da einzelne Wolken langsam durch den Mondschein zo¬ gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬ unterfiel. So, dachte ich, scheint der Mond auch über meines Vaters Mühle und auf das weiße gräfliche Schloß. Dort ist nun auch schon alles lange still, die gnädige Frau schläft, und die Wasserkünste und Bäu¬ me im Garten rauschen noch immer fort wie damals, und allen ist's gleich, ob ich noch da bin, oder in der Fremde, oder gestorben. -- Da kam mir die Welt auf einmal so entsetzlich weit und groß vor, und ich so ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde hätte weinen mögen.
Wie ich noch immer so dasitze, höre ich auf ein¬ mal aus der Ferne Hufschlag im Walde. Ich hielt den Athem an und lauschte, da kam es immer näher und näher, und ich konnte schon die Pferde schnauben hö¬ ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter unter den Bäumen hervor, hielten aber am Saume des Waldes an und sprachen heimlich sehr eifrig miteinan¬ der, wie ich an den Schatten sehen konnte, die plötzlich über den mondbeglänzten Platz vorschossen, und mit langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬ sen. -- Wie oft, wenn mir zu Hause meine verstor¬ bene Mutter von wilden Wäldern und martialischen Räubern erzählte, hatte ich mir sonst immer heimlich gewünscht, eine solche Geschichte selbst zu erleben. Da hatt' ich's nun auf einmal für meine dummen frevel¬ müthigen Gedanken! -- Ich streckte mich nun an dem Lindenbaum, unter dem ich geseßen, ganz unmerk¬
da einzelne Wolken langſam durch den Mondſchein zo¬ gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬ unterfiel. So, dachte ich, ſcheint der Mond auch uͤber meines Vaters Muͤhle und auf das weiße graͤfliche Schloß. Dort iſt nun auch ſchon alles lange ſtill, die gnaͤdige Frau ſchlaͤft, und die Waſſerkuͤnſte und Baͤu¬ me im Garten rauſchen noch immer fort wie damals, und allen iſt's gleich, ob ich noch da bin, oder in der Fremde, oder geſtorben. — Da kam mir die Welt auf einmal ſo entſetzlich weit und groß vor, und ich ſo ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde haͤtte weinen moͤgen.
Wie ich noch immer ſo daſitze, hoͤre ich auf ein¬ mal aus der Ferne Hufſchlag im Walde. Ich hielt den Athem an und lauſchte, da kam es immer naͤher und naͤher, und ich konnte ſchon die Pferde ſchnauben hoͤ¬ ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter unter den Baͤumen hervor, hielten aber am Saume des Waldes an und ſprachen heimlich ſehr eifrig miteinan¬ der, wie ich an den Schatten ſehen konnte, die ploͤtzlich uͤber den mondbeglaͤnzten Platz vorſchoſſen, und mit langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬ ſen. — Wie oft, wenn mir zu Hauſe meine verſtor¬ bene Mutter von wilden Waͤldern und martialiſchen Raͤubern erzaͤhlte, hatte ich mir ſonſt immer heimlich gewuͤnſcht, eine ſolche Geſchichte ſelbſt zu erleben. Da hatt' ich's nun auf einmal fuͤr meine dummen frevel¬ muͤthigen Gedanken! — Ich ſtreckte mich nun an dem Lindenbaum, unter dem ich geſeßen, ganz unmerk¬
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[45/0055]
da einzelne Wolken langſam durch den Mondſchein zo¬
gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬
unterfiel. So, dachte ich, ſcheint der Mond auch uͤber
meines Vaters Muͤhle und auf das weiße graͤfliche
Schloß. Dort iſt nun auch ſchon alles lange ſtill, die
gnaͤdige Frau ſchlaͤft, und die Waſſerkuͤnſte und Baͤu¬
me im Garten rauſchen noch immer fort wie damals,
und allen iſt's gleich, ob ich noch da bin, oder in der
Fremde, oder geſtorben. — Da kam mir die Welt auf
einmal ſo entſetzlich weit und groß vor, und ich ſo
ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde haͤtte
weinen moͤgen.
Wie ich noch immer ſo daſitze, hoͤre ich auf ein¬
mal aus der Ferne Hufſchlag im Walde. Ich hielt den
Athem an und lauſchte, da kam es immer naͤher und
naͤher, und ich konnte ſchon die Pferde ſchnauben hoͤ¬
ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter
unter den Baͤumen hervor, hielten aber am Saume des
Waldes an und ſprachen heimlich ſehr eifrig miteinan¬
der, wie ich an den Schatten ſehen konnte, die ploͤtzlich
uͤber den mondbeglaͤnzten Platz vorſchoſſen, und mit
langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬
ſen. — Wie oft, wenn mir zu Hauſe meine verſtor¬
bene Mutter von wilden Waͤldern und martialiſchen
Raͤubern erzaͤhlte, hatte ich mir ſonſt immer heimlich
gewuͤnſcht, eine ſolche Geſchichte ſelbſt zu erleben. Da
hatt' ich's nun auf einmal fuͤr meine dummen frevel¬
muͤthigen Gedanken! — Ich ſtreckte mich nun an
dem Lindenbaum, unter dem ich geſeßen, ganz unmerk¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/55>, abgerufen am 23.07.2024.
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