während ich hinter mir wieder schloß und verriegelte, damit das Mädchen nicht erschrecken und sich schämen sollte, wenn sie erwachte.
Draußen ließ sich noch kein Laut vernehmen. Nur ein früherwachtes Waldvöglein saß vor meinem Fen¬ ster auf einem Strauch, der aus der Mauer heraus wuchs, und sang schon sein Morgenlied. "Nein," sagte ich, "Du sollst mich nicht beschämen und allein so früh und fleißig Gott loben!" -- Ich nahm schnell meine Geige, die ich gestern auf das Tischchen gelegt hatte, und ging hinaus. Im Schlosse war noch alles todtenstill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gängen ins Freie heraus fand.
Als ich vor das Schloß heraus trat, kam ich in einen großen Garten, der auf breiten Terrassen, wovon die eine immer tiefer war als die andere, bis auf den halben Berg herunter ging. Aber das war eine lüderliche Gärtnerei. Die Gänge waren alle mit ho¬ hem Grase bewachsen, die künstlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beschnitten und streckten, wie Gespenster, lange Nasen oder ellenhohe spitzige Mützen in die Luft hinaus, daß man sich in der Dämmerung ordentlich davor hätte fürchten mögen. Auf einige zer¬ brochene Statuen über einer vertrockneten Wasserkunst war gar Wäsche aufgehängt, hin und wieder hatten sie mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar ordinaire Blumen, alles unordentlich durch¬ einander, und von hohem wilden Unkraut überwachsen, zwischen dem sich bunte Eidechsen schlängelten. Zwi¬
waͤhrend ich hinter mir wieder ſchloß und verriegelte, damit das Maͤdchen nicht erſchrecken und ſich ſchaͤmen ſollte, wenn ſie erwachte.
Draußen ließ ſich noch kein Laut vernehmen. Nur ein fruͤherwachtes Waldvoͤglein ſaß vor meinem Fen¬ ſter auf einem Strauch, der aus der Mauer heraus wuchs, und ſang ſchon ſein Morgenlied. „Nein,“ ſagte ich, „Du ſollſt mich nicht beſchaͤmen und allein ſo fruͤh und fleißig Gott loben!“ — Ich nahm ſchnell meine Geige, die ich geſtern auf das Tiſchchen gelegt hatte, und ging hinaus. Im Schloſſe war noch alles todtenſtill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gaͤngen ins Freie heraus fand.
Als ich vor das Schloß heraus trat, kam ich in einen großen Garten, der auf breiten Terraſſen, wovon die eine immer tiefer war als die andere, bis auf den halben Berg herunter ging. Aber das war eine luͤderliche Gaͤrtnerei. Die Gaͤnge waren alle mit ho¬ hem Graſe bewachſen, die kuͤnſtlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beſchnitten und ſtreckten, wie Geſpenſter, lange Naſen oder ellenhohe ſpitzige Muͤtzen in die Luft hinaus, daß man ſich in der Daͤmmerung ordentlich davor haͤtte fuͤrchten moͤgen. Auf einige zer¬ brochene Statuen uͤber einer vertrockneten Waſſerkunſt war gar Waͤſche aufgehaͤngt, hin und wieder hatten ſie mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar ordinaire Blumen, alles unordentlich durch¬ einander, und von hohem wilden Unkraut uͤberwachſen, zwiſchen dem ſich bunte Eidechſen ſchlaͤngelten. Zwi¬
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waͤhrend ich hinter mir wieder ſchloß und verriegelte,
damit das Maͤdchen nicht erſchrecken und ſich ſchaͤmen
ſollte, wenn ſie erwachte.
Draußen ließ ſich noch kein Laut vernehmen. Nur
ein fruͤherwachtes Waldvoͤglein ſaß vor meinem Fen¬
ſter auf einem Strauch, der aus der Mauer heraus
wuchs, und ſang ſchon ſein Morgenlied. „Nein,“
ſagte ich, „Du ſollſt mich nicht beſchaͤmen und allein
ſo fruͤh und fleißig Gott loben!“ — Ich nahm ſchnell
meine Geige, die ich geſtern auf das Tiſchchen gelegt
hatte, und ging hinaus. Im Schloſſe war noch alles
todtenſtill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den
dunklen Gaͤngen ins Freie heraus fand.
Als ich vor das Schloß heraus trat, kam ich in
einen großen Garten, der auf breiten Terraſſen, wovon
die eine immer tiefer war als die andere, bis auf den
halben Berg herunter ging. Aber das war eine
luͤderliche Gaͤrtnerei. Die Gaͤnge waren alle mit ho¬
hem Graſe bewachſen, die kuͤnſtlichen Figuren von
Buchsbaum waren nicht beſchnitten und ſtreckten, wie
Geſpenſter, lange Naſen oder ellenhohe ſpitzige Muͤtzen
in die Luft hinaus, daß man ſich in der Daͤmmerung
ordentlich davor haͤtte fuͤrchten moͤgen. Auf einige zer¬
brochene Statuen uͤber einer vertrockneten Waſſerkunſt
war gar Waͤſche aufgehaͤngt, hin und wieder hatten ſie
mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder
ein paar ordinaire Blumen, alles unordentlich durch¬
einander, und von hohem wilden Unkraut uͤberwachſen,
zwiſchen dem ſich bunte Eidechſen ſchlaͤngelten. Zwi¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/78>, abgerufen am 10.08.2024.
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