sie sich nicht wenig, als sie oben das leere Nest sahen. Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd -- wie ich aus ihren Zeichen und Gestiku¬ lationen zusammenbringen konnte -- hatte bemerkt, daß der Herr Guido, als er gestern Abends auf dem Balkon sang, auf einmal laut aufschrie, und dann ge¬ schwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zurück¬ stürzte. Als sie hernach in der Nacht einmal auf¬ wachte, hörte sie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenster und sah den bucklich¬ ten Signor, der gestern so viel mit mir gesprochen hatte, auf einem Schimmel im Mondschein quer übers Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch überm Sattel in die Höhe flog und die Magd sich bekreuzte, weil es aussah, wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet. -- Da wußt' ich nun gar nicht, was ich machen sollte.
Unterdeß aber stand unser Wagen schon lange vor der Thüre angespannt und der Postillon stieß ungedul¬ dig ins Horn, daß er hätte bersten mögen, denn er mußte zur bestimmten Stunde auf der nächsten Sta¬ tion seyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute voraus bestellt war. Ich rannte noch einmal um das ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand gab Antwort, die Leute aus dem Hause liefen zusam¬ men und gafften mich an, der Postillon fluchte, die Pferde schnaubten, ich, ganz verblüfft, springe endlich geschwind in den Wagen hinein, der Hausknecht schlägt
ſie ſich nicht wenig, als ſie oben das leere Neſt ſahen. Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd — wie ich aus ihren Zeichen und Geſtiku¬ lationen zuſammenbringen konnte — hatte bemerkt, daß der Herr Guido, als er geſtern Abends auf dem Balkon ſang, auf einmal laut aufſchrie, und dann ge¬ ſchwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zuruͤck¬ ſtuͤrzte. Als ſie hernach in der Nacht einmal auf¬ wachte, hoͤrte ſie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenſter und ſah den bucklich¬ ten Signor, der geſtern ſo viel mit mir geſprochen hatte, auf einem Schimmel im Mondſchein quer uͤbers Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch uͤberm Sattel in die Hoͤhe flog und die Magd ſich bekreuzte, weil es ausſah, wie ein Geſpenſt, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet. — Da wußt' ich nun gar nicht, was ich machen ſollte.
Unterdeß aber ſtand unſer Wagen ſchon lange vor der Thuͤre angeſpannt und der Poſtillon ſtieß ungedul¬ dig ins Horn, daß er haͤtte berſten moͤgen, denn er mußte zur beſtimmten Stunde auf der naͤchſten Sta¬ tion ſeyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute voraus beſtellt war. Ich rannte noch einmal um das ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand gab Antwort, die Leute aus dem Hauſe liefen zuſam¬ men und gafften mich an, der Poſtillon fluchte, die Pferde ſchnaubten, ich, ganz verbluͤfft, ſpringe endlich geſchwind in den Wagen hinein, der Hausknecht ſchlaͤgt
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ſie ſich nicht wenig, als ſie oben das leere Neſt ſahen.
Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die
eine Magd — wie ich aus ihren Zeichen und Geſtiku¬
lationen zuſammenbringen konnte — hatte bemerkt,
daß der Herr Guido, als er geſtern Abends auf dem
Balkon ſang, auf einmal laut aufſchrie, und dann ge¬
ſchwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zuruͤck¬
ſtuͤrzte. Als ſie hernach in der Nacht einmal auf¬
wachte, hoͤrte ſie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte
durch das kleine Kammerfenſter und ſah den bucklich¬
ten Signor, der geſtern ſo viel mit mir geſprochen
hatte, auf einem Schimmel im Mondſchein quer uͤbers
Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch uͤberm Sattel
in die Hoͤhe flog und die Magd ſich bekreuzte, weil es
ausſah, wie ein Geſpenſt, das auf einem dreibeinigen
Pferde reitet. — Da wußt' ich nun gar nicht, was
ich machen ſollte.
Unterdeß aber ſtand unſer Wagen ſchon lange vor
der Thuͤre angeſpannt und der Poſtillon ſtieß ungedul¬
dig ins Horn, daß er haͤtte berſten moͤgen, denn er
mußte zur beſtimmten Stunde auf der naͤchſten Sta¬
tion ſeyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute
voraus beſtellt war. Ich rannte noch einmal um das
ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand
gab Antwort, die Leute aus dem Hauſe liefen zuſam¬
men und gafften mich an, der Poſtillon fluchte, die
Pferde ſchnaubten, ich, ganz verbluͤfft, ſpringe endlich
geſchwind in den Wagen hinein, der Hausknecht ſchlaͤgt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/69>, abgerufen am 09.08.2024.
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