nickten einander heimlich zu, als wenn sie in ihrem Leben noch kein Mannsbild gesehen hätten. Die Alte machte endlich oben eine Thüre auf, da wurde ich an¬ fangs ordentlich ganz verblüfft. Denn es war ein gro¬ ßes schönes herrschaftliches Zimmer mit goldenen Ver¬ zierungen an der Decke, und an den Wänden hingen prächtige Tapeten mit allerlei Figuren und großen Blumen. In der Mitte stand ein gedeckter Tisch mit Braten, Kuchen, Sallat, Obst, Wein und Confekt, daß einem recht das Herz im Leibe lachte. Zwischen den beiden Fenstern hing ein ungeheurer Spiegel, der vom Boden bis zur Decke reichte.
Ich muß sagen, das gefiel mir recht wohl. Ich streckte mich ein Paarmal und ging mit langen Schrit¬ ten vornehm im Zimmer auf und ab. Dann konnt' ich aber doch nicht widerstehen, mich einmal in einem so großen Spiegel zu besehen. Das ist wahr, die neuen Kleider vom Herrn Leonhard standen mir recht schön, auch hatte ich in Italien so ein gewisses feuriges Auge bekommen, sonst aber war ich grade noch so ein Milch¬ bart, wie ich zu Hause gewesen war, nur auf der Ober¬ lippe zeigten sich erst ein paar Flaumfedern.
Die alte Frau mahlte indeß in einem fort mit ih¬ rem zahnlosen Munde, daß es nicht anders aussah, als wenn sie an der langen herunterhängenden Nasenspitze kaute. Dann nöthigte sie mich zum Sitzen, streichelte mir mit ihren dürren Fingern das Kinn, nannte mich poverino! wobei sie mich aus den rothen Augen so schelmisch ansah, daß sich ihr der eine Mundwinkel bis
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nickten einander heimlich zu, als wenn ſie in ihrem Leben noch kein Mannsbild geſehen haͤtten. Die Alte machte endlich oben eine Thuͤre auf, da wurde ich an¬ fangs ordentlich ganz verbluͤfft. Denn es war ein gro¬ ßes ſchoͤnes herrſchaftliches Zimmer mit goldenen Ver¬ zierungen an der Decke, und an den Waͤnden hingen praͤchtige Tapeten mit allerlei Figuren und großen Blumen. In der Mitte ſtand ein gedeckter Tiſch mit Braten, Kuchen, Sallat, Obſt, Wein und Confekt, daß einem recht das Herz im Leibe lachte. Zwiſchen den beiden Fenſtern hing ein ungeheurer Spiegel, der vom Boden bis zur Decke reichte.
Ich muß ſagen, das gefiel mir recht wohl. Ich ſtreckte mich ein Paarmal und ging mit langen Schrit¬ ten vornehm im Zimmer auf und ab. Dann konnt' ich aber doch nicht widerſtehen, mich einmal in einem ſo großen Spiegel zu beſehen. Das iſt wahr, die neuen Kleider vom Herrn Leonhard ſtanden mir recht ſchoͤn, auch hatte ich in Italien ſo ein gewiſſes feuriges Auge bekommen, ſonſt aber war ich grade noch ſo ein Milch¬ bart, wie ich zu Hauſe geweſen war, nur auf der Ober¬ lippe zeigten ſich erſt ein paar Flaumfedern.
Die alte Frau mahlte indeß in einem fort mit ih¬ rem zahnloſen Munde, daß es nicht anders ausſah, als wenn ſie an der langen herunterhaͤngenden Naſenſpitze kaute. Dann noͤthigte ſie mich zum Sitzen, ſtreichelte mir mit ihren duͤrren Fingern das Kinn, nannte mich poverino! wobei ſie mich aus den rothen Augen ſo ſchelmiſch anſah, daß ſich ihr der eine Mundwinkel bis
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nickten einander heimlich zu, als wenn ſie in ihrem
Leben noch kein Mannsbild geſehen haͤtten. Die Alte
machte endlich oben eine Thuͤre auf, da wurde ich an¬
fangs ordentlich ganz verbluͤfft. Denn es war ein gro¬
ßes ſchoͤnes herrſchaftliches Zimmer mit goldenen Ver¬
zierungen an der Decke, und an den Waͤnden hingen
praͤchtige Tapeten mit allerlei Figuren und großen
Blumen. In der Mitte ſtand ein gedeckter Tiſch mit
Braten, Kuchen, Sallat, Obſt, Wein und Confekt, daß
einem recht das Herz im Leibe lachte. Zwiſchen den
beiden Fenſtern hing ein ungeheurer Spiegel, der vom
Boden bis zur Decke reichte.
Ich muß ſagen, das gefiel mir recht wohl. Ich
ſtreckte mich ein Paarmal und ging mit langen Schrit¬
ten vornehm im Zimmer auf und ab. Dann konnt'
ich aber doch nicht widerſtehen, mich einmal in einem
ſo großen Spiegel zu beſehen. Das iſt wahr, die neuen
Kleider vom Herrn Leonhard ſtanden mir recht ſchoͤn,
auch hatte ich in Italien ſo ein gewiſſes feuriges Auge
bekommen, ſonſt aber war ich grade noch ſo ein Milch¬
bart, wie ich zu Hauſe geweſen war, nur auf der Ober¬
lippe zeigten ſich erſt ein paar Flaumfedern.
Die alte Frau mahlte indeß in einem fort mit ih¬
rem zahnloſen Munde, daß es nicht anders ausſah, als
wenn ſie an der langen herunterhaͤngenden Naſenſpitze
kaute. Dann noͤthigte ſie mich zum Sitzen, ſtreichelte
mir mit ihren duͤrren Fingern das Kinn, nannte mich
poverino! wobei ſie mich aus den rothen Augen ſo
ſchelmiſch anſah, daß ſich ihr der eine Mundwinkel bis
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/75>, abgerufen am 10.08.2024.
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