ob ich nicht schon am Zollhäuschen mit meiner Geige dahergestrichen komme, die Wolken flogen rasch über den Himmel, die Zeit verging -- und ich konnte nicht fort von hier! Ach, mir war so weh im Herzen, ich wußte gar nicht mehr, was ich thun sollte. Dabei war mir's auch immer, wenn die Blätter draußen rauschten, oder eine Ratte am Boden knosperte, als wäre die Alte durch eine verborgene Tapetenthür heim¬ lich hereingetreten und lauere und schleiche leise mit dem langen Messer durch's Zimmer.
Als ich so voll Sorgen auf dem Bette saß, hörte ich auf einmal seit langer Zeit wieder die Nachtmusik unter meinen Fenstern. Bei dem ersten Klange der Guitarre war es mir nicht anders, als wenn mir ein Morgenstrahl plötzlich durch die Seele führe. Ich riß das Fenster auf und rief leise herunter, daß ich wach sey. "Pst, pst!" antwortete es von unten. Ich besann mich nun nicht lange, steckte das Briefchen und meine Geige zu mir, schwang mich aus dem Fenster, und kletterte an der alten, zersprungenen Mauer hinab, in¬ dem ich mich mit den Händen an den Sträuchern, die aus den Ritzen wuchsen, anhielt. Aber einige morsche Ziegel gaben nach, ich kam ins Rutschen, es ging im¬ mer rascher und rascher mit mir, bis ich endlich mit beiden Füßen aufplumpte, daß mir's im Gehirnkasten knisterte.
Kaum war ich auf diese Art unten im Garten an¬ gekommen, so umarmte mich Jemand mit solcher Ve¬ hemenz, daß ich laut aufschrie. Der gute Freund aber
ob ich nicht ſchon am Zollhaͤuschen mit meiner Geige dahergeſtrichen komme, die Wolken flogen raſch uͤber den Himmel, die Zeit verging — und ich konnte nicht fort von hier! Ach, mir war ſo weh im Herzen, ich wußte gar nicht mehr, was ich thun ſollte. Dabei war mir's auch immer, wenn die Blaͤtter draußen rauſchten, oder eine Ratte am Boden knosperte, als waͤre die Alte durch eine verborgene Tapetenthuͤr heim¬ lich hereingetreten und lauere und ſchleiche leiſe mit dem langen Meſſer durch's Zimmer.
Als ich ſo voll Sorgen auf dem Bette ſaß, hoͤrte ich auf einmal ſeit langer Zeit wieder die Nachtmuſik unter meinen Fenſtern. Bei dem erſten Klange der Guitarre war es mir nicht anders, als wenn mir ein Morgenſtrahl ploͤtzlich durch die Seele fuͤhre. Ich riß das Fenſter auf und rief leiſe herunter, daß ich wach ſey. „Pſt, pſt!“ antwortete es von unten. Ich beſann mich nun nicht lange, ſteckte das Briefchen und meine Geige zu mir, ſchwang mich aus dem Fenſter, und kletterte an der alten, zerſprungenen Mauer hinab, in¬ dem ich mich mit den Haͤnden an den Straͤuchern, die aus den Ritzen wuchſen, anhielt. Aber einige morſche Ziegel gaben nach, ich kam ins Rutſchen, es ging im¬ mer raſcher und raſcher mit mir, bis ich endlich mit beiden Fuͤßen aufplumpte, daß mir's im Gehirnkaſten kniſterte.
Kaum war ich auf dieſe Art unten im Garten an¬ gekommen, ſo umarmte mich Jemand mit ſolcher Ve¬ hemenz, daß ich laut aufſchrie. Der gute Freund aber
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ob ich nicht ſchon am Zollhaͤuschen mit meiner Geige
dahergeſtrichen komme, die Wolken flogen raſch uͤber
den Himmel, die Zeit verging — und ich konnte nicht
fort von hier! Ach, mir war ſo weh im Herzen, ich
wußte gar nicht mehr, was ich thun ſollte. Dabei
war mir's auch immer, wenn die Blaͤtter draußen
rauſchten, oder eine Ratte am Boden knosperte, als
waͤre die Alte durch eine verborgene Tapetenthuͤr heim¬
lich hereingetreten und lauere und ſchleiche leiſe mit
dem langen Meſſer durch's Zimmer.
Als ich ſo voll Sorgen auf dem Bette ſaß, hoͤrte
ich auf einmal ſeit langer Zeit wieder die Nachtmuſik
unter meinen Fenſtern. Bei dem erſten Klange der
Guitarre war es mir nicht anders, als wenn mir ein
Morgenſtrahl ploͤtzlich durch die Seele fuͤhre. Ich riß
das Fenſter auf und rief leiſe herunter, daß ich wach
ſey. „Pſt, pſt!“ antwortete es von unten. Ich beſann
mich nun nicht lange, ſteckte das Briefchen und meine
Geige zu mir, ſchwang mich aus dem Fenſter, und
kletterte an der alten, zerſprungenen Mauer hinab, in¬
dem ich mich mit den Haͤnden an den Straͤuchern, die
aus den Ritzen wuchſen, anhielt. Aber einige morſche
Ziegel gaben nach, ich kam ins Rutſchen, es ging im¬
mer raſcher und raſcher mit mir, bis ich endlich mit
beiden Fuͤßen aufplumpte, daß mir's im Gehirnkaſten
kniſterte.
Kaum war ich auf dieſe Art unten im Garten an¬
gekommen, ſo umarmte mich Jemand mit ſolcher Ve¬
hemenz, daß ich laut aufſchrie. Der gute Freund aber
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/88>, abgerufen am 11.08.2024.
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