Nacht, als führen wir in ein großes Grabgewölbe hin¬ ein. Nur von vielen Wasserfällen, die man aber nicht sehen konnte, war ein unaufhörliches Rauschen tiefer im Walde, und die Käutzchen riefen aus der Ferne im¬ merfort: "Komm mit, Komm mit!" -- Dabei kam es mir vor, als wenn der Kutscher, der, wie ich jetzt erst sah, gar keine Uniform hatte und kein Postillon war, sich einigemal unruhig umsahe und schneller zu fahren an¬ fing, und wie ich mich recht zum Wagen herauslegte, kam plötzlich ein Reiter aus dem Gebüsch hervor, sprengte dicht vor unseren Pferden quer über den Weg, und verlor sich sogleich wieder auf der andern Seite im Walde. Ich war ganz verwirrt, denn, soviel ich bei dem hellen Mondschein erkennen konnte, war es dasselbe buckliche Männlein auf seinem Schimmel, das in dem Wirthshause mit der Adlernase nach mir ge¬ hackt hatte. Der Kutscher schüttelte den Kopf und lachte laut auf über die närrische Reiterei, wandte sich aber dann rasch zu mir um, sprach sehr viel und sehr eifrig, wovon ich leider nichts verstand, und fuhr dann noch rascher fort.
Ich aber war froh, als ich bald darauf von ferne ein Licht schimmern sah. Es fanden sich nach und nach noch mehrere Lichter, sie wurden immer größer und heller, und endlich kamen wir an einigen verräucherten Hütten vorüber, die wie Schwalbennester auf dem Fel¬ sen hingen. Da die Nacht warm war, so standen die Thüren offen, und ich konnte darin die hell erleuchte¬ ten Stuben und allerlei lumpiges Gesindel sehen, das
Nacht, als fuͤhren wir in ein großes Grabgewoͤlbe hin¬ ein. Nur von vielen Waſſerfaͤllen, die man aber nicht ſehen konnte, war ein unaufhoͤrliches Rauſchen tiefer im Walde, und die Kaͤutzchen riefen aus der Ferne im¬ merfort: „Komm mit, Komm mit!“ — Dabei kam es mir vor, als wenn der Kutſcher, der, wie ich jetzt erſt ſah, gar keine Uniform hatte und kein Poſtillon war, ſich einigemal unruhig umſahe und ſchneller zu fahren an¬ fing, und wie ich mich recht zum Wagen herauslegte, kam ploͤtzlich ein Reiter aus dem Gebuͤſch hervor, ſprengte dicht vor unſeren Pferden quer uͤber den Weg, und verlor ſich ſogleich wieder auf der andern Seite im Walde. Ich war ganz verwirrt, denn, ſoviel ich bei dem hellen Mondſchein erkennen konnte, war es daſſelbe buckliche Maͤnnlein auf ſeinem Schimmel, das in dem Wirthshauſe mit der Adlernaſe nach mir ge¬ hackt hatte. Der Kutſcher ſchuͤttelte den Kopf und lachte laut auf uͤber die naͤrriſche Reiterei, wandte ſich aber dann raſch zu mir um, ſprach ſehr viel und ſehr eifrig, wovon ich leider nichts verſtand, und fuhr dann noch raſcher fort.
Ich aber war froh, als ich bald darauf von ferne ein Licht ſchimmern ſah. Es fanden ſich nach und nach noch mehrere Lichter, ſie wurden immer groͤßer und heller, und endlich kamen wir an einigen verraͤucherten Huͤtten voruͤber, die wie Schwalbenneſter auf dem Fel¬ ſen hingen. Da die Nacht warm war, ſo ſtanden die Thuͤren offen, und ich konnte darin die hell erleuchte¬ ten Stuben und allerlei lumpiges Geſindel ſehen, das
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Nacht, als fuͤhren wir in ein großes Grabgewoͤlbe hin¬
ein. Nur von vielen Waſſerfaͤllen, die man aber nicht
ſehen konnte, war ein unaufhoͤrliches Rauſchen tiefer
im Walde, und die Kaͤutzchen riefen aus der Ferne im¬
merfort: „Komm mit, Komm mit!“ — Dabei kam es
mir vor, als wenn der Kutſcher, der, wie ich jetzt erſt
ſah, gar keine Uniform hatte und kein Poſtillon war, ſich
einigemal unruhig umſahe und ſchneller zu fahren an¬
fing, und wie ich mich recht zum Wagen herauslegte,
kam ploͤtzlich ein Reiter aus dem Gebuͤſch hervor,
ſprengte dicht vor unſeren Pferden quer uͤber den Weg,
und verlor ſich ſogleich wieder auf der andern Seite
im Walde. Ich war ganz verwirrt, denn, ſoviel ich
bei dem hellen Mondſchein erkennen konnte, war es
daſſelbe buckliche Maͤnnlein auf ſeinem Schimmel, das
in dem Wirthshauſe mit der Adlernaſe nach mir ge¬
hackt hatte. Der Kutſcher ſchuͤttelte den Kopf und
lachte laut auf uͤber die naͤrriſche Reiterei, wandte ſich
aber dann raſch zu mir um, ſprach ſehr viel und ſehr
eifrig, wovon ich leider nichts verſtand, und fuhr dann
noch raſcher fort.
Ich aber war froh, als ich bald darauf von ferne
ein Licht ſchimmern ſah. Es fanden ſich nach und nach
noch mehrere Lichter, ſie wurden immer groͤßer und
heller, und endlich kamen wir an einigen verraͤucherten
Huͤtten voruͤber, die wie Schwalbenneſter auf dem Fel¬
ſen hingen. Da die Nacht warm war, ſo ſtanden die
Thuͤren offen, und ich konnte darin die hell erleuchte¬
ten Stuben und allerlei lumpiges Geſindel ſehen, das
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/72>, abgerufen am 09.08.2024.
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