Da droben schallte mir die Tanzmusik erst recht über die Wipfel entgegen. Ich übersah den ganzen Garten und grade in die hellerleuchteten Fenster des Schlosses hinein. Dort drehten sich die Kronleuchter langsam wie Kränze von Sternen, unzählige geputzte Herren und Damen, wie in einem Schattenspiele, wog¬ ten und walzten und wirrten da bunt und unkenntlich durcheinander, manchmal legten sich welche ins Fenster und sahen hinunter in den Garten. Draußen vor dem Schlosse aber waren der Rasen, die Sträucher und die Bäume von den vielen Lichtern aus dem Saale wie vergoldet, so daß ordentlich die Blumen und die Vö¬ gel aufzuwachen schienen. Weiterhin um mich herum und hinter mir lag der Garten so schwarz und still.
Da tanzt Sie nun, dacht' ich in dem Baume droben bei mir selber, und hat gewiß lange wieder Dich und Deine Blumen vergessen[.] Alles ist so fröh¬ lich, um Dich kümmert sich kein Mensch. -- Und so geht es mir überall und immer. Jeder hat sein Plätz¬ chen auf der Erde ausgesteckt, hat seinen warmen Ofen, seine Tasse Kaffee, seine Frau, sein Glas Wein zu Abend, und ist so recht zufrieden; selbst dem Portier ist ganz wohl in seiner langen Haut. -- Mir ist's nirgends recht. Es ist, als wäre ich überall eben zu spät gekommen, als hätte die ganze Welt gar nicht auf mich gerechnet. --
Wie ich eben so philosophire, höre ich auf einmal un¬ ten im Grase etwas einherrascheln. Zwei feine Stimmen sprachen ganz nahe und leise miteinander. Bald darauf
Da droben ſchallte mir die Tanzmuſik erſt recht uͤber die Wipfel entgegen. Ich uͤberſah den ganzen Garten und grade in die hellerleuchteten Fenſter des Schloſſes hinein. Dort drehten ſich die Kronleuchter langſam wie Kraͤnze von Sternen, unzaͤhlige geputzte Herren und Damen, wie in einem Schattenſpiele, wog¬ ten und walzten und wirrten da bunt und unkenntlich durcheinander, manchmal legten ſich welche ins Fenſter und ſahen hinunter in den Garten. Draußen vor dem Schloſſe aber waren der Raſen, die Straͤucher und die Baͤume von den vielen Lichtern aus dem Saale wie vergoldet, ſo daß ordentlich die Blumen und die Voͤ¬ gel aufzuwachen ſchienen. Weiterhin um mich herum und hinter mir lag der Garten ſo ſchwarz und ſtill.
Da tanzt Sie nun, dacht' ich in dem Baume droben bei mir ſelber, und hat gewiß lange wieder Dich und Deine Blumen vergeſſen[.] Alles iſt ſo froͤh¬ lich, um Dich kuͤmmert ſich kein Menſch. — Und ſo geht es mir uͤberall und immer. Jeder hat ſein Plaͤtz¬ chen auf der Erde ausgeſteckt, hat ſeinen warmen Ofen, ſeine Taſſe Kaffee, ſeine Frau, ſein Glas Wein zu Abend, und iſt ſo recht zufrieden; ſelbſt dem Portier iſt ganz wohl in ſeiner langen Haut. — Mir iſt's nirgends recht. Es iſt, als waͤre ich uͤberall eben zu ſpaͤt gekommen, als haͤtte die ganze Welt gar nicht auf mich gerechnet. —
Wie ich eben ſo philoſophire, hoͤre ich auf einmal un¬ ten im Graſe etwas einherraſcheln. Zwei feine Stimmen ſprachen ganz nahe und leiſe miteinander. Bald darauf
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Da droben ſchallte mir die Tanzmuſik erſt recht
uͤber die Wipfel entgegen. Ich uͤberſah den ganzen
Garten und grade in die hellerleuchteten Fenſter des
Schloſſes hinein. Dort drehten ſich die Kronleuchter
langſam wie Kraͤnze von Sternen, unzaͤhlige geputzte
Herren und Damen, wie in einem Schattenſpiele, wog¬
ten und walzten und wirrten da bunt und unkenntlich
durcheinander, manchmal legten ſich welche ins Fenſter
und ſahen hinunter in den Garten. Draußen vor dem
Schloſſe aber waren der Raſen, die Straͤucher und die
Baͤume von den vielen Lichtern aus dem Saale wie
vergoldet, ſo daß ordentlich die Blumen und die Voͤ¬
gel aufzuwachen ſchienen. Weiterhin um mich herum
und hinter mir lag der Garten ſo ſchwarz und ſtill.
Da tanzt Sie nun, dacht' ich in dem Baume
droben bei mir ſelber, und hat gewiß lange wieder
Dich und Deine Blumen vergeſſen. Alles iſt ſo froͤh¬
lich, um Dich kuͤmmert ſich kein Menſch. — Und ſo
geht es mir uͤberall und immer. Jeder hat ſein Plaͤtz¬
chen auf der Erde ausgeſteckt, hat ſeinen warmen
Ofen, ſeine Taſſe Kaffee, ſeine Frau, ſein Glas Wein
zu Abend, und iſt ſo recht zufrieden; ſelbſt dem Portier
iſt ganz wohl in ſeiner langen Haut. — Mir iſt's
nirgends recht. Es iſt, als waͤre ich uͤberall eben zu
ſpaͤt gekommen, als haͤtte die ganze Welt gar nicht auf
mich gerechnet. —
Wie ich eben ſo philoſophire, hoͤre ich auf einmal un¬
ten im Graſe etwas einherraſcheln. Zwei feine Stimmen
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/37>, abgerufen am 16.02.2025.
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