllt gewesen, wo alle Schmeichelei und aller Beifall sie nur innerlich zufrieden und nicht eitel gemacht, sondern die Erhaltung ihres Wesens liebreich befördert habe. Mit den unschuldigsten, hinreißendsten Worten schilderte sie die frohe Jugend, sie schien sie noch nicht verloren zu

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/24>, abgerufen am 29.03.2024.