Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Sommerschwüle. I. Ich klimm' zum Berg und schau' zur niedern Erde, Ich klimm' hinab und schau' die Berge an, Süß-melancholisch spitzt sich die Geberde Und gift'ge Weltverachtung ficht mich an; Doch will aus Schmerz und Haß nichts Rechtes werden. Ermanne Dich! -- Ich bin doch wohl ein Mann? -- Und ach! wie träge Sylb' aus Sylbe schleichet, Mit Noth hab' ich den letzten Reim erreichet. O weg mit Reim und Leierklang und Singen! Faß', Leben, wieder mich lebendig an! Mit Deiner Woge will ich freudig ringen, Die tief mich stürzt, hebt mich auch himmelan. Im Sturme spannt der Adler seine Schwingen -- Blas' zu! da spür' ich wieder, daß ich Mann! Viel lieber will ich raschen Tod erwerben, Als, so verschmachtend, lebenslang zu sterben. II. Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden Träg' ziehn die Quellen, die so kühle sprangen, Von trüber Schwüle liegt die Welt umfangen, So hat den Lenz der Sommer überwunden. Noch nie hat es die Brust so tief empfunden, Es ist, als ob viel' Stimmen heimlich sangen: "Auch Dein Lenz, froher Sänger, ist vergangen, An Weib und Kind ist nun der Sinn gebunden!" Sommerſchwüle. I. Ich klimm' zum Berg und ſchau' zur niedern Erde, Ich klimm' hinab und ſchau' die Berge an, Suͤß-melancholiſch ſpitzt ſich die Geberde Und gift'ge Weltverachtung ficht mich an; Doch will aus Schmerz und Haß nichts Rechtes werden. Ermanne Dich! — Ich bin doch wohl ein Mann? — Und ach! wie traͤge Sylb' aus Sylbe ſchleichet, Mit Noth hab' ich den letzten Reim erreichet. O weg mit Reim und Leierklang und Singen! Faß', Leben, wieder mich lebendig an! Mit Deiner Woge will ich freudig ringen, Die tief mich ſtuͤrzt, hebt mich auch himmelan. Im Sturme ſpannt der Adler ſeine Schwingen — Blaſ' zu! da ſpuͤr' ich wieder, daß ich Mann! Viel lieber will ich raſchen Tod erwerben, Als, ſo verſchmachtend, lebenslang zu ſterben. II. Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden Traͤg' ziehn die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen, Von truͤber Schwuͤle liegt die Welt umfangen, So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden. Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden, Es iſt, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen: „Auch Dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen, An Weib und Kind iſt nun der Sinn gebunden!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0132" n="114"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Sommerſchwüle</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <lg> <head><hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch klimm' zum Berg und ſchau' zur niedern Erde,</l><lb/> <l>Ich klimm' hinab und ſchau' die Berge an,</l><lb/> <l>Suͤß-melancholiſch ſpitzt ſich die Geberde</l><lb/> <l>Und gift'ge Weltverachtung ficht mich an;</l><lb/> <l>Doch will aus Schmerz und Haß nichts Rechtes werden.</l><lb/> <l>Ermanne Dich! — Ich bin doch wohl ein Mann? —</l><lb/> <l>Und ach! wie traͤge Sylb' aus Sylbe ſchleichet,</l><lb/> <l>Mit Noth hab' ich den letzten Reim erreichet.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>O weg mit Reim und Leierklang und Singen!</l><lb/> <l>Faß', Leben, wieder mich lebendig an!</l><lb/> <l>Mit Deiner Woge will ich freudig ringen,</l><lb/> <l>Die tief mich ſtuͤrzt, hebt mich auch himmelan.</l><lb/> <l>Im Sturme ſpannt der Adler ſeine Schwingen —</l><lb/> <l>Blaſ' zu! da ſpuͤr' ich wieder, daß ich Mann!</l><lb/> <l>Viel lieber will ich raſchen Tod erwerben,</l><lb/> <l>Als, ſo verſchmachtend, lebenslang zu ſterben.</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">II</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden</l><lb/> <l>Traͤg' ziehn die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen,</l><lb/> <l>Von truͤber Schwuͤle liegt die Welt umfangen,</l><lb/> <l>So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden,</l><lb/> <l>Es iſt, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen:</l><lb/> <l>„Auch <hi rendition="#g">Dein</hi> Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen,</l><lb/> <l>An Weib und Kind iſt nun der Sinn gebunden!“</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0132]
Sommerſchwüle.
I.
Ich klimm' zum Berg und ſchau' zur niedern Erde,
Ich klimm' hinab und ſchau' die Berge an,
Suͤß-melancholiſch ſpitzt ſich die Geberde
Und gift'ge Weltverachtung ficht mich an;
Doch will aus Schmerz und Haß nichts Rechtes werden.
Ermanne Dich! — Ich bin doch wohl ein Mann? —
Und ach! wie traͤge Sylb' aus Sylbe ſchleichet,
Mit Noth hab' ich den letzten Reim erreichet.
O weg mit Reim und Leierklang und Singen!
Faß', Leben, wieder mich lebendig an!
Mit Deiner Woge will ich freudig ringen,
Die tief mich ſtuͤrzt, hebt mich auch himmelan.
Im Sturme ſpannt der Adler ſeine Schwingen —
Blaſ' zu! da ſpuͤr' ich wieder, daß ich Mann!
Viel lieber will ich raſchen Tod erwerben,
Als, ſo verſchmachtend, lebenslang zu ſterben.
II.
Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden
Traͤg' ziehn die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen,
Von truͤber Schwuͤle liegt die Welt umfangen,
So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden.
Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden,
Es iſt, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen:
„Auch Dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen,
An Weib und Kind iſt nun der Sinn gebunden!“
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/132>, abgerufen am 03.07.2024. |