Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.folgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf- und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugeniens Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Thür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Oeffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenien ins Zimmer. Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmuthig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles athmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengeräthschaft. Sie besaß was nur immer eine unmuthige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sopha, folgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf- und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugeniens Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Thür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Oeffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenien ins Zimmer. Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmuthig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles athmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengeräthschaft. Sie besaß was nur immer eine unmuthige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sopha, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0022"/> folgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf- und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugeniens Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Thür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Oeffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenien ins Zimmer.</p><lb/> <p>Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmuthig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles athmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengeräthschaft. Sie besaß was nur immer eine unmuthige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sopha,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
folgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf- und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugeniens Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Thür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Oeffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenien ins Zimmer.
Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmuthig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles athmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengeräthschaft. Sie besaß was nur immer eine unmuthige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sopha,
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Zitationshilfe: | Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/22>, abgerufen am 16.02.2025. |