Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Engel, Johann Jakob: Engel's Theorie der Dichtungsarten. In: J. J. Engels Schriften. Elfter Band: Poetik. Berlin, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite
pen_088.001

O nein, sagte das Schaf; ich will nichts pen_088.002
mit den reißenden Thieren gemein haben.

pen_088.003

Oder, fuhr Zevs, fort, soll ich Gift in deinen pen_088.004
Speichel legen?

pen_088.005

Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlangen pen_088.006
werden ja so sehr gehasset.

pen_088.007

Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner pen_088.008
auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem pen_088.009
Nacken geben.

pen_088.010

Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht pen_088.011
so stößig werden, als der Bock.

pen_088.012

Und gleichwohl, sprach Zevs, mußt du selbst pen_088.013
schaden können, wenn sich Andere, dir zu schaden, pen_088.014
fürchten sollen.

pen_088.015

Müßt' ich das? seufzte das Schaf. O so pen_088.016
laß mich, gütiger Vater! wie ich bin. Denn pen_088.017
das Vermögen, schaden zu können, erweckt, pen_088.018
fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; pen_088.019
und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht pen_088.020
thun.

pen_088.021

Zevs segneto das fromme Schaf, und es vergaß pen_088.022
von Stund an, zu klagen.

pen_088.023

Lessing.

pen_088.001

  O nein, sagte das Schaf; ich will nichts pen_088.002
mit den reißenden Thieren gemein haben.

pen_088.003

  Oder, fuhr Zevs, fort, soll ich Gift in deinen pen_088.004
Speichel legen?

pen_088.005

  Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlangen pen_088.006
werden ja so sehr gehasset.

pen_088.007

  Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner pen_088.008
auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem pen_088.009
Nacken geben.

pen_088.010

  Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht pen_088.011
so stößig werden, als der Bock.

pen_088.012

  Und gleichwohl, sprach Zevs, mußt du selbst pen_088.013
schaden können, wenn sich Andere, dir zu schaden, pen_088.014
fürchten sollen.

pen_088.015

  Müßt' ich das? seufzte das Schaf. O so pen_088.016
laß mich, gütiger Vater! wie ich bin. Denn pen_088.017
das Vermögen, schaden zu können, erweckt, pen_088.018
fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; pen_088.019
und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht pen_088.020
thun.

pen_088.021

  Zevs segneto das fromme Schaf, und es vergaß pen_088.022
von Stund an, zu klagen.

pen_088.023

Lessing.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0129" n="88"/>
        <lb n="pen_088.001"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">O nein, sagte das Schaf; ich will nichts <lb n="pen_088.002"/>
mit den reißenden Thieren gemein haben.</hi></p>
        <lb n="pen_088.003"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Oder, fuhr Zevs, fort, soll ich Gift in deinen <lb n="pen_088.004"/>
Speichel legen?</hi></p>
        <lb n="pen_088.005"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlangen <lb n="pen_088.006"/>
werden ja so sehr gehasset.</hi></p>
        <lb n="pen_088.007"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner <lb n="pen_088.008"/>
auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem <lb n="pen_088.009"/>
Nacken geben.</hi></p>
        <lb n="pen_088.010"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht <lb n="pen_088.011"/>
so stößig werden, als der Bock.</hi></p>
        <lb n="pen_088.012"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Und gleichwohl, sprach Zevs, mußt du selbst <lb n="pen_088.013"/>
schaden können, wenn sich Andere, dir zu schaden, <lb n="pen_088.014"/>
fürchten sollen.</hi></p>
        <lb n="pen_088.015"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Müßt' ich das? seufzte das Schaf. O so <lb n="pen_088.016"/>
laß mich, gütiger Vater! wie ich bin. Denn <lb n="pen_088.017"/>
das Vermögen, schaden zu können, erweckt, <lb n="pen_088.018"/>
fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; <lb n="pen_088.019"/>
und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht <lb n="pen_088.020"/>
thun.</hi></p>
        <lb n="pen_088.021"/>
        <p>  <hi rendition="#aq">Zevs segneto das fromme Schaf, und es vergaß <lb n="pen_088.022"/>
von Stund an, zu klagen.</hi></p>
        <lb n="pen_088.023"/>
        <p> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">Lessing.</hi> </hi> </hi> </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0129] pen_088.001   O nein, sagte das Schaf; ich will nichts pen_088.002 mit den reißenden Thieren gemein haben. pen_088.003   Oder, fuhr Zevs, fort, soll ich Gift in deinen pen_088.004 Speichel legen? pen_088.005   Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlangen pen_088.006 werden ja so sehr gehasset. pen_088.007   Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner pen_088.008 auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem pen_088.009 Nacken geben. pen_088.010   Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht pen_088.011 so stößig werden, als der Bock. pen_088.012   Und gleichwohl, sprach Zevs, mußt du selbst pen_088.013 schaden können, wenn sich Andere, dir zu schaden, pen_088.014 fürchten sollen. pen_088.015   Müßt' ich das? seufzte das Schaf. O so pen_088.016 laß mich, gütiger Vater! wie ich bin. Denn pen_088.017 das Vermögen, schaden zu können, erweckt, pen_088.018 fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; pen_088.019 und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht pen_088.020 thun. pen_088.021   Zevs segneto das fromme Schaf, und es vergaß pen_088.022 von Stund an, zu klagen. pen_088.023 Lessing.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/engel_poetik_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/engel_poetik_1806/129
Zitationshilfe: Engel, Johann Jakob: Engel's Theorie der Dichtungsarten. In: J. J. Engels Schriften. Elfter Band: Poetik. Berlin, 1806, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/engel_poetik_1806/129>, abgerufen am 07.05.2024.