Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

da einzelne Wolken langsam durch den Mondschein zo¬
gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬
unterfiel. So, dachte ich, scheint der Mond auch über
meines Vaters Mühle und auf das weiße gräfliche
Schloß. Dort ist nun auch schon alles lange still, die
gnädige Frau schläft, und die Wasserkünste und Bäu¬
me im Garten rauschen noch immer fort wie damals,
und allen ist's gleich, ob ich noch da bin, oder in der
Fremde, oder gestorben. -- Da kam mir die Welt auf
einmal so entsetzlich weit und groß vor, und ich so
ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde hätte
weinen mögen.

Wie ich noch immer so dasitze, höre ich auf ein¬
mal aus der Ferne Hufschlag im Walde. Ich hielt den
Athem an und lauschte, da kam es immer näher und
näher, und ich konnte schon die Pferde schnauben hö¬
ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter
unter den Bäumen hervor, hielten aber am Saume des
Waldes an und sprachen heimlich sehr eifrig miteinan¬
der, wie ich an den Schatten sehen konnte, die plötzlich
über den mondbeglänzten Platz vorschossen, und mit
langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬
sen. -- Wie oft, wenn mir zu Hause meine verstor¬
bene Mutter von wilden Wäldern und martialischen
Räubern erzählte, hatte ich mir sonst immer heimlich
gewünscht, eine solche Geschichte selbst zu erleben. Da
hatt' ich's nun auf einmal für meine dummen frevel¬
müthigen Gedanken! -- Ich streckte mich nun an
dem Lindenbaum, unter dem ich geseßen, ganz unmerk¬

da einzelne Wolken langſam durch den Mondſchein zo¬
gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬
unterfiel. So, dachte ich, ſcheint der Mond auch uͤber
meines Vaters Muͤhle und auf das weiße graͤfliche
Schloß. Dort iſt nun auch ſchon alles lange ſtill, die
gnaͤdige Frau ſchlaͤft, und die Waſſerkuͤnſte und Baͤu¬
me im Garten rauſchen noch immer fort wie damals,
und allen iſt's gleich, ob ich noch da bin, oder in der
Fremde, oder geſtorben. — Da kam mir die Welt auf
einmal ſo entſetzlich weit und groß vor, und ich ſo
ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde haͤtte
weinen moͤgen.

Wie ich noch immer ſo daſitze, hoͤre ich auf ein¬
mal aus der Ferne Hufſchlag im Walde. Ich hielt den
Athem an und lauſchte, da kam es immer naͤher und
naͤher, und ich konnte ſchon die Pferde ſchnauben hoͤ¬
ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter
unter den Baͤumen hervor, hielten aber am Saume des
Waldes an und ſprachen heimlich ſehr eifrig miteinan¬
der, wie ich an den Schatten ſehen konnte, die ploͤtzlich
uͤber den mondbeglaͤnzten Platz vorſchoſſen, und mit
langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬
ſen. — Wie oft, wenn mir zu Hauſe meine verſtor¬
bene Mutter von wilden Waͤldern und martialiſchen
Raͤubern erzaͤhlte, hatte ich mir ſonſt immer heimlich
gewuͤnſcht, eine ſolche Geſchichte ſelbſt zu erleben. Da
hatt' ich's nun auf einmal fuͤr meine dummen frevel¬
muͤthigen Gedanken! — Ich ſtreckte mich nun an
dem Lindenbaum, unter dem ich geſeßen, ganz unmerk¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="45"/>
da einzelne Wolken lang&#x017F;am durch den Mond&#x017F;chein zo¬<lb/>
gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬<lb/>
unterfiel. So, dachte ich, &#x017F;cheint der Mond auch u&#x0364;ber<lb/>
meines Vaters Mu&#x0364;hle und auf das weiße gra&#x0364;fliche<lb/>
Schloß. Dort i&#x017F;t nun auch &#x017F;chon alles lange &#x017F;till, die<lb/>
gna&#x0364;dige Frau &#x017F;chla&#x0364;ft, und die Wa&#x017F;&#x017F;erku&#x0364;n&#x017F;te und Ba&#x0364;<lb/>
me im <choice><sic>Garteu</sic><corr>Garten</corr></choice> rau&#x017F;chen noch immer fort wie damals,<lb/>
und allen i&#x017F;t's gleich, ob ich noch da bin, oder in der<lb/>
Fremde, oder ge&#x017F;torben. &#x2014; Da kam mir die Welt auf<lb/>
einmal &#x017F;o ent&#x017F;etzlich weit und groß vor, und ich &#x017F;o<lb/>
ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde ha&#x0364;tte<lb/>
weinen mo&#x0364;gen.</p><lb/>
          <p>Wie ich noch immer &#x017F;o da&#x017F;itze, ho&#x0364;re ich auf ein¬<lb/>
mal aus der Ferne Huf&#x017F;chlag im Walde. Ich hielt den<lb/>
Athem an und lau&#x017F;chte, da kam es immer na&#x0364;her und<lb/>
na&#x0364;her, und ich konnte &#x017F;chon die Pferde &#x017F;chnauben ho&#x0364;¬<lb/>
ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter<lb/>
unter den Ba&#x0364;umen hervor, hielten aber am Saume des<lb/>
Waldes an und &#x017F;prachen heimlich &#x017F;ehr eifrig miteinan¬<lb/>
der, wie ich an den Schatten &#x017F;ehen konnte, die plo&#x0364;tzlich<lb/>
u&#x0364;ber den mondbegla&#x0364;nzten Platz vor&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, und mit<lb/>
langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬<lb/>
&#x017F;en. &#x2014; Wie oft, wenn mir zu Hau&#x017F;e meine ver&#x017F;tor¬<lb/>
bene Mutter von wilden Wa&#x0364;ldern und martiali&#x017F;chen<lb/>
Ra&#x0364;ubern erza&#x0364;hlte, hatte ich mir &#x017F;on&#x017F;t immer heimlich<lb/>
gewu&#x0364;n&#x017F;cht, eine &#x017F;olche Ge&#x017F;chichte &#x017F;elb&#x017F;t zu erleben. Da<lb/>
hatt' ich's nun auf einmal fu&#x0364;r meine dummen frevel¬<lb/>
mu&#x0364;thigen Gedanken! &#x2014; Ich &#x017F;treckte mich nun an<lb/>
dem Lindenbaum, unter dem ich ge&#x017F;eßen, ganz unmerk¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0055] da einzelne Wolken langſam durch den Mondſchein zo¬ gen und manchmal ein Stern weit in der Ferne her¬ unterfiel. So, dachte ich, ſcheint der Mond auch uͤber meines Vaters Muͤhle und auf das weiße graͤfliche Schloß. Dort iſt nun auch ſchon alles lange ſtill, die gnaͤdige Frau ſchlaͤft, und die Waſſerkuͤnſte und Baͤu¬ me im Garten rauſchen noch immer fort wie damals, und allen iſt's gleich, ob ich noch da bin, oder in der Fremde, oder geſtorben. — Da kam mir die Welt auf einmal ſo entſetzlich weit und groß vor, und ich ſo ganz allein darin, daß ich aus Herzensgrunde haͤtte weinen moͤgen. Wie ich noch immer ſo daſitze, hoͤre ich auf ein¬ mal aus der Ferne Hufſchlag im Walde. Ich hielt den Athem an und lauſchte, da kam es immer naͤher und naͤher, und ich konnte ſchon die Pferde ſchnauben hoͤ¬ ren. Bald darauf kamen auch wirklich zwei Reiter unter den Baͤumen hervor, hielten aber am Saume des Waldes an und ſprachen heimlich ſehr eifrig miteinan¬ der, wie ich an den Schatten ſehen konnte, die ploͤtzlich uͤber den mondbeglaͤnzten Platz vorſchoſſen, und mit langen dunklen Armen bald dahin bald dorthin wie¬ ſen. — Wie oft, wenn mir zu Hauſe meine verſtor¬ bene Mutter von wilden Waͤldern und martialiſchen Raͤubern erzaͤhlte, hatte ich mir ſonſt immer heimlich gewuͤnſcht, eine ſolche Geſchichte ſelbſt zu erleben. Da hatt' ich's nun auf einmal fuͤr meine dummen frevel¬ muͤthigen Gedanken! — Ich ſtreckte mich nun an dem Lindenbaum, unter dem ich geſeßen, ganz unmerk¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/55
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/55>, abgerufen am 23.11.2024.